BLUT, SCHWEISS UND TRÄNEN (The End 5). G. Michael Hopf

BLUT, SCHWEISS UND TRÄNEN (The End 5) - G. Michael  Hopf


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die ihn davon hatte überzeugen wollen, dass dieses Bild statt einer Muskete oder eines ausgestopften Wildtiers dorthin gehöre, die ihm wesentlich lieber gewesen wären. Aber schließlich hatte er doch nachgegeben und ihr ihren Willen gelassen. Das Leben war zu kurz zum Streiten, hatte er damals gedacht. Wenn es sie glücklich machte, etwas von ihrem Lieblingsmaler an einen Platz zu hängen, wo es jedem auffiel, wie hätte er ihr dies verleiden können? Während er nun über jene Entscheidung nachdachte, war er froh darüber, dass er sich hatte breitschlagen lassen. Denn der Anblick des Gemäldes erinnerte ihn an sie und rief ihm noch einmal ins Bewusstsein, wie wundervoll sie gewesen war. Er bedauerte, dass sie über den Haushalt hinaus kein vergleichbares Temperament an den Tag gelegt hatte, was ein Grund dafür gewesen war, dass er einige Male in schlimme Schwierigkeiten geraten war.

      Haley berührte ihn am Knie. »Dad?«

      Plötzlich aus seinen Erinnerungen gerissen entschuldigte sich Gordon: »Tut mir leid, ich bin wohl in Gedanken abgeschweift. Das dort drüben war nämlich das Lieblingsbild eurer Großmutter.«

      »Irgendwie passt es nicht wirklich hierher«, fand Sebastian, während er es betrachtete. »Wer ist denn die Person auf dem Bild?«

      »Anastasia, eine russische Zarin«, erklärte ihm Gordon. »Stilistisch wurde es der Ikonenmalerei angelehnt, wie man sie oft in orthodoxen Kirchen gesehen hat.«

      »Ach so, dann ergibt es Sinn.« Sebastian neigte den Kopf zur Seite. Nun da er ein wenig mehr über das Gemälde wusste, erkannte er auch dessen Wert.

      »Ist übrigens ein Original. Dafür musste ich damals eine ganz schöne Stange Geld hinlegen«, fuhr Gordon fort.

      »Und jetzt ist es wertlos«, meinte Hunter.

      »Ganz im Gegenteil.« Gordon nahm das Kunstwerk in Schutz. »Für mich ist es unbezahlbar, und ich bin mir sicher, mancher würde jetzt einen unglaublich hohen Betrag dafür hinblättern. Smirnoff war ein renommierter Maler des ausgehenden 20. Jahrhunderts.«

      »Wie dem auch sei, bitte erzähl doch weiter davon«, bat Hunter, »was in Mountain Home geschah.«

      »Zuvor möchte ich aber nochmals betonen, dass man sich im Leben auf keinen Fall nur von seinen Gefühlen leiten lassen darf. Denn man definiert sie dann anders, um sie zu beschönigen, nämlich als Leidenschaft, aber ich sage euch: Zu viel davon bringt euch in Teufels Küche. Damit will ich niemandem verbieten, Spaß zu haben und Abenteuer zu wagen, sondern ich meine damit nur, dass ihr alle eure Sinne gebrauchen sollt, nicht zuletzt den Verstand. Lasst eure Herzen sprechen, aber stellt den Kopf nicht hintenan.«

      »Also denken, bevor man handelt«, entgegnete Sebastian.

      »Genau, aber trainiert euer Gehirn, damit es das schnell tut, denn darauf kommt es an. Als Beispiel dafür werde ich euch von meiner Diskussion mit eurer Großmutter erzählen, als es um genau dieses Bild da ging. Ich wollte unbedingt einen ausgestopften Tierkopf oder ein altertümliches Gewehr aufhängen. Wisst ihr, dieses alte Haus sollte in meinen Augen wie eine Berghütte eingerichtet werden, doch meiner Sam schwebte es stets vor, dieses Gemälde dort anzubringen und dazu noch andere Sachen wie die gebeizten Hölzer, Vorhänge und Teppiche … Das alles waren ihre Wünsche, nicht meine. Sie dachte immer, eine Berghütte solle eher stylish aussehen, wie sie es nannte. Ich habe gerade zwar Diskussion gesagt, aber in Wirklichkeit stritten wir miteinander. Für mich war der Kamin so etwas wie eine letzte Bastion, um mich durchzusetzen, doch letzten Endes ließ ich mich weichklopfen und mittlerweile bin ich froh deswegen. Denn wenn ich mir die Wohnung anschaue, sehe ich überall, wohin ich mich auch umdrehe, Samantha. Ich hätte auf meinem Standpunkt beharren und wütend werden können, mich von meinem Stolz und Siegesdrang übermannen lassen können, habe es aber nicht getan. Und ich kann gar nicht deutlich genug betonen, wie glücklich ich darüber bin, zuerst nachgedacht zu haben, bevor ich etwas Dummes getan und Unsinn gesagt hätte. Wäre ich bloß zu anderen Gelegenheiten genauso klug gewesen.«

      Hunter und Sebastian nickten beide, während sie ihm aufmerksam zuhörten.

      Haley ließ sich zu einem Lächeln hinreißen und strahlte immer mehr, je länger Gordon von Samantha, ihrer Mutter, schwärmte.

      Er hob sein Glas wieder und stürzte dann den Rest Scotch hinunter. Anschließend beugte er sich nach vorne, um es auf den Tisch zu stellen, und reckte sich. »An jenem Morgen war es sehr kalt, genauer gesagt zum ersten Mal unter null Grad. Wir hatten drei Wochen lang Leute nach Mountain Home geschickt, die sich als Flüchtlinge ausgeben sollten. Unser Plan bestand darin, jemanden im Inneren zu haben, um eine kleine Rebellion unter den Zivilisten, die dort lagerten, anzetteln zu können. Dabei fanden wir allerdings etwas heraus, womit ich nie im Leben gerechnet hätte. Es war grässlich; die Camps des Katastrophenschutzes hätte man eigentlich treffender Vernichtungslager nennen sollen. Denn wie man dort die Menschen verwahrlosen ließ, war kaum zu fassen. Die Darstellung in den Geschichtsbüchern unterscheidet sich erheblich von dem, was an jenem Tag tatsächlich dort geschah.«

      »Und warum?«

      »Es handelte sich zwar um einen maßgeblichen Sieg, aber nicht um eine glorreiche Schlacht. Die US-Truppen vor Ort hatten nichts mehr auf den Rippen und überhaupt keinen Kampfgeist mehr. Diejenigen, die wir eingeschleust hatten, gingen genau nach Plan vor, und animierten die Bewohner der Lager zu einer Revolte, denn das war die perfekte Ablenkung für uns. Während sich alle auf die Ausschreitungen konzentrierten, rückten wir zum Stützpunkt vor.«

       Daraufhin hielt Gordon inne. Er rieb sich mit seinen zittrigen Händen über die Augen und an der Stirn, ehe er den Kopf zur Seite drehte, um hinauszuschauen.

      Hunter suchte erst Haleys Blick und sah dann Sebastian an, der nur mit den Achseln zuckte, um auszudrücken, dass er auch nicht wusste, was mit Gordon los war.

      Nach dieser angespannten Pause fuhr der alte Mann fort: »Ich sehe die Kinder immer noch ganz genau vor mir … die armen Kinder.« Erneut beugte er sich nach vorne, griff zur Flasche und schenkte sich noch einen Scotch ein. Dann setzte er das Glas mit einer fahrigen Bewegung an die Lippen und trank hastig. Nachdem er sich den Mund abgewischt hatte, sprach er weiter: »Ich ärgerte mich zwar darüber, was mit Sebastian passiert war, doch zu sehen, wie diese unschuldigen Kinder einfach so niedergeschossen wurden, brachte mich endgültig zum Ausrasten, und zwar vollkommen.«

      28. Oktober 2015

      »Nicht für deinen Zorn wirst du bestraft, sondern von deinem Zorn.«

      Buddha

      Luftwaffenstützpunkt Mountain Home, Idaho

      Der kühle Wind kam Gordon sehr gelegen, obwohl er dadurch fror, erfrischte er ihn auch ein wenig, während sein Körper so viel Hitze abgab. Eine Mischung aus Schweiß und Blut lief an seinem Gesicht hinunter und tränkte den Kragen seines Shirts. Das Blut war nicht sein eigenes, sondern stammte von denjenigen, die er niedergestreckt hatte. Rings um ihn herum beseitigte man gerade die letzten Spuren der gegnerischen Streitkräfte und tötete die Überlebenden, ausgenommen die Befehlshaber. Diese waren in ihrer ausweglosen Situation, weil sie der Überraschungsangriff von Gordon und seiner Kaskadischen Armee kalt erwischt hatte, kurzerhand in das zweistöckige Gebäude der Kommandozentrale geflohen.

      Dieses hatte während des Gefechts ebenfalls gelitten. Viele Fenster waren zerbrochen, die äußeren Betonmauern voller Einschusslöcher. An der rechten Hinterseite loderte ein kleines Feuer, Rauch quoll heraus und stieg in den grauen Himmel auf.

      Gordon wusste, dass sich die Flammen ausbreiten würden, sodass sich sein Gegner bald stellen musste. Diese Menschen so zu nennen beziehungsweise sie als solche anzusehen kam ihm immer noch merkwürdig vor. Denn vor nicht allzu langer Zeit hatte er sie noch als Landsleute betrachtet, doch seit Sebastian durch Conners Hand ums Leben gekommen war, fehlte ihm nun jegliche persönliche Verbindung zu ihnen.

      Obwohl er über eine beachtliche dreitausendfünfhundert Mann starke Armee verfügte, war es schwierig, eine befestigte Stellung mit einem Truppenverband anzugreifen und diese einzunehmen. Wegen dieser Vorkenntnis hatte er beschlossen, eine List anzuwenden, um die Verteidiger drinnen unvorbereitet zu treffen. Während der vorangegangenen paar


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