Gesammelte Werke. Isolde Kurz
ist der Natur nie gelungen. Er holte das Glück aus seinem eigenen Inneren und teilte es aus. Er bedurfte nichts, er hatte nur immer zu geben, ob es die kleinen Ersparnisse seiner Westentasche oder die großen Schätze seiner Seele waren. Ihn machte der bloße Wechsel von Tag und Nacht, der ihn auf seiner Welle mittrug, froh und dankbar, er hat ihn ergreifend besungen. Ein Blick aus den dunklen Augen Adeles versetzte ihn unter die Götter. – Die alten Inder erzählten, im ersten, dem Goldenen Weltalter seien die Menschen so fromm gewesen, dass sie gar keine Religion kannten: sie waren eins mit dem Göttlichen. Erst nach ihrem Abfall, als sie in Not und Elend wieder zur Gottheit zurückverlangten, da begannen sie Tempel zu bauen und Opfer darzubringen. So wie jene Frühen war Olaf. Er ging nie zur Kirche, er trug unbewusst die Kirche in sich, er selbst war dauernder Gottesdienst, aufdampfender Weihrauch dem großen Unsichtbaren. Wenn er noch lebte, ich glaube, ich wäre ein harmonischerer Mensch geworden.
Gustav, sagte ich bedeutsam, du hast ein Wesen neben dir, das an unbefangener Nahrhaftigkeit nicht hinter Olaf zurücksteht.
Ja, naturhaft ist sie, antwortete er nach denklich. Vielleicht zu sehr. Könnte sie sich nach Frau Angela modeln, an der sie sieht, wie sehr man Natur bleiben und doch verfeinertes Seelenwesen werden kann. Ich wollte, die beiden Frauen hätten sich früher gekannt. Aber du hast recht: Selma hätte einen besseren Mann verdient. Gott helfe ihr, ich kann ihr nicht helfen.
Ich rechnete es ihm hoch an, dass er die schwerste Last seines Lebens ganz allein trug, ohne seiner Schicksalsgenossin ihren Anteil aufzubürden. Er ließ mich versprechen, ihr die Ereignisse von St. Hubert, soweit es an mir liege, für immer zu verheimlichen, auch über seinen Tod hinaus, für den Fall, dass sie, wie er annahm, ihn überleben würde.
Sie könnte sich sonst mitschuldig fühlen, weil sie durch ihr Verschweigen den ersten Anlass zu meiner Entscheidung gab, und das soll sie nicht. Ich trage allein die Verantwortung, wie ich allein gewählt und beschlossen habe.
Vielleicht wirkte der männliche Hochmut mit, dass er der schwachen Frau keinen Teil an einem so schwerwiegenden Entschlusse zuerkennen mochte. Aber dieses Schweigen im täglichen Zusammenleben durch Jahre fortzusetzen, erforderte eine schonende Selbstüberwindung, die in meinen Augen viel von dem, was er an Selma verbrach, gutmachte. Freilich wurde das Geheimnis, das zwischen ihnen lag, auch Ursache ihrer Entfremdung; es scheint, dass eine seltsame, fast körperliche Abstoßung ihn von der Frau entfernt hielt, die ahnungslos, welch grauenhafte Folgen in der weiteren Verkettung aus ihrem ersten Tun erwachsen waren, an seiner Seite hinlebte.
Ein paar Tage später hielten wir auf dem Piz Palü unsere Mittagsrast. Es war ein herzerfrischender Aufstieg bei scharfer Luft über Gletschereis und harsche Schneehalden gewesen, aber oben brannte die Sonne mit südlicher Glut. Wir tafelten unter zerstreuten Felsblöcken. Da zeigte mir Gustav einen schwarzen Punkt in der Ferne, der näher kam und über unsere Häupter hinschoss: einen Königsadler.
So leben können, seufzte der Einsame, immer die weit offenen Augen an die Sonne geheftet, fern von den Giftdünsten der Niederung, fern, fern von der Kulturschande unseres heutigen Theaterlebens.
Ich schenkte ihm den Rest des mitgebrachten Weines in den Becher:
Dein Alexander lebe! Dein Adlersohn! Und dein Arminius kehre zurück, sein Adlerbruder! Deine beiden Adlersöhne, mögen sie dich emportragen für immer in die Balsamluft der Höhen.
Auf des Dichters sonnengebräunten Wangen und in seinen schönen, verdüsterten Augen ging der Glanz seiner noch so jungen Jahre wieder auf. Er hob seinen Becher:
Auf unsre Dioskurenfreundschaft! Möge sie niemals welken. Viel hat mir das Leben genommen, um vieles hat es mich getäuscht, aber dich hat es mir geschenkt und bewahrt, das ist nicht wenig.
Wir errichteten auf der höchsten Stelle einen Steinmann und gaben ihm unsere Besuchskarten zu hüten.
Auch eine Art von Unsterblichkeit, meinte der Dichter scherzend. Freilich auf beschränkte Dauer, wie es die Unsterblichkeit an sich hat.
Beim Abstieg über den Cambrena-Gletscher ereignete sich ein Zwischenfall, der leicht uns beiden das Leben kosten konnte. Wir gingen angeseilt und mussten scharf aufmerken, weil der Schnee von der Sonnenglut erweicht war und unter unseren Füßen abrutschte. Schon hatten wir den schlimmsten Teil des Weges hinter uns, als plötzlich ein großer bunter Schmetterling, der sich, Gott weiß wie, da herauf verirrt hatte, an mir vorüberflatterte – in solcher Höhe und mit der leuchtenden Farbenpracht in all dem Weiß eine wahre Wundererscheinung. Ich starrte ihm betroffen nach, glitt aus und kam ins Abrutschen, bis ich mit dem Fuß an etwas Hartes stieß, wobei ich eine heftige Sehnenzerrung erlitt.
Der jähe Ruck des Seiles riss auch den Freund, der mir folgte, ein Stück weit mit sich. Aber es gelang ihm einen Halt zu finden und das Seil um einen vorspringenden Stein zu schlingen. Dann schlug er unter mir mit Kraft den Pickel ein, dass mein gesunder Fuß eine Stütze fand, und zog mich zu einem kleinen Felsblock, der aus dem Eis ragte. Da saß ich und der Schmerz war so grausam, dass die Welt mit mir im Kreise ging. Er goss mir allen noch übrigen Kognak ein, weil ich am ganzen Körper zitterte, und umwickelte den verletzten Fuß mit einer festen Binde. Währenddessen verdunkelte sich plötzlich der Himmel, die schon schrägstehende Sonne verschwand hinter einem weißlichen Schleier, und einzelne Schneeflocken fielen. Wenn das Wehen zunahm, wurden unsere gehauenen Tritte zugedeckt, und unter dem Neuschnee konnte der Abstieg auch für den Unverletzten bedenklich werden. Ich bat ihn mich da zu lassen, allein zu gehen und aus dem Tal Hilfe zu schicken.
Die hätte schwer dich zu finden in der frühen Dunkelheit, und bis zu ihrer Ankunft hättest du Zeit zu erfrieren, sagte er.
In der Tat hatte nun auch aufs neue ein scharfer Wind eingesetzt, der den frischen Schnee zum Teil in Glatteis verwandelte, und es wurde schneidend kalt. Aber ich wollte mich lieber der Strafe meiner Unachtsamkeit aussetzen, als den Freund jetzt eben im Hochflug seiner neuen Pläne und Hoffnungen möglicherweise mit mir ins Verderben ziehen.
Das wäre eine würdige Dioskurenfreundschaft, lächelte er. Begreifst du noch immer nicht, was du in meinem Leben bedeutest? Glaub’ mir, ich weiß, wie meine Rechnung steht. Einen Freund gewinne ich mir nimmermehr und suche auch keinen, also muss ich mit dem, was ich habe, sparsam sein. Aber Feinde hoffe ich noch manche zu finden. Gott schenke mir deren recht viele, damit ich nicht länger brauche mein eigener Feind zu sein.
Es wehte stärker, und die wachsende Gefahr schien ihn nur heller und froher zu machen.
Und