August Bebel - Die Frau und der Sozialismus. Bebel August
aufzuerlegen. Aus solchen Zuständen erklärt sich die historisch beglaubigte Tatsache, daß in dem von unseren Romantikern als so fromm und sittsam dargestellten Mittelalter zum Beispiel 1414 auf dem Konzil zu Konstanz nicht weniger als 1500 fahrende Frauen anwesend waren.
Diese Zustände traten aber keineswegs erst beim Verfall des Mittelalters auf, sie begannen schon frühzeitig und gaben unausgesetzt zu Klagen und Verordnungen Anlaß. So erließ im Jahre 802 Karl der Große eine Verordnung, in der es hieß: »Die Frauenklöster sollen streng bewacht werden, die Nonnen dürfen nicht umherschweifen, sondern sollen mit größtem Fleiß verwahrt werden, auch sollen sie nicht in Streit und Hader untereinander leben und in keinem Stück den Meisterinnen oder Äbtissinnen ungehorsam oder zuwider handeln. Wo sie aber unter eine Klosterregel gestellt sind, sollen sie dieselbe durchaus einhalten. Nicht der Hurerei, nicht dem Volltrinken, nicht der Habsucht sollen sie dienen, sondern auf jede Weise gerecht und nüchtern leben. Auch soll kein Mann in ihr Kloster eintreten, als bloß zur Messe, und dann soll er gleich wieder weggehen.« Und eine Verordnung vom Jahre 869 bestimmte: »Wenn Priester mehrere Frauen halten, oder das Blut von Christen oder Heiden vergießen, oder die kanonische Regel brechen, so sollen sie des Priestertums beraubt werden, weil sie schlechter sind als Laien!« Die Tatsache, daß in jener Zeit der Besitz mehrerer Frauen den Priestern verboten wurde, spricht dafür, daß noch im neunten Jahrhundert Ehen mit mehreren Frauen keine Seltenheit waren. In der Tat bestanden keine Gesetze, die dieses verboten.
Ja, noch später, zur Zeit der Minnesänger, im zwölften und dreizehnten Jahrhundert, fand man den Besitz mehrerer Frauen nicht anstößig. So heißt es zum Beispiel in einem Gedicht Albrechts von Johansdorf in der Sammlung »Minnesangs-Frühling« 48:
waere ez niht unstaete
der zwein wîben wolte sîn für eigen jehen,
bei diu tougenlîche? sprechet, herre, wurre ez iht?
(man sol ez den man erlouben und den vrouwen nicht.)
Besonders verhängnisvoll für den moralischen Zustand der Zeit wirkten auch die Kreuzzüge, die Zehntausende von Männern auf Jahre der Heimat fern hielten und die namentlich im oströmischen Reich Sitten kennenlernten, die bis dahin in Westeuropa so gut wie unbekannt waren.
Die Lage der Frauen wurde auch dadurch besonders ungünstig, daß neben den Hindernissen, die allmählich die Verehelichung und die Niederlassung erschwerten, ihre Zahl die der Männer bedeutend überschritt. Als besondere Ursachen sind in erster Linie anzusehen die zahlreichen Kriege, Kämpfe und Fehden und die gefahrvollen Handelsreisen jener Zeit. Ferner war infolge von Unmäßigkeit und Völlerei die Sterblichkeit der Männer größer, und die aus dieser Lebensweise hervorgehende erhöhte Dispostion zu Krankheiten und Tod machte sich besonders geltend während der Pest, die im Mittelalter so häufig wütete. So zählte man in dem Zeitraum von 1326 bis 1400 zweiunddreißig, von 1400 bis 1500 einundvierzig und von 1500 bis 1600 dreißig Pestjahre 49.
Scharen von Frauen trieben sich auf den Landstraßen als Gauklerinnen, Sängerinnen, Spielerinnen, in Gesellschaft von fahrenden Schülern und Klerikern, umher und überschwemmten die Messen und Märkte. In den Heeren der Landsknechte bildeten sie besondere Abteilungen mit ihrem eigenen Weibel und wurden, dem Zunftcharakter der Zeit entsprechend, zünftlerisch organisiert und nach Schönheit und Alter den verschiedenen Chargen zugewiesen. Bei schwerer Strafe durften sie sich außerhalb dieses Kreises keinem hingeben. In den Lagern mußten sie mit den Troßbuben Heu, Stroh und Holz herbeischleppen, Gräben, Teiche und Gruben ausfüllen, die Reinigung des Lagers besorgen. Bei Belagerungen hatten sie mit Reisig, Wellen und Büscheln die Gräben auszufüllen, um das Stürmen zu erleichtern; sie waren behilflich, die Geschütze in Position zu bringen, und mußten sie, wenn diese in den grundlosen Wegen steckenblieben, an der Fortschaffung derselben helfen 50.
Um dem Elend dieser zahlreichen hilflosen Frauen einigermaßen entgegenzuwirken, errichtete man seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts in vielen Städten sogenannte Beguinenanstalten, die unter städtischer Verwaltung standen. In diesen untergebracht, waren sie gehalten, einen anständigen Lebenswandel zu fuhren. Aber weder waren diese Anstalten noch die zahlreichen Frauenklöster imstande, alle Hilfesuchenden aufzunehmen.
Die Eheerschwernisse, die Reisen der Fürsten, der Herren weltlichen und geistlichen Standes mit ihrem Troß an Rittern und Knechten, die nach den Städten kamen, die Männerjugend in den Städten selbst, nicht zu vergessen die verheiratete Männerwelt, die lebenslustig, von Skrupeln nicht berührt, nach Abwechslung im Lebensgenuß trachtete, schufen auch in den Städten des Mittelalters das Bedürfnis nach Prostitution. Und wie jedes Gewerbe in jener Zeit organisiert und reguliert wurde und ohne Zunftordnung nicht bestehen konnte, so geschah das auch mit der Prostitution. Es gab in allen größeren Städten Frauenhäuser, die städtisches, landesfürstliches oder kirchliches Regal waren, deren Reinerträge in die bezüglichen Kassen flossen. Die Frauen in diesen Häusern hatten eine selbstgewählte Altmeisterin, die auf Zucht und Ordnung zu sehen und insbesondere eifrig darüber zu wachen hatte, daß nichtzünftige Konkurrentinnen, die »Bönhasen«, dem legitimen Geschäft nicht schadeten. Im Falle des Ertapptwerdens wurden sie behördlich bestraft. So beschwerten sich die Bewohnerinnen eines Nürnberger Frauenhauses über ihre nichtzünftigen Konkurrentinnen bei dem Magistrat, »daß auch andere Wirte Frauen halten, die nachts auf die Gassen gehen und Ehemänner und andere Männer beherbergen und solches (ihr Gewerbe) inmaßen und viel gröber denn sie es halten, in dem gemeinen (zünftigen) Tochterhaus, daß solches zum Erbarmen sei, daß solches in dieser löblichen Stadt also gehalten werde« 51. Die Frauenhäuser genossen besonderen Schutz; Ruhestörungen in ihrer Nähe wurden doppelt hart geahndet. Auch hatten die weiblichen Zunftgenossen das Recht, bei Prozessionen und Festlichkeiten, bei denen die Zünfte stets mitwirkten, ebenfalls im Zuge zu erscheinen. Nicht selten wurden sie auch zu fürstlichen und Ratstafeln als Gäste gezogen. Die Frauenhäuser wurden für dienlich erachtet, »zu besserer Bewahrung der Ehe und der Ehre der Jungfrauen«. Das ist dieselbe Begründung, mit der man in Athen die Staatsbordelle rechtfertigte und noch heute die Prostitution entschuldigt. Indes fehlte es auch nicht an gewalttätigen Verfolgungen der Freudenmädchen, die ausgingen von derselben Männerwelt, die durch ihre Anforderungen und ihr Geld die Prostituierten unterhielten. So verordnete Kaiser Karl der Große, daß eine Prostituierte nackt auf den Markt geschleppt und ausgepeitscht werden solle; er selbst, der »allerchristlichste« König und Kaiser, hatte nicht weniger als sechs Frauen auf einmal; auch waren seine Töchter, die offenbar dem Beispiel des Vaters folgten, keineswegs Tugendboldinnen. Sie bereiteten ihm durch ihren Lebenswandel manche unangenehme Stunde und brachten auch mehrere uneheliche Kinder ihm heim. Alkuin, Karl des Großen Freund und Ratgeber, warnte seine Schüler vor den »gekrönten Tauben, die nächtlich durch die Pfalz fliegen«, worunter er des Kaisers Töchter verstand.
Dieselben Gemeinwesen, die das Bordellwesen offiziell organisierten und es unter ihren Schutz nahmen und den Priesterinnen der Venus allerlei Privilegien einräumten, verhängten die härtesten und grausamsten Strafen über eine arme, verlassene Gefallene. Die Kindsmörderin, die aus Verzweiflung ihre Leibesfrucht getötet hatte, wurde den grausamsten Todesstrafen unterworfen, nach dem gewissenlosen Verführer krähte kein Hahn. Er saß vielleicht mit im Gericht, welches über das arme Opfer das Todesurteil fällte. Dergleichen kommt noch heute vor 52. Auch der Ehebruch der Frau wurde aufs härteste bestraft, der Pranger war ihr mindestens sicher, aber über den Ehebruch des Mannes wurde der Mantel christlicher Liebe gedeckt.
In Würzburg schwor der Frauenwirt dem Magistrat: »Der Stadt treu und hold zu sein und Frauen zu werben.« Ähnlich in Nürnberg, Ulm, Leipzig, Köln, Frankfurt usw. In Ulm, in dem 1537 die Frauenhäuser aufgehoben wurden, beantragten 1551 die Zünfte wieder ihre Einführung, »um größeres Unwesen zu verhüten«! Hohen Fremden wurden auf Stadtkosten Freudenmädchen zur Verfügung gestellt. Als König Ladislaus 1452 in Wien einzog, sandte