Der Gott, der uns nicht passt. Tobias Wolff

Der Gott, der uns nicht passt - Tobias  Wolff


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fremder und ferner als das Neue Testament. Ein rechtes Verständnis des AT sei eben erst „durch einige Denkarbeit“ zu bewältigen, wie der Alttestamentler Siegfried Herrmann (1926–1999) erklärte. Er berichtet von einem älteren Pfarrer, welcher zugab, er sei froh, nicht über die Sintflut predigen zu müssen, denn da wisse er nicht, was er sagen sollte und kommentierte, es sei

      7 AT und NT!

      Gott begann sein Schöpfungswerk mit einer bedeutenden Trennung (Gen 1,4b): Licht und Finsternis sollten sich nicht mischen. Damit ist zunächst nicht mehr gesagt, als dass der Wechsel des Tages- und Nachtrhythmus eingeführt wird. Die Trennung des Lichtes von der Finsternis bewirkte aber nicht nur die Unterscheidung von Tag und Nacht, sondern auch von Gut und Nicht-Gut, denn Gott sah, dass das Licht gut war, und trennte das Licht von der Finsternis. Der qualitative Unterschied von Licht und Finsternis ist im Alten Testament so ausgeprägt, dass Licht identisch mit Glück und Segen (Am 5,20 u. ö., Ps 27,1 u. ö.), Finsternis mit Fluch und Verderben (z. B. Hiob 30,26) gebraucht werden können. Wenn Jahwes Heil kommt, „dann wird im Dunkeln dein Licht erstrahlen“ (Jes 58,10). Die Schöpfung beginnt also mit einer Grenzziehung und so geht es auch weiter in den nächsten Werken. Fünfmal kehrt das Verb kadal hif. „trennen, unterscheiden“ hier wieder (Gen 1,4.6.7.14.18)! Das Verb beschreibt ein Auseinanderhalten von ungleichen Dingen und ein Aussondern für bestimmte Aufgaben (Lev 10,10; 11,47; 20,25; Lev 20,24.26). Diese schöpfungsgemäße Trennung galt für Israel auch auf anderen alltäglichen Gebieten (Viehzucht, Ackerbau, Gewerbe, Geschlechter, vgl. Dtn 22,5 oder Lev 19,19. Das Leben mit und für Gott erfordert Anderssein (Heiligung), d. h. unter Umständen auch Trennung von bestimmten Dingen.

      Nicht alle Teile des AT sind von normativer Bedeutung für uns heute. Aber jeder Text hat irgendeine theologische Relevanz, kurz: Man kann das AT nicht „amputieren“. Man muss aber feststellen, dass viele historisch-kulturell festgelegte Bestimmungen uns nicht direkt betreffen können, weil unsere Lebenssituation eine ganz andere ist. Lev 25 etwa beschreibt das Vorgehen bei Besitzveräußerung, das Sabbat- bzw. Jobeljahr, die Löserpflicht, das Sklavenrecht etc. Aber das dahinter liegende Prinzip ist sehr gerecht und sozial: Es sollte mit all dem verhindert werden, dass riesige Ländereien in die Hände weniger Großgrundbesitzer fallen, die eine immer größere Zahl verarmter Bauern aus ihrem Erbbesitz vertreiben oder ausbeuten.

      Egal, wie man zur historischen/naturwissenschaftlichen Glaubwürdigkeit steht, grundlegend ist immer die theologische Aussage dahinter. Den Schöpfungsbericht verstehen manche als wörtlichen Tatsachenbericht, manche lehnen ihn als wissenschaftliches Modell ab – in jedem Fall aber ist seine theologische Aussage autoritativ für Christen, die wie das Volk Israel im Alten Bund zur Heiligung gerufen sind. Echte „Heiligung“, d. h. Absonderung, zieht die Menschen an, statt sie abzustoßen (das verbindet auch mit dem NT [Röm 12,2]):

      Siehe, ich habe euch Satzungen und Rechte gelehrt, so wie Jahwe, mein Gott, mir geboten hat, damit ihr also tut inmitten des Landes, wohin ihr kommet, um es in Besitz zu nehmen. Und so beobachtet und tut sie! Denn das wird eure Weisheit und euer Verstand sein vor den Augen der Völker, welche alle diese Satzungen hören und sagen werden: Diese große Nation ist ein wahrhaft weises und verständiges Volk. Denn welche große Nation gibt es, die Götter hätte, welche ihr so nahe wären, wie Jahwe, unser Gott, in allem, worin wir zu ihm rufen? Und welche große Nation gibt es, die so gerechte Satzungen und Rechte hätte, wie dieses ganze


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