Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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ge­tan, ich bin kein Drücke­ber­ger und Aus­rei­ßer.

      Die letz­ten Wor­te schrie er plötz­lich auf­ko­chend so laut in das Stim­men­ge­wirr, dass es für einen Au­gen­blick ver­stumm­te. Gu­stav erb­lass­te bis über die Stirn. Ob die Wor­te einen Aus­fall ge­gen ihn ent­hiel­ten, möch­te ich bei dem an­ge­dun­kel­ten Zu­stand des Schrei­ers nicht ein­mal ent­schei­den. Je­den­falls nahm Gu­stav den mut­maß­li­chen Hand­schuh auf, in­dem er kalt und spöt­tisch sag­te:

      Lei­er und Schwert. Sie tä­ten bes­ser, Ihr um­ne­bel­tes Dicht­er­haupt in die Kis­sen zu le­gen, als uns mit Ihren Waf­fen­ta­ten zu un­ter­hal­ten.

      Das Wet­ter­glas stand an je­nem Abend au­gen­schein­lich auf Sturm. Denn jetzt sag­te eine hä­mi­sche Stim­me von der an­de­ren Sei­te her­über:

      Spre­chen Sie für sich sel­ber, aber nicht für uns, wir ha­ben kei­nen Grund, Erin­ne­run­gen an das große Jahr zu mei­den.

      Ich weiß heu­te nicht mehr, wie der gänz­lich sinn­lo­se Streit, den ich nichts­ah­nend mit ent­facht hat­te, im ein­zel­nen wei­ter­ging; sein jä­her Aus­bruch be­zeug­te einen schon lan­ge auf­ge­häuf­ten Zünd­stoff. Die An­grif­fe ge­gen Gu­stav ver­mehr­ten sich, die Fer­ner­sit­zen­den schie­nen ihn für den Schul­di­gen zu hal­ten. Er schleu­der­te Ju­pi­ters­blit­ze nach rechts und links, aber ich hör­te nicht mehr, was er sag­te, denn ei­ner der An­we­sen­den, dem mei­ne Re­den vor­zugs­wei­se ge­gol­ten hat­ten, ver­wi­ckel­te mich in ein Ein­zel­ge­fecht, dem ich nicht aus­wei­chen konn­te. Ich merk­te nur, wie Gu­stav sich trotz sei­ner Selbst­be­herr­schung all­mäh­lich doch er­hitz­te, das Durchein­an­der der Stim­men wur­de grö­ßer. Ein an­we­sen­der Schwei­zer, der zu­vor auf Deutsch­land mit­ge­sti­chelt und da­durch haupt­säch­lich mei­ne Ver­wah­rung ver­an­lasst hat­te, nahm plötz­lich sein Glas und wan­der­te da­mit an einen Ne­ben­tisch aus, in­dem er halb­laut er­klär­te, dass es kein Ver­gnü­gen sei, un­ter Re­ne­ga­ten zu sit­zen. Die Be­lei­di­gung ging im all­ge­mei­nen Lärm un­ter, Wohl­ge­sinn­te schlu­gen sich ins Mit­tel und dräng­ten zum Auf­bruch, wo­durch sie die Er­zürn­tes­ten aus­ein­an­der­scho­ben und alle zum Aus­gang ge­schwemmt wur­den. Nur der wein- und weh­se­li­ge Dich­ter­ling blieb mit auf­ge­stütz­ten Ell­bo­gen am Tisch zu­rück und wein­te.

      Nach die­sem Auf­tritt war nicht ans Schla­fen­ge­hen zu den­ken. Wir gin­gen die hal­be Nacht am Seeu­fer auf und nie­der, bald sturm­ge­schwind, bald mit sto­cken­den Schrit­ten, je nach­dem sei­ne Ge­dan­ken den un­glück­li­chen Mann vor­wärts­peitsch­ten oder fest­hiel­ten. Er sprach von »Ge­nug­tu­ung for­dern«, aber ei­gent­lich lag dazu kein zu­rei­chen­der Grund vor, denn nichts zwang ihn, die An­züg­lich­kei­ten, die ge­fal­len wa­ren, als sol­che an­zu­se­hen, das Wort­ge­fecht war wie ein Ge­wit­ter, das sich nur halb ent­la­den hat. Man konn­te nicht ein­mal wis­sen, wie viel die­sen Men­schen von Gu­stavs Schick­sa­len be­kannt war; was ich am meis­ten zu hö­ren ge­zit­tert hat­te, der Name St. Hu­bert war nicht ge­fal­len: Ent­we­der sie wuss­ten nichts von die­sem Äu­ßers­ten, oder Scham hielt auch die Berausch­ten zu­rück, die gräss­li­che Wun­de roh zu be­tas­ten. Dass er selbst sie kann­te, er­fuhr ich nun.

      Ihr hat­tet da­mals recht, du und Kuno, brach es auf ein­mal ohne Über­gang aus ihm her­aus. – Es wäre bes­ser, ich faul­te in der stil­len Gru­be bei Gra­ve­lot­te, und mein Ar­mi­ni­us gin­ge, wenn auch nur als Tor­so, über die Bret­ter; als Werk ei­nes Ge­fal­le­nen hät­te er viel­leicht sei­nen Weg bes­ser ge­macht.

      Ich weiß nicht, ob wir recht hat­ten, sag­te ich. Auch Kuno hat un­ter­des­sen um­ge­lernt. Du un­ter­stehst ei­nem an­de­ren Rich­ter als un­serei­ner. Wie du nicht frei bist in dei­nen Ent­schlüs­sen, son­dern so musst wie dein Herr und De­spot ge­bie­tet, so bist du letz­ten En­des auch nur ihm Re­chen­schaft schul­dig. Dein Werk ist dein Frei­spruch.

      So dach­te ich auch, aber auf ei­nes war ich nicht ge­fasst, und die To­ten be­hal­ten im­mer das letz­te Wort.

      Es gibt kein letz­tes Wort, Gu­stav, sag­te ich. Sol­che Din­ge wech­seln ihr Ge­sicht mit je­dem neu­en Stand­punkt, aus dem man sie be­trach­tet. Das Le­ben ist ein end­lo­ses Um­ge­stal­ten, wo je­des neu­ge­spro­che­ne Wort das vor­an­ge­gan­ge­ne auf­he­ben kann. Je­ner Tote war groß, er stand auf sei­nem Bo­den wie ein Vor­zei­trie­se. Steh’ du so fest und groß auf dem dei­ni­gen, so kann er dir nichts an­ha­ben!

      Du ver­gis­sest nur, und ich hat­te es selbst ver­ges­sen, dass ich vom glei­chen Blu­te bin und dass die Ge­fühls­wer­te un­se­rer Vor­fah­ren im­mer von Zeit zu Zeit in uns er­wa­chen. Was ist es andres als das Ah­nen­blut, was jetzt in mir tobt und nach ei­nem Ku­gel­wech­sel mit je­nen Tröp­fen lechzt, weil es sonst kei­ne Ruhe fin­den kann. Und doch hast du recht: Ich wüss­te eine Her­aus­for­de­rung nicht ein­mal zu for­mu­lie­ren.

      Sie gäbe das al­ler­schäd­lichs­te Är­ger­nis und bräch­te eine gan­ze La­wi­ne ins Rol­len. Du musst jetzt zei­gen, dass du von dei­ner Höhe auf die Mei­nung der Welt her­ab­se­hen kannst, wie du es auf dei­ner grü­nen Alp überm Bo­den­see ta­test.

      Gu­stav starr­te in das Was­ser, das spie­gelnd im hel­len Mond­licht lag.

      Mein al­ter Wi­der­dä­mon ist von neu­em am Werk, sag­te er düs­ter. Im­mer lau­ert er dann, wenn ich des in­ne­ren Le­bens am volls­ten bin, um es mir zu rau­ben. Ich kam so er­frischt aus der Bal­sam­luft der Hö­hen. Mein Alex­an­der war mir so nahe, ich konn­te ihm in die Au­gen se­hen, er sprüh­te von Macht und Le­bens­fül­le. Und im Hin­ter­grund reg­te sich schon ein Frie­de­ri­cus, ganz leib­haft, Mensch und Halb­gott, ich muss­te ihn zu­rück­ban­nen, da­mit er mir nicht den Alex­an­der stö­re, aber zu­vor hielt ich noch sein Per­sön­lichs­tes fest.

      Er wur­de end­lich ru­hi­ger und wil­lig­te zu­letzt in mei­nen Vor­schlag, noch auf ei­ni­ge Tage mit mir ins Hoch­ge­bir­ge zu ge­hen; ich er­bat es mir als Freund­schafts­be­weis für mich, da ich seit so lan­gem kei­nen Berg be­stie­gen hät­te und kör­per­li­che Be­we­gung mir ein Be­dürf­nis sei. In al­ler Frü­he fuh­ren wir ab, Sel­ma, die am Abend auf­zu­tre­ten hat­te und des­halb ih­ren Teil vor­weg­sch­lief, er­fuhr un­ser Fort­ge­hen erst meh­re­re Stun­den spä­ter.

      *

      Als wir zu­sam­men im Ber­ni­na­ge­biet wan­der­ten, ka­men noch ein­mal Göt­ter­stun­den un­se­rer Freund­schaft. Der Sohn der Mark war in der Tat ei­ner der ers­ten Berg­stei­ger ge­wor­den, es war eine Lust, ihn gem­sen­ar­tig sprin­gen und klet­tern oder pfeil­ge­schwind über Eis­hän­ge nie­der­schie­ßen zu se­hen. Und doch – wie oft muss­te er in sei­ner Zer­ris­sen­heit das Le­ben, das ihm in den ho­hen Schaf­fens­stun­den so kost­bar war, ge­flis­sent­lich aufs Spiel ge­setzt ha­ben, bis er die­se Si­cher­heit ge­wann, die ei­nem nur zum Sports­mann Ge­bo­re­nen Ehre ge­macht hät­te. Ohne Zau­dern ver­trau­te ich mein Le­ben, das ja erst jetzt Sinn und Wert er­langt hat­te, sei­ner Er­fah­rung an, wenn auch die Be­geg­nen­den, die uns füh­rer­los aus­ziehn sa­hen, die Köp­fe schüt­tel­ten.

      Wir mach­ten mit Klei­nem den An­fang, da ich gänz­lich au­ßer Übung war. Von der Alp Grüm und Sas­sal Ma­son sa­hen wir ent­zück­ten Blicks dem Lauf des Puschlav nach ins Land Ita­li­en hin­un­ter, wo die Velt­li­ner Al­pen, schön ge­wölbt und flim­mernd wie eine Dia­man­ten­kro­ne, den fer­nen Hin­ter­grund schlos­sen.

      Wer da hin­un­ter dürf­te, sag­te Gu­stav sehn­süch­tig.


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