Der Löwe von Flandern. Hendrik Conscience

Der Löwe von Flandern - Hendrik Conscience


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Euch, hier braucht man kein Fuchs zu sein, um die Falle zu merken. Man hat Ew. Hoheit schon einmal gefangen genommen, und Ihr verfolgt schon wieder die gleiche Spur. Gebe Gott, daß die Sache gut abläuft; aber das verspreche ich Euch, daß Philipp der Schöne den Fuchs nicht fangen wird.“

      „Ihr urteilt und sprecht allzu leichtfertig, edler Herr!“ entgegnete ihm Gwijde. „Karl von Valois stellt uns einen Geleitsbrief aus und gelobt uns bei seiner Ehre, daß er uns wieder ungehindert nach Flandern zurückbringen wird.“

      Die Herren, die Valois' edle Gesinnung kannten, glaubten seinem Versprechen und berieten weiter mit dem Grafen. Inzwischen schlich sich Dietrich der Fuchs unbemerkt aus dem Saal, ging auf den Vorhof und schritt dort in tiefes Nachdenken versunken auf und ab.

      Einige Augenblicke später wurde die Brücke herabgelassen, und Robrecht van Bethune ritt auf das Schloß zu. Als er vom Pferde stieg, näherte sich ihm Dietrich und sagte:

      „Man braucht erst gar nicht zu fragen, Herr Robrecht, was aus Euerm Feind geworden ist. Das Schwert des Löwen hat noch nie sein Ziel verfehlt. Herr von Châtillon reist wohl schon ins Jenseits?“

      „Nein,“ antwortete Robrecht, „mein Schwert ist so heftig auf seinen Helm niedergesaust, daß Châtillon drei Tage lang nicht sprechen kann. Aber er muß seinem Schöpfer danken, daß er nicht erschlagen wurde. Doch ein anderes Unglück hat uns betroffen. Adolf van Nieuwland, der mein Sekundant war, hat mit Saint-Pol gefochten. Adolf hatte Saint-Pol gerade am Kopf verletzt, als unglücklicherweise sein Panzer aufging, so daß die feindliche Waffe den Jüngling tödlich verwundete. Ihr werdet ihn gleich sehen; denn meine Knappen tragen ihn ins Schloß.“

      „Aber, Herr van Bethune,“ fragte Dietrich, „haltet Ihr diese Reise nach Frankreich nicht auch für ein recht unbesonnenes Unternehmen?“

      „Welche Reise? Ihr setzt mich in Erstaunen!“

      „Wißt Ihr denn noch nichts davon?“

      „Kein Wort.“

      „Nun, wir ziehen übermorgen mit unserem Grafen nach Frankreich!“

      „Was sagt Ihr, Dietrich, mein Freund? Ihr scherzt! Wie! Nach Frankreich?“

      „Ja, ja, Herr Robrecht, um den französischen König fußfällig um Verzeihung zu bitten. Ich habe ja allerdings noch nie von einer Katze gehört, die von selbst in den Sack kriecht, und nun werde ich es in Compiègne bald selbst mit ansehen können; – oder es fehlt mir an gesundem Menschenverstand.“

      „Wißt Ihr das, was Ihr da sagt, auch ganz sicher? oder täuscht Ihr Euch vielleicht?“

      „Ganz sicher. Beliebt nur in den Saal zu gehen, und Ihr werdet alle Herren bei unserem Grafen, Euerm Vater, antreffen. Übermorgen reisen wir in die Gefangenschaft, das könnt Ihr mir glauben! Bekreuzigt Euch deshalb am Schloßtor von Wijnendaal!“

      Als Robrecht das hörte, konnte er seinen Zorn nicht länger zurückhalten.

      „Dietrich, mein treuer Freund,“ sagte er zu ihm, „laßt, bitte, den verwundeten Adolf auf das linke Bett in meinem Schlafgemach tragen, und sorgt für ihn, bis ich zurückkomme! Schickt auch zu Meister Rogaert, daß er ihm die Wunde verbinde!“

      Während er dies sagte, lief er schon voller Ungeduld in den Saal, wo die Ritter mit ihrem Grafen berieten. Er schob sie ungestüm zur Seite, bis er vor seinem Vater stand.

      Die Ritter waren höchst erstaunt, denn Robrecht hatte Harnisch und Rüstung noch nicht abgelegt.

      „Aber, Herr Vater,“ rief er aus, „was erzählt man mir da! Ihr wollt Euch Euern Feinden ausliefern, so daß sie Euer graues Haupt mit Schmach bedecken können, – so daß die schnöde Johanna Euch in Fesseln schlagen kann?“

      „Ja, mein Sohn,“ antwortete Gwijde mit Würde. „Ja, ich gehe nach Frankreich – und Du begleitest mich. Dein Vater will es so!“

      „Nun, so sei's!“ entgegnete Robrecht. „Aber der Fußfall, der schändliche Fußfall?“

      „Ich werde den Fußfall tun und Du auch,“ war die unerbittliche Antwort.

      „Ich?“ rief Robrecht zornig. „Ich soll den Fußfall tun. Ich, Robrecht van Bethune, soll unserem Feinde zu Füßen fallen? Wie! Der Löwe von Flandern soll sein Haupt vor einem Franzosen beugen, vor einem Falschmünzer, vor einem Meineidigen?“

      Der Graf ließ einige Augenblicke verstreichen. Als er glaubte, daß Robrecht sich etwas beruhigt hatte, sagte er:

      „Du wirst es tun, mein Sohn!“

      „Nie und nimmer,“ rief Robrecht aus, „niemals werde ich meine Waffen mit solcher Schmach bedecken. Ich sollte mich vor einem Fremdling beugen, – ich? Da kennt Ihr Euern Sohn schlecht, Vater!“

      „Robrecht!“ entgegnete Gwijde kaltblütig. „Der väterliche Wille ist ein Gesetz, gegen das Du nicht handeln darfst. – Ich will es so!“

      „Nein,“ rief Robrecht nochmals, „der Löwe von Flandern beißt, – aber er schmeichelt nicht. Nur vor Gott und vor Euch beuge ich mein Haupt. Aber niemals, niemals vor einem anderen Menschen!“

      „Aber, Robrecht,“ entgegnete ihm der Vater, „hast Du denn gar kein Mitleid mit mir, mit Deiner unglücklichen Schwester Philippa, mit Deinem Vaterland, daß Du das einzige Mittel, das uns noch helfen kann, zurückweist?“

      Robrecht, in dessen Brust Schmerz und Zorn tobten, ballte in ungestümem Jammer beide Fäuste.

      „Wollt Ihr denn, o mein Herr und Vater,“ antwortete er, „daß ein Franzose auf mich wie auf seinen Sklaven herabsieht? Der Gedanke allein kränkt mich tödlich. Nein, nein, – niemals. Euer Befehl, sogar Eure Bitte ist nutzlos! – Ich werde es nie tun!“

      Zwei Tränen glänzten auf den schmalen Wangen des alten Grafen. Der sonderbare Ausdruck in seinem Antlitz ließ die anwesenden Ritter im Zweifel, ob Freude oder Schmerz sie vergossen hatte; denn ein trostreiches Lächeln schien seine Züge zu erhellen.

      Robrecht wurde durch die Tränen seines Vaters tief ergriffen; sein Herz schlug in Höllenpein. Außer sich vor Erregung rief er:

      „Verwünscht, verflucht mich, o mein Fürst und Vater; aber ich versichere Euch, daß ich niemals mit krummem Rücken vor einem Franzosen kriechen werde, – und sollte ich Euerm Befehl trotzen!“

      Robrecht van Bethune erschrak über seine eigenen Worte. Er wurde bleich und bebte am ganzen Körper. Er rang seine zuckenden Hände, und man hörte, wie die eisernen Schuppen seiner Panzerhandschuhe klirrend aneinander schlugen. Er fühlte seinen Mut sinken und erwartete mit tödlicher Angst den Fluch seines Vaters.

      Während die Ritter in größter Bestürzung auf die Antwort des Grafen harrten, schlang dieser seine schwachen Arme um Robrechts Hals, und mit Tränen der Freude und Liebe rief er aus:

      „O mein edler Sohn! Mein Blut, das Blut der Grafen von Flandern fließt rein in Deinen Adern. Dein Ungehorsam hat mir den schönsten Tag meines Lebens bereitet. Nun will ich gern sterben! Nimm mich in Deine Arme, o mein Sohn; denn ich fühle mich unaussprechlich glücklich.“

      Die anwesenden Herren waren von Verwunderung und Mitgefühl tief erschüttert. In feierlicher Stille sahen sie schweigend auf diese Umarmung. Der alte Graf ließ seinen Sohn los und blickte in leidenschaftlicher Begeisterung auf seine Lehnsleute.

      „Seht her, meine Herren,“ sagte er, „so war ich in meiner Jugend; – so waren die Dampierres immer. Urteilt nach dem, was ihr gehört und gesehen habt, ob Robrecht die Grafenkrone nicht verdient. – O Flandern, so sind deine Krieger. Ja Robrecht, Du hast recht. Ein Graf von Flandern darf sein Haupt vor keinem Fremdling beugen. Aber ich bin alt und bin der Vater der gefangenen Philippa und auch Deiner, mein tapferer Sohn! Ich werde Philipp dem Schönen zu Füßen fallen. So befiehlt es Gott! Ich unterwerfe mich seinem heiligen Willen. Du wirst mich begleiten. Aber Dein Haupt wirst du nicht beugen. – Bleibe stets dabei, auf daß die Grafen, die nach mir


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