Gesammelte Werke. Isolde Kurz
sich lege.
So machte denn auch niemand einen Versuch, über die Schwelle des Einsamen zu dringen, aber ich pendelte manche Nacht in der Platanenallee auf und ab, um zu seinen Fenstern hinaufzuspähen, die zu jeder Stunde erleuchtet waren und wo ab und zu ein Schatten unruhig vorüberfuhr. Einmal sah ich auch in später Nachmitternachtsstunde eine weibliche Gestalt am Flussufer stehen und nach dem erhellten Turmzimmer hinaufschauen. Bei meinem Näherkommen glitt sie wie ein Schemen hinweg, ich erkannte Adele.
Nun stehe ich eines Tages ganz vertieft vor der Auslage einer Buchhandlung, als sich von hinten leise eine Hand in die meine schiebt und ich mich beim Umdrehen dem alten Gustav Borck gegenüber sehe, der mir ernst und freundlich in die Augen blickt.
Was müssen Sie neulich von mir gedacht haben! fing er an. Aber wenn Sie wüssten, welchen Einsturz Ihre unvermutete Anrede in mir bewirkte, so würde Ihnen gewiss mein Betragen in milderem Lichte erscheinen.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: ich hatte ihn in einer Stunde der Empfängnis gestört, und alles, was wir für Anzeichen von Geistesverwirrung hielten, die Abkehr von den Freunden, die langen Nachtwachen, das Sprechen mit sich selber, das waren die Geburtswehen des Dichters. In meiner Unschuld war es mir noch nie eingefallen, dass die Kunstwerke mit Schmerzen geboren werden, und ich kam mir selber ganz wunderlich vor, als ich jetzt aus Gustavs Munde vernahm, wie es einem Schaffenden zumute ist.
Er sagte mit gerunzelter Stirne: Sie sehen in mir einen von der gequälten Menschengattung, die einen Despoten mit sich durchs Leben trägt, – ich weiß nicht, darf ich ihn meinen Genius oder muss ich ihn meinen Dämon nennen. Ich weiß nur, dass er mich hat, dass ich nicht frei bin wie ihr andern und dass ich doch meine Sklaverei nicht für alles Glück der Erde hergeben möchte. Er bestimmt gebieterisch jeden meiner Schritte. Zum Leben lässt er mir keinen Raum, wie ich auch danach dürste; die schönste Gegenwart zerrinnt mir ungenossen, weil er mich zwingt, fort und fort in die quirlende Urmasse hineinzuhorchen, aus der meine ungeborenen Geschöpfe sich mir mit halbem Leibe entgegenrecken. Wie kann ich ein gleichmäßig gestimmter guter Kamerad sein, wenn ich mich heute als ein Halbgott, morgen als ein Wurm empfinde, je nachdem der Despot mich ansieht und meine Träume ausfallen! Ich fühle es selber am besten, wie beschwerlich oft mein Wesen den anderen sein muss. Ich bin ja keiner von den Glücklichen, denen es leicht wird. Meine Wehen sind schwer und schmerzhaft. Wenn ich es gar nicht mehr aushalte, dann renne ich hinaus in die Wälder, denn die inneren Stimmen werden vernehmlicher, wenn keine äußeren dazwischentönen. Wer mich da stört, wer mich da anrührt, der ist mir in diesem Augenblick der ärgste Feind, und wenn er mein Bruder oder meine Geliebte wäre. Ich weiß dann gar nicht, wen ich vor mir habe, denn ich bin ja nicht der Mann, den Sie kennen, Gustav Borck, ich bin die Traumgeburt, die mich gerade beschäftigt.
Dafür leben Sie das Menschenleben hundertfach, sagte ich, und lassen in guten Stunden Ihre Freunde daran teilnehmen. Wer möchte so kleinlich sein, mit Ihnen um Äußerlichkeiten zu rechten? Ich habe kein Talent als das zur Freundschaft, lassen Sie mich es ausüben in guten und bösen Stunden.
Oh, Sie kennen mich noch nicht ganz. Diese Äußerlichkeiten sind das geringste. Wenn Sie in mein Inneres blicken könnten, so würden Sie mit Entsetzen sehen, wie nutzlos Sie Ihre schöne Freundschaft verschwenden. In den Augenblicken, wo ich am meisten ich selber bin, d. h. wo Er mich ganz hat – denn ich bin nur, was ich sein soll, wenn ich mich völlig an ihn verliere –, da gibt es für mich gar keine menschlichen Bande. Ich würde alles, was andern heilig ist, Freunde, Eltern, Geliebte, Vaterland, unbedenklich dem Fürchterlichen opfern. Ich sähe mit Freuden meine Liebsten im Sarge liegen, wenn der Schmerz um sie mich meinem Ziel nur um eine Stufe näher brächte. Ich bin ein Unmensch, ich weiß es selber, und wenn Sie mir nach diesem Geständnis Ihre Freundschaft entziehen wollen, so darf ich Sie nicht tadeln. Aber glauben Sie mir, dass keiner in der Kunst etwas Großes erreichen wird, der nicht von dieser tödlichen Leidenschaft für sie besessen ist.
Du Märtyrer, dachte ich zwischen Bewunderung und Grauen. Aber wenn mir auch bei seinen Worten ein Kartenhaus zusammenbrach, wie hätte ich ihm dafür gram sein können! Was wäre das für eine armselige Freundschaft, die täglich wie ein Kaufmann ihr Soll und Haben buchen wollte! Ja, und auch so wären wir noch immer als die Gewinnenden erfunden worden. Von ihm ging ja aller Reichtum aus, womit wir anderen unser Schatzkästlein füllten.
Ich bin kein Freund von großen Worten, sagte ich, aber ich glaube an Sie, wenn ich auch noch keine Zeile von Ihnen gelesen habe: ich bin gewiss, wenn ein Geist, wie der Ihre, der Welt etwas geben will, so kann es nur das Außerordentliche sein.
Wir saßen in Gustavs Zimmer auf dem durchgedrückten Kanapee, das schon dem irren Dichter zur Benützung gedient hatte, und es ergriff mich mit einem Schauer, dass in diesem Raum ein Großer in die Nacht hinabgestiegen war und vielleicht jetzt eben ein anderer Großer hier seinen einsamen Gang zur Höhe antreten sollte. Ob nicht an den Wänden oder an der rauchgeschwärzten Decke vielleicht noch etwas Geistiges haftete, das nach einem neuen Sinneswerkzeug verlangte, um zu den Menschen zu reden?
Ich selber habe schon mitunter Ähnliches gedacht, besonders zur Nachtzeit, wenn es mir plötzlich wie verwehte Rhythmen in die Ohren tönt, entgegnete der Freund auf meine Bemerkung hin. Am tiefsten empfand es Olaf, als er zum ersten Mal hier eintrat: Hier also wohnte der Eine, der mit nichts Irdischem verwandt war; und er wohnt noch immer hier! sagte er mit einer Miene und einem Ton, die ich nie vergesse. Und hernach konnte er kein weiteres Wort mehr in dem Raume sprechen.
Warum sind Sie so unmitteilsam, fragte ich nach einer längeren Stille.
Ach, lieber Harry, sagte er, bei der Erziehung büßen wir alle ein Stück unseres natürlichen Wesens ein. In meinem Elternhause musste ich mein Talent wie einen Aussatz verheimlichen. Das hat mich in mich selbst zurückgeschreckt, dass ich jetzt wie hinter einer Mauer lebe. Aber haben Sie Geduld, Sie werden vielleicht noch mehr von meinen Arbeiten hören müssen, als Ihnen lieb ist. Mit meinen Gedichten werde ich niemand mehr behelligen. Seit ich Olaf Hansen kenne, weiß ich erst, woran es mir fehlt. Dagegen habe ich jetzt ein fertiges Lustspiel druckreif im Pult, um das ich mit einer Bühne in Verhandlung stehe.
Der Ton, womit er dies sagte, klang aber so obenhin, fast geringschätzig, dass ich gleich fühlte, mit dem Besten hielt er noch zurück; sein Ziel, das er mir aus der Ferne andeutete, musste ein viel höheres, musste die Tragödie großen Stiles sein.
Er gab zu, dass ein gewaltiger vaterländischer Stoff ihn ganz ausfülle.
Was für ein Stoff? wagte ich zu fragen.
Er