Wyatt Earp Paket 1 – Western. William Mark
auslachen werden; aber es ist nun alles einerlei. Ich muß jede Chance nutzen. Auch die geringste. Und wenn einer das Maul weit aufreißt, muß man es ihm stopfen. Wie heißen Sie?«
Der Spott war aus dem Gesicht des Postfahrers gewichen. Tiefer Ernst stand in seinen Augen.
»Wyatt Earp«, sagte er ruhig.
»Well, Wyatt Earp. Wir haben eine schlechte Polizei, – das sagten Sie doch. Nun haben Sie den Stern: Gehen Sie rüber, und verhaften Sie Thompson!«
Ein schadenfrohes Grinsen stand im Gesicht des entlassenen Marshals.
Auch die anderen Männner verzogen die Mienen.
Der Bürgermeister hatte einen vorlauten Mann bestrafen wollen. Er traute jedoch seinen Augen nicht, als der junge Postfahrer sich jäh umwandte, sporenklirrend den Vorbau überquerte und auf Smokys Saloon zuhielt.
Die Männer starrten seiner hohen sehnigen Gestalt entgeistert nach.
Ein zwergenhaft kleiner Mann mit einer großen roten Nase stieß den Mayor an.
»Wie konnten Sie so etwas tun, Miller? Der Bursche weiß nicht, daß er in den Tod läuft!«
»Er wird die Strafe für sein großmäuliges Gerede bekommen«, zischte Norton grimmig.
Der rotnäsige Zwerg giftete ihn an:
»Ja, sicher, das wird er. Er geht, weil Sie ein Feigling sind!«
Die Hand des Texaners zuckte zum Colt.
Da rief der Bürgermeister, der eingesehen haben mochte, daß er höchstwahrscheinlich einen Wahnsinn begangen hatte:
»Da, seht euch das an! Er stiefelt tatsächlich auf den Eingang zu!«
Die Männer drängten ans Fenster und rissen rücksichtslos die Gardinen zur Seite.
»Es ist eine Schande!« krächzte der rotnäsige Zwerg.
*
Hochaufgerichtet stand Wyatt Earp in der Tür von Smokys Saloon.
Zehn Yards vor ihm lehnte ein mittelgroßer Mann mit dem Rücken an der Theke und sah verblüfft zu ihm hinüber. Gegen das gleißende Licht der Straße schnitt sich die Silhouette des Postfahrers riesengroß, tiefschwarz und drohend in die Türöffnung.
Der Mann an der Theke hatte ein breitflächiges Gesicht, aschblondes Haar und etwas zu weit auseinanderstehende gelbschimmernde kalte Augen. Hart schob sich sein Kinn nach vorn, auch die Backenknochen drängten nach draußen. Sein massiger Schädel ruhte fast halslos auf einem überaus kräftigen Körper. Die starken Hände hingen steif neben den beiden schweren Revolvern, die er tief auf den Oberschenkeln trug.
Jeder in Kansas kannte diesen Mann. Es war der Spieler Ben Thompson. Seit Jahren zog er, meist mit seinem Bruder Bill, von Stadt zu Stadt, beschäftigte sich mit einem peripatetischen Faro-Spiel, handelte hin und wieder mit Vieh, ließ aber todsicher überall da, wo er auftauchte, einen Kometenschweif von Unheil zurück.
Der Missourier war nur einen Augenblick stehengeblieben; dann ging er schnurstracks auf den Texaner zu, zog ihm den Colt aus dem Gurt, legte ihm die Rechte auf die Schulter, packte ihn am Arm und schob den völlig Verdutzten aus der Schenke hinaus auf den Vorbau.
*
Drüben im Sheriff Office flogen die Gardinen wieder vors Fenster.
Der Missourier schob Thompson weiter, die Treppe hinunter auf die Straße, genau auf das Sheriff Office zu. Er hielt nicht einen Augenblick inne, stieß die Tür auf und schob den Banditen auf eine offenstehende Zellentür zu, drückte den Mann hinein und warf die Tür ins Schloß.
Der Riegel knarrte. Wyatt Earp drehte den Schlüssel um und zog ihn ab.
Wie versteinert lehnte Thompson an der unverputzten Rückwand der Zelle. Völlig benommen starrte er auf den Mann, der dicht vor dem Gitter stand, eine lange schwarze Zigarre aus seiner Jackentasche zog und sie sich in aller Ruhe anzündete.
Da endlich kam der Überrumpelte zu sich. Er riß sie Augen auf, krallte die Hände hinter sich in das Gestein und stieß sich plötzlich ab. Mit einem dumpfen Aufprall landete er vorn am Gitter.
Wyatt Earp blickte ihm gelassen ins Gesicht.
»He! Was soll das?« krächzte der Bandit heiser.
»Sie haben Sheriff Whitney erschossen, Thompson!« versetzte Earp. »Sie sind verhaftet!«
Da spannte der Texaner seine groben Fäuste um die Gitterstäbe, zwängte den Schädel dazwischen und fragte mühsam beherrscht:
»Was hast du gesagt?«
»Sie sind wegen Mordes verhaftet!«
Da warf sich Thompson zurück und zerrte so gewaltig an den Eisenstäben, daß sie in ihrem Gefüge ächzten und dröhnten. Alle sahen es: Dieser Mann hatte die Körperkraft eines Stiers.
»Was hast du gesagt?« brüllte Thompson. »Weißt du überhaupt, wer ich bin, Mann?«
Wyatt blies eine kleine blaue Tabakwolke vor sich hin. Er wich keinen Zoll vor dem plötzlich wieder gegen das Gitter anprallenden Mann zurück. Und jetzt hatte der Eingesperrte Muße, das Gesicht des anderen zu betrachten.
Es war ein kantiges, hartes Gesicht mit tiefblauen Augen. Die Nase war gerade und der Mund energisch und gutgeschnitten. Es war ein edles, wohlgeformtes Männergesicht, das, von tiefer Wetterbräune bedeckt, unter der breiten Krempe des ungekniffenen schwarzen Hutes hervorsah. Ein Gesicht, aus dem Entschlossenheit, Unbeirrbarkeit und Klugheit sprachen.
Niemand in dem kleinen Raum ahnte wohl in diesem Augenblick, daß es das Gesicht eines Mannes war, dessen Name einmal leuchtend groß in den Annalen der Geschichte Amerikas verzeichnet sein sollte. Dieser junge Wyatt Earp, dessen Stern in dieser Stunde aufgegangen war, würde sie einmal alle überstrahlen, die wenigen wirklich Großen aus der Pionierzeit der Vereiniten Staaten.
Der einfache Mann, der 1848 als Sohn eines Nordstaaten-Offiziers auf einer Farm bei der Stadt Monmouth (Illinois) geboren worden war, hatte sich von frühester Jugend an in den Weststaaten aufgehalten. Er war Treckbegleiter von Planwagenzügen gewesen, die von den Städten des Ostens hinüber nach Californien an die Westküste gezogen waren. Er hatte mehrere Jahre auf einer großen Ranch in Texas als Cowboy verbracht, war in Colorado als Holzfäller in einem Gebirgscamp beschäftigt, hatte in Montana Büffel geschossen, in Dakota in Goldgräber-Lagern gearbeitet und war nun seit einiger Zeit als Fahrer bei der Overland.
Bevor er hierher nach Kansas gekommen war, hatte er bei den Eltern gelebt, die drüben in Missouri ein Stück Land erworben hatten. Diese Tatsache verlieh ihm den Beinamen, den er zeitlebens nicht mehr loswerden sollte: Der Missourier.
Das Leben, das vor dem jungen, sehr ernsten Mann lag, war so bunt und vielgestaltig, so abenteuerlich und gefährlich, daß er es vielleicht selbst für ausgeschlossen gehalten hätte, wenn ihm jetzt ein Prophet einiges darüber berichtet hätte.
Es war irgend etwas im Blick des jungen Menschen, das den Mörder Ben Thompson innehalten ließ. Tief in den Augen Wyatt Earps, die jetzt etwas von der kristallenen Kälte eines zugefrorenen Bergsees an sich hatten, lag ein Schimmern, das den Banditen gefrieren ließ.
Erst als Bewegung in die anderen Männer im Office kam, schüttelte Thompson den Bann ab, der auf ihm gelegen hatte. Wieder zerrte er wild und ungebärdig an den Gittern und schrie:
»Was soll das, Boy? Das ist doch nicht dein Ernst?«
Da trat der Mayor an das Gitter.
»Doch, Ben Thompson. Es ist bitterer Ernst. Sie sind verhaftet. Richter Cordell wird über Sie zu Gericht sitzen. Und dann wird man Sie an einem grauen Morgen draußen auf dem Galgenhügel an den kahlen Ast knüpften.«
In den gelblichen Augen des Banditen stand für den Bruchteil einer Sekunde kalte Angst. Dann wischte er sich über die Stirn und hatte sich sofort wieder in der Gewalt. Er legte den Kopf etwas auf die Seite, kniff die Augen ein und schleuderte dem Bürgermeister