DER FEUERVOGEL. Daphne Niko
Meine Arbeit hängt davon ab.«
Etwas sagte ihm, dass Esteban nicht zurückkäme. »Seid versichert, dass ich tun werde, was gerecht ist, Bruder Marcos.« Mit einem Peitschenhieb ritt er zu seinem wartenden Gefolge.
Die Abenddämmerung senkte sich rasch über den Steilhang aus Sandstein und Granit, der von der eisernen Strenge der Vorzeit in wunderliche Schichten gezwungen worden war. Die hochaufragenden Felswände drängten sich in einer kreisförmigen Formation aneinander, wie eine Art antikes Amphitheater. Garrido stand am Rand der Kante und beobachtete, wie die schwindende Sonne die Schlucht in herrliche Schattierungen von Purpur und Gold färbte. Von allen Schauspielen, die er auf seinen Reisen bezeugt hatte – von seinem Geburtsort in Westafrika über sein angenommenes Heimatland an der Algarve zu seinen Landnahmen von Kuba, Hispaniola und Neuspanien –, war dies wohl das beeindruckendste.
»Wir werden hier unser Lager aufschlagen«, sagte er zu seinen Männern. Er band sein Pferd fest und holte ein kleines Notizbuch hervor, das unter einem Querriemen gesichert war. Seit er sich in der ciudad zur Ruhe gesetzt hatte, hatte er begonnen, seine Erinnerungen und Beobachtungen aufzuzeichnen, immer in seiner Muttersprache, denn sie waren als persönliche Memoiren gedacht und nicht als offizielle Angelegenheit.
Während die Nacht die Schlucht in vollständige Stille hüllte, lehnte sich Garrido an einen Felsen und beschrieb die merkwürdigen Begegnungen der vergangenen zwei Tage im Detail. Das Gefolge war auf Estebans Spur, höchstens einige stramme Reitstunden entfernt, oder so hatten die Dorfbewohner behauptet, die sie unterwegs getroffen hatten. Jene Eingeborenen sprachen von einem Heiler, dessen Haut so dunkel war wie die Nacht, um dessen Schultern eine Büffelhaut lag und dessen Kopf das Gefieder vieler Vögel schmückte. Er trug eine Kette aus Türkisperlen quer über seinem nackten Oberkörper und schwang eine Kalebassenrassel, während er die Geister beschwor, die Kranken und Leidenden zu heilen.
Es hieß, er habe ein ordentliches Gefolge versammelt – über zweihundert Menschen, laut mancher Berichte. Gemeinsam drang dieser bunt zusammengewürfelte Stamm in fremde Gebiete vor, handelte und sammelte Ressourcen. Esteban, so schien es, hatte eine neue Heimat inmitten dieser Menschen gefunden, und er hatte nicht die Absicht, in die Tyrannei von Marcos de Niza und Neuspanien zurückzukehren.
Garrido bemerkte nicht, dass er eingeschlafen war, bis er von starken Händen wachgerüttelt wurde. Er sprang auf und zog sein Schwert. Vor ihm stand ein einheimischer Mann, dessen nackter Oberkörper blutverschmiert war. Hinter ihm standen einige Dutzend Krieger, ähnlich zugerichtet. Der Fremde hob seine Hände als Zeichen des Friedens.
Ohne unvorsichtig zu werden, bedeutete Garrido dem Anführer, zu sprechen. Mittels Handgesten und verängstigter Laute berichtete der Mann von einem Massaker und zeigte dem Konquistador ein gespaltenes Holzstück, das in der Art von Bruder Marcos’ Kreuz geschnitzt war. Er drehte es um. Darauf standen die Worte Fliege auf schwarzen Schwingen geschrieben, in einer Sprache, die nur Garrido und Esteban verstanden.
»Bringt mich zu ihm«, sagte Garrido.
Die Stammesmänner und der Konquistador ritten rasch durch die Nacht, aus der Schlucht hinaus und an einem fruchtbaren Flusstal vorüber, bis sie Felsland und eine ockerfarbene Wüstenfläche erreichten. Der Anführer deutete auf einen Berg mit flacher Spitze, der aussah, als sei sein Gipfel von einem scharfen Schwert abgetrennt worden. Viereckige Steingebäude, die im Morgenlicht erröteten, ergossen sich vom Berggipfel über seine Flanken, eine eingeborene Version der Fischerdörfer an den zerklüfteten Küsten Spaniens. Konnte es das Cibola der Legenden sein? Die Aussicht versetzte Garrido in Aufregung.
Er hatte gehofft, sie würden dorthin gehen, doch der Anführer ritt vorbei und in einen kleinen Canyon am Rand der Siedlung. Der Ort lag in den Schatten von Sandsteinüberhängen, die so breit waren, dass die Finger der Sonne nie bis hinein reichten. Garrido schauderte. Es war mehr als nur dunkel und kalt; es fühlte sich an, als wohne eine unheilvolle Präsenz darin. Selbst die Pferde waren unruhig.
Der Führer stieg ab und ahmte mit der Hand am Mund den Ruf eines Vogels nach. Einen Augenblick später erschien Esteban aus einem Steinlabyrinth und grüßte den Mann wie einen lebenslangen Freund. Der Eingeborene sagte einige Worte in seinem eigenen Dialekt, den der Maure zu verstehen schien, und zeigte auf den Konquistador.
Obwohl der vertraute Glanz in Estebans Augen erloschen war, strahlte er bei Juan Garridos Anblick. Er begrüßte ihn nicht mit der traditionellen Verbeugung, die man einem Konquistador entgegenbrachte, sondern vielmehr mit einem Griff an die Schulter, wie er für die Menschen des Maghreb typisch war.
»Es gab Kunde von einem schwarzen Spanier auf der Straße«, sagte Esteban. »Ich hoffte, dass Ihr es seid, also schickte ich meine Männer aus, um Euch zu finden. Ich muss sagen, es ist eine Überraschung.«
»Der Vizekönig bat um meine Hilfe, Moustafa.« Er benutzte den Namen, der dem Mann gegeben worden war, bevor Andres de Dorantes ihn kaufte und ihm einen christlichen Namen gab. »Die Spanier sind Eurer Abwesenheit überdrüssig geworden. Bruder Marcos ist mit verlorenen Seelen beschäftigt, und so war es an mir, Euch zu finden und zurückzubringen.« Er warf einen Blick auf die tiefen, blutenden Schnitte auf der breiten Brust des Sklaven. »Doch nun scheint es, ich kam zu Eurer Hilfe. Welche Not plagt Euch?«
»Ich fürchte, mein Tod ist nah. Doch ich werde in dem Wissen sterben, dass mir diese Menschen als einem von ihnen vertrauten. Eine Ehre, die Euren spanischen compadres nie zuvor zuteilwurde oder in Zukunft zuteilwerden wird.«
Garrido wies auf die offenen Wunden. »Wenn sie Euch so sehr vertrauen, warum taten Sie Euch das an?«
»Ich habe sie betrogen.« In seiner Stimme schwang Jammer. »Ich erfuhr ihre Geheimnisse, doch ich gab mich der Versuchung hin. Ich bereue es bitterlichst, doch ich kann meine Taten nicht rückgängig machen.«
»Sagt mir, was Ihr meint.«
Estebans Augen weiteten sich. »Ich habe das Gold gesehen, mein Freund. Es existiert so sicher wie Ihr und ich, tief im Busen der Schlucht versteckt.« Er nickte in Richtung seiner Anhänger. »Meine Männer brachten mich dorthin, zu ihrer Andachtsstätte tief unter der Erde, wo Goldklumpen funkeln wie die Sterne am Himmel.«
»Mendozas Stadt aus Gold. Ihr habt die Pflicht …«
»Ich schulde Spanien nichts«, spie er aus. »Die Spanier wollen eher meinen Tod, als mir meine Freiheit zu geben. Wenn Ihr der Krone loyal seid, so tötet mich jetzt, denn ich werde diese Menschen kein zweites Mal verraten.«
»Ich stehe im Dienst des Vizekönigs, doch kann ich keine andere Seele leiden lassen, besonders nicht die eines Landsmanns.« Er sprach in ihrer Muttersprache. Obwohl ihre Dialekte unterschiedlich waren, kam der Kern seiner Botschaft zum Ausdruck. »Ich möchte Euch helfen.«
»Nein. Was ich tat, ist zu abscheulich.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wurde gierig. Ich schrieb eine Nachricht auf eines von Bruder Marcos’ Kreuzen, die die Lage des Goldes beschreibt.«
»Doch tatet Ihr es in Eurer Sprache, nicht in seiner.«
»Die Spanier besitzen genug Reichtümer. Ich hatte die Absicht, unseren maurischen Freunden, die sich zu Unrecht unter der strengen Hand der Sklaverei plagen, diese Nachricht zu schicken, damit sie den Schatz heben und frei unter diesen freundlichen Menschen leben können. Ich war in dem Moment verflucht, als ich das tat. Ich weiß nun, dass dieses Land und alle Reichtümer darin diesen Menschen gehören und niemandem sonst.« Er zeigte auf das Dorf, das sich über den Hang ergoss. »Das Volk der Zuñi hörte davon, dass ich ihre heilige Stätte betreten hatte, und sie wurden sehr wütend – seltsamerweise nicht wegen des Goldes, sondern weil ein Nicht-Indianer ihren Ort der Entstehung entweiht hatte. Sie fanden das Kreuz, welches für sie das Symbol der weißen Teufel darstellt, und zerbrachen es in vier Teile. Sie jagten uns mit Pfeilen und Tomahawks aus dem Dorf.« Er berührte seine verwundete Brust und atmete schwerfällig ein. »Sie werden nicht ruhen, bis sie meine Haut haben.«
»Es ist noch nicht zu spät«, sagte Garrido. »Ich kann Euch von hier fortbringen.«
»Ich muss mich den Konsequenzen meines Handelns stellen. Doch wenn es Euer Anstandskodex erlaubt, so gibt