Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg
diesen Annäherungen Zufälligkeiten die Veranlassung; aber diese geringen Anlässe würden nie imstande gewesen sein, eine nachhaltige Wirkung auszuüben, wenn nicht in den beiden bis jetzt noch voneinander abgewendeten Individualitäten bereits der Keim eines künftigen, innigen Aneinanderschließens gelegen hätte. Des jungen Schotten düstere Verschlossenheit, seine Vorliebe für die Einsamkeit, so gänzlich entgegen beides dem heiteren Sinne seines Genossen war, verfehlten doch nicht, anfangs dessen Neugier zu reizen, aus welcher dann eine lebhafte Teilnahme wurde. Hätte Georg, wie bisher, im Verkehr mit vielen Altersgenossen gelebt, hätte er die Wahl gehabt, welchem von diesen er sich zuwenden wolle, so wäre ohne Zweifel ein solcher Bund, wie wir ihn beschreiben wollen, nie oder auf sehr langsamem Wege zustande gekommen. So aber taten das stete Beisammensein und die Entfernung aller andern bestimmenden Elemente des Umganges das ihrige. Hatte Georg es einmal erreicht, die Lippen seines Genossen zu einem Gespräche, zu einer Mitteilung, zu einem Geständnis zu öffnen, so war die unausbleibliche Folge, daß das, was Olivier ihm vertraute, seine Aufmerksamkeit im hohen Grade rege machte. Die Weltanschauung des Einsamen hat immer Reiz für den weltlich Gesinnten, schon der Neuheit der Bilder, des Unerwarteten in der Reihenfolge der Betrachtungen und Urteile wegen. Wenn dies bei Männern der Fall ist, wie viel mehr bei der leicht erregten Jugend. Mit fünfzehn Jahren gibt es noch keine Menschenhasser. Olivier seinerseits fand sich unbewußt angetrieben, für seine Sinnesweise Anhänger zu gewinnen; die frische Lebendigkeit und Empfänglichkeit Georgs reizten ihn. Er gewöhnte sich, in dieser muntern Laune nicht mehr einen unbesiegbaren Feind zu sehen, und später gab er sich sogar der Hoffnung hin, in ihr einen Bundesgenossen zu seinen Bekehrungsplänen zu finden. Der Köhler, vor dem er keine Geheimnisse hatte, riet ihm lebhaft ab, sich dem jungen Deutschen anzuschließen. Als er jetzt auf seinem Willen bestand, mußte sich der Alte dazu verstehen, diesem Gelüste den Zügel schießen zu lassen. Olivier wählte jetzt die einsame Köhlerhütte, tief im waldigen Gebirge, zum Zielpunkte der Wanderungen, die er mit Georg antrat, und wo ihnen Antonius nicht folgen konnte, da ein hartnäckiges Übel ihn an das Krankenlager fesselte. Meister Ulrich, dem einstweilen die Pflicht zuerteilt wurde, die Jünglinge zu begleiten und zu beaufsichtigen, wußte sich von dieser lästigen Verbindlichkeit freizumachen.
»Hast du schon von unserer baldigen Aufnahme in den Orden etwas vernommen?« fragte Georg seinen schweigsamen Begleiter, als beide in der finstern Waldschlucht dahinwandelten.
»Nein, und ich zweifle, daß wir das geringste Wort früher erfahren, als bis der Tag und die Stunde da ist, wo diese Aufnahme stattfindet,« entgegnete der Gefragte.
»Wozu nur diese Geheimnisse?«
»Wozu? Kann das ein Jünger Loyolas fragen?«
»Loyola? Der war der Stifter der Jesuiten?« fragte Georg zweifelnd.
»Er war der Glückliche, der Gottgeliebte, dem wir hier dienen,« sagte der Jüngling mit schwärmerischem Blicke.
»Es ist aber schon lange her, daß er lebte. Wohl ein Jahrhundert ist darüber vergangen.«
»Mag es. Die Zeit ändert hier nichts.«
»Wie, sie ändert nichts? Wir denken und fühlen gewiß nicht mehr so, wie man damals dachte und fühlte. Und der Orden – er ist unterdessen – ganz etwas anderes geworden.«
»Er ist derselbe geblieben.«
»Den Beweis hiervon zu liefern, würde dir schwerfallen, Olivier. Alle Dinge ändern sich in der Welt, wie sollte es hier allein anders sein?«
»Dennoch ist es so. Daß die Jesuiten nie von ihrer Regel lassen, nie ihre Geheimnisse enthüllen, das macht sie zu der gewaltigsten Macht, die der Welt Gesetze vorschreibt.«
»Ach, ich glaube, die Welt ist dem Leitseil entwachsen.«
»Lästre nicht.«
»Haben wir nicht gesehen, wie die Welt sich den großen Wahrheiten, die Luther verkündete, zu ihrem Heile hingegeben hat?«
»Lange vorher schlummerten sie als Geheimnisse in dem Innern der Kirche.«
»Da sie nun aber einmal offenkundig geworden, so ist der Orden unnütz.«
»Der Orden wird nie unnütz sein. Während die alten Geheimnisse wie gereifte Früchte dem Markte des Lebens anheimgegeben werden, zeitigt er neue in seinem Schoße. Er ist der tief in der Erde wurzelnde Stamm, der seine Äste zum Himmel kehrt und an dessen Zweigen silberne Apfel in goldenen Schalen hängen. Aber Baum und Früchte hüllt ein undurchdringlicher Nebel ein, und die Wurzeln des Baumes dringen in die Tiefe durch gesprengte Gräber, und der Saft der Verwesung nährt sie.«
»Wie man mir gesagt, ist die Lehre Luthers dem Orden ein Greuel.«
»Sie ist ihm ein Ärgernis, weil sie unrichtig und halbverstanden ins Leben trug, was er lehrte. Dann ist sie eine hochmütige Doktrin, die sich über ihre eigene Lehrerin und Mutter stolz erhebt. Sie muß gezüchtigt und in ihre Schranken zurückgewiesen werden. Aber ich glaube, das sind Dinge, über die zu urteilen wir beide noch nicht berufen sind. Auf den Stufen des Tempels stehen wir, und noch nicht einmal die Pforte des äußern Einganges hat sich uns geöffnet – hat sich dir nicht geöffnet,« setzte er mit gedämpfter Stimme hinzu.
»Ich habe, obgleich du dich abgewendet, dennoch vernommen, was du sagtest. Mir traust du nicht so viel Kenntnis der geheimen Dinge zu als dir selbst!« sagte Georg mit einem Tone leichter Gereiztheit.
»Vergib, Freund. Ja so ist es auch. Aber ich habe einen Lehrer gehabt und habe ihn noch, der dir fehlte. Deshalb kann ich so sprechen, wie ich spreche. Achte es nicht als leere Prahlerei und kindischen Dünkel!«
»Wer ist dieser Lehrer?«
»Du sollst ihn kennenlernen. Dort wohnt er.«
»Ich sehe nichts als eine elende Köhlerhütte.«
»Und in dieser Hütte wohnt ein Märtyrer und Heiliger.«
Als die Jünglinge sich näherten, trat der Greis hervor mit einem Spaten in der Hand und einem Korbe am Arm, in welchem allerlei Waldkräuter lagen.
»Mein Vater,« sagte Olivier mit großer Demut, »du hast mir erlaubt, dir meinen Genossen und Bruder zuzuführen, hier ist er.«
»Er ist willkommen,« grüßte der Köhler den Jüngling.
Die drei gingen den Waldweg entlang. Der Greis in der Mitte, seine beiden Begleiter ihm zur Seite.
Georg betrachtete seine neue Bekanntschaft, und sie schien ihm nichts Außergewöhnliches an sich zu haben, er faßte daher Mut und fragte: »Vater Willi, wie lange glaubt Ihr wohl, daß uns der Wille des ehrwürdigen Schloßherrn hier zurückhalten wird?«
Olivier machte ihm ein Zeichen, daß diese Frage kühn und unüberlegt sei. Der Köhler zögerte mit der Antwort, dann sagte er rasch: »Ich weiß es nicht. Was geht mich überhaupt der Schloßherr an? Ich bin in seinem Dienste, das ist wahr, allein wenn ich ihm von dem Gewinn meiner Arbeit gebe, was ihm zukommt, so habe ich weiter nichts mit ihm zu tun.«
»Setze deine Worte, wie du willst,« hub Georg wieder an, »mich täuschest du nicht, Alter. Du hast mehr Einfluß auf den Grafen, als du eingestehen willst, und das ist ja auch ganz natürlich. In der Einsamkeit des Ortes können der Herr und sein Diener lange nicht so getrennt und geschieden voneinander leben, wie dies in der Welt der Fall ist, die groß genug ist, daß man leicht einander ausweichen kann, wenn man nicht zusammentreffen will.«
»Sind wir denn schon zusammengetroffen?« fragte der Köhler, dem die offene Sprache des Jünglings nicht zu mißfallen schien.
»Das wäre ohne Zweifel mit der Zeit geschehen,« bemerkte Georg. »Wenn ich angefangen hätte den Forst nach dieser Gegend hin zu durchstreifen, was ich mir schon lange vorgenommen, so wäre ich notwendig auf Euch gestoßen. Es ist aber besser, daß ich Eure Bekanntschaft auf diese Weise mache. Olivier hat Euch mir gerühmt, und Olivier rühmt und preist nicht leicht jemand. Wenigstens habe ich ihn viel öfter tadeln als loben hören.«
»Mein Sohn, wer die Welt kennt, findet auch wenig an ihr zu loben.«
»Was