Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg

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hier dem Greise und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr.

      »Noch nicht!« entgegnete dieser abwehrend.

      Sie gingen den Waldpfad weiter bis er auf einen freien Platz mitten im dichten Forst ausmündete. Auf diesem Platze lag ein Trümmerhaufen; es schienen hier die Reste eines uralten Bauwerkes sich dem Beobachter darzustellen, anziehend genug, um einige Augenblicke zu verweilen. Die drei Wanderer nahmen einen Rasensitz ein, der sich in der Nähe dieser merkwürdigen alten Steine befand.

      »Dies war ein heidnischer Opferaltar,« erklärte der Greis, »und auf dieser Stelle floß einst das Blut von Menschenopfern. O Freunde, wir leben auf einem merkwürdigen Platze der Erde. Dieser Boden ist gleichsam mit Geheimnissen bedeckt. Geh, Olivier, und öffne den verborgenen Eingang.«

      Der Befehl wurde ausgerichtet. Hinter einem der Trümmerhaufen wurde eine morsche Falltür sichtbar, und nachdem man sich mit einer kleinen Blendlaterne ausgerüstet hatte, ermahnte der Köhler die jungen Leute, vorsichtig die Stufen hinabzusteigen, und folgte ihnen. Der Gang war gewölbt und niedrig und führte tief unter die Erde. Ein Toben und Tosen, wie von verschlossenen unterirdischen Wassern, füllte das Ohr und erzeugte in der Seele undeutliche Vorstellungen von nahen Schrecken und von drohender Gefahr.

      »Folge mir nur kecklich,« sagte Olivier, indem er die Hand des Gefährten an sich zog. »Ich bin diesen Weg schon oft gegangen.«

      Der Köhler blieb auf einem Vorsprunge stehn, Olivier hob die Leuchte, als wollte er den Zögernden zur Eile mahnen; doch jener rührte sich nicht. Die Jünglinge gingen noch einige Stufen hinab, dann blieben sie wieder stehen und schauten sich nach ihrem Begleiter um. Die graue Gestalt stand oben unbeweglich. Jetzt eilten sie zurück, und wie sie mit der Kerze hinleuchteten, sahen sie zu ihrem Schrecken daß das, was sie für die Gestalt des Köhlers gehalten, ein Teil der grauen Felswand war. Der Greis war verschwunden. Zu gleicher Zeit war der Ausgang verschlossen worden.

      »Er hat uns hier allein gelassen, der Alte!« sagte Olivier mit einem leichten Schauder zu seinem Gefährten.

      »Allein? In dieser grausenvollen Höhle?« sagte Georg.

      »Es ist nicht so schlimm!« bemerkte der Freund. »Komm, folge mir; ich weiß hier Bescheid. Du bist doch nicht furchtsam?«

      »Furcht?« sagte Georg, im feuchten Gange weitertappend, »Furcht gerade fühle ich nicht! Aber ich möchte über den Alten zürnen, daß er sich erlaubt hat, mit uns seinen Scherz zu treiben.«

      »Du kennst ihn schlecht, wenn du ihm dergleichen zutraust, Georg. Er handelt bei seinem geringsten Tun und Lassen nach den Gesetzen, die ihm die tiefste und erhabenste Weisheit vorschreibt. Wenn du ihm nähertreten willst, so mußt du ihm blind gehorchen und ohne Rückhalt ihm vertrauen. So bin ich sein Schüler geworden, und ich bereue es nicht.«

      »Halte mich hier!« rief Georg, »mir schwindelt. Was ist das für eine dunkle Tiefe, in die wir hinabschauen?« –

      »Das ist der See Genezareth.«

      »Ein See?« –

      »Dessen Tiefe noch kein Senkblei ermessen hat.«

      »Wie grausenvoll! Welch eine Stille, kein Laut regt sich! Alles schwarz, alles ohne Klang und Farbe! Hier könnte ich nicht lange aushalten.«

      »Was die Nacht liebt, findet sich auch hier zurecht!« sagte Olivier, und seine Stimme klang leise und geheimnisvoll. Dennoch weckte diese gedämpfte Stimme ein Echo, und es war, als sprächen drüben über dem See einige umherwandelnde Personen.

      »Sind wir nicht allein hier?« fragte Georg.

      »Ein Eingeweihter ist nie allein,« entgegnete der Gefragte. »Wenn ihn nicht die lebenden Genossen umgeben, so tun dies die verstorbenen. Gib mir die Hand und folge mir diese engen Stufen hinab, die uns zum Ufer des Sees führen. Fasse mit der andern Hand das Seil, das an der Felswand angebracht ist, doch greife daran so leicht wie möglich, es ist naß und sein Anschlagen an die Steine bringt an diesem Orte der Stille ein dumpfes Donnern hervor.«

      Als sie unten angelangt waren, bestiegen sie einen Nachen, und Olivier setzte ein Ruder in Bewegung. Die Leuchte wurde mitten in den Kahn gesetzt, und zwar so sicher geschützt, daß sie nicht umfallen und auslöschen konnte; denn die Gefahr wäre groß gewesen, wäre dies geschehen. Auf dem dunkeln Gewässer dahinfahrend, war es Georg, als sähe er darauf Phantome seltsamer Art schwimmen. Bald waren es bleiche Totenantlitze, die mit geschlossenen Augen aus der dunkeln Flut tauchten und aufgerichtet dahinglitten, bald waren es blutige Hände, die aus der Tiefe heraufgriffen. Der einsame und spärliche Lichtstrahl gab nur ungewisse Umrisse dieser Schrecknisse zu erkennen. Das Niedertauchen der Ruderstange und das Abfallen der Tropfen von der gehobenen Schaufel verursachte ein Geräusch, als flüsterten und wimmerten Stimmen aus der Nacht herüber. Endlich gelangte der Nachen an ein steiniges Ufer, und die Jünglinge stiegen aus. Olivier befestigte das Fahrzeug. Ein roh gearbeitetes Portal zeigte sich, einige Stufen führten in die Höhe, und eine mit Eisen beschlagene Pforte, auf der eine Inschrift angebracht war, gab den Blicken einen neuen Gegenstand der Beachtung. Olivier bückte sich zu Boden, einen Gegenstand suchend; er fand ihn, es war ein Schlüssel, mit dem er die Pforte öffnete. Ein kalter Zugwind, vermischt mit Moderdüften, wehte ihnen entgegen. Eine Halle, von sechs Säulen getragen, bot ihren mit regelrechten Steintafeln gepflasterten Boden den Eintretenden. Seltsam hallten die Tritte wider, doch war der Schall hier begrenzter, und es ließ sich deutlich unterscheiden, daß ein geschlossener Raum sie erzeugte.

      »Hier«, sagte Olivier, indem er sich an eine Säule lehnte, »siehst du den uralten Bau der Templer, wie ihn Hugo von Payens, der Gründer und erste Meister des schottischen Ordens, gebaut hat. Mit Robert Bruce durchs Land ziehend, fand er hier an dem äußersten Ende Schottlands, unter den Felsen, die das Meer bespült und die Nacht in Schrecken einhüllt, die passende Stätte, um den Brüdern der Nacht zu entgehen, die ihm nachstellten. Hierher rettete er den Kern des Ordens, die wenigen Getreuen, die ihm anhingen, und hierher brachte er auch die heiligen Symbole, die die Weisheit der Brahminen als ein kostbares Erbe uns hinterlassen hat. Der Orden der Templer ist aufgelöst, wenigstens ist das, was in der Welt noch dafür gilt, ein elendes Gaukelspiel, ein armseliges Scheinbild: der echte wahre Orden existiert jedoch noch hier. Hier sind seine Schätze, seine Trophäen, seine Gesetzestafeln. Alle zehn Jahre, stets im ersten wachsenden Monat der zweiten Jahreshälfte, kommen aus allen Teilen der Erde, aus Nord und Süd, von Aufgang und Niedergang die Brüder, die alten, ehrwürdigen Templer, um hier ihr Gelübde zu erneuen. Denn wisse, der Sarkophag, den ich dir gleich zeigen werde, enthält die Asche eines edlen Märtyrers, ein treuer Bote brachte sie uns, von dem Holzstoß gesammelt, auf dem die Wüteriche ihn gerichtet. Diese teuren Überreste ruhen neben denen Hugo von Payens, des Stifters des Ordens. Diesen Sitz haben die Jesuiten für sich umgeschaffen.«

      Als Olivier diese Worte gesprochen, trat er in eine Seitenhalle, und seinen Genossen mit sich fortziehend, schritten beide über ein aus Marmor gearbeitetes, riesiges menschliches Skelett, das auf dem Boden lag.

      »Komm, komm!« rief der Jüngling, »erschrick nicht! Was du siehst, diente rohen, wilden Jahrhunderten zu notwendigen Prüfungen. Ein Templer mußte mit den Schrecknissen des Grabes so vertraut sein wie mit der Zelle, in der er täglich arbeitet und schläft.«

      Auf einem Würfel von schwarzem Basalt erhob sich der Sarkophag, von dem Olivier eben gesprochen hatte.

      Sechs verhüllte weibliche Gestalten saßen auf den Stufen desselben. Olivier drückte auf eine Feder, die sechs Figuren versanken in den Boden, und statt ihrer erschienen ebenso viele geharnischte Männer, zugleich hob sich langsam der Deckel des Sarkophags, und eine Gestalt, in lange Gewänder gehüllt, erstand aus der Tiefe der nächtlichen Behausung.

      Olivier beugte sein Haupt. Georg stand da und wußte nicht, ob er seinen Augen trauen sollte. Langsam verschwanden die Gebilde wieder, und das Grab nahm seine frühere Gestalt wieder an. »Erkläre mir alles das!« flüsterte Georg, doch ein bedeutsamer Wink und das ernste Auge des Gefährten hießen ihn seine Neugier aufgeben. Beide traten jetzt in eine zweite, größere Halle, und diese war augenscheinlich zu Zusammenkünften eingerichtet. Auf einem Altar thronte ein Gegenstand, der sorgsam verhüllt war. Die Sitze aus Stein, in einem Halbkreise


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