August Bebel - Die Frau und der Sozialismus. Bebel August
was dazu dient, gegeben und eingesetzt. Wer nun diesem wehren will und nicht lassen gehen, wie Natur will, und was tut er anders, denn er will wehren, daß Natur nicht Natur sei, daß Feuer nicht brenne, Wasser nicht netze, der Mensch nicht esse, noch trinke, noch schlafe?« Und in seiner Predigt vom ehelichen Leben sagt er: »Also wenig als in meiner Macht steht, daß ich kein Mannsbild sei, also wenig steht es auch dir, daß du ohne Mann seiest, denn es ist nicht eine freie Willkür oder Rat, sondern ein nötig natürlich Ding, daß alles, was ein Mann ist, muß ein Weib haben, und was ein Weib ist, muß einen Mann haben.« Luther spricht sich aber nicht bloß in dieser energischen Weise für das Eheleben und die Notwendigkeit des Geschlechtsverkehrs aus, er wendet sich auch dagegen, daß Ehe und Kirche etwas miteinander gemein haben. Er stand hierin ganz auf dem Boden der alten Zeit, die in der Ehe einen freien Willensakt der Beteiligten sah, der die Kirche nichts anging. Er sagt darüber: »Darum wisse, daß die Ehe ein äußerlich Ding ist, wie eine andere weltliche Hantierung. Wie ich nun mag mit einem Heiden, Juden, Türken, Ketzer essen, trinken, schlafen, gehen, reiten, kaufen, reden und handeln, also mag ich auch mit ihm ehelich werden und bleiben. Und kehre dich an der Narren Gesetze, die solches verbieten, nichts.... Ein Heide ist ebensowohl ein Mann und Weib, von Gott wohl und gut geschaffen, als St. Peter und St. Paul und St. Lukas, schweige denn als ein loser, falscher Christ.« Luther erklärte sich ferner, gleich anderen Reformatoren, gegen jede Beschränkung der Ehe und wollte auch die Ehe Geschiedener wieder zulassen, wogegen die Kirche sich sträubte. Er sagt: »Wie aber jetzt bei uns die Ehesachen oder ein Scheiden zu halten sei, hab' ich gesagt, daß man's den Juristen soll befehlen und unter das weltliche Regiment werfen, weil der Ehestand gar ein weltlich, äußerlich Ding ist.« Entsprechend dieser Anschauung wurde erst gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts die kirchliche Trauung bei den Protestanten Voraussetzung zu einer gültigen Ehe. Bis dahin galt die sogenannte Gewissensehe, das heißt die bloße gegenseitige Verpflichtung, sich als Mann und Weib anzusehen und ehelich zusammenleben zu wollen. Eine solche Ehe wurde nach deutschem Recht als legal angesehen. Luther ging sogar so weit, daß er dem in der Ehe unbefriedigt gebliebenen Teil – auch wenn dieser die Frau war – das Recht zusprach, sich außer der Ehe Befriedigung zu verschaffen, »damit der Natur Genüge getan werde, welcher man nicht widerstehen könne« 53 . Luther stellt hier Grundsätze auf, welche die lebhafte Entrüstung eines großen Teiles der »ehrbaren Männer und Frauen« unserer Zeit hervorrufen werden, die sich gerne in ihrem frommen Eifer auf Luther berufen. In seinem Traktat »Vom ehelichen Leben«, II, 146, Jena 1522, sagt er: »Wenn ein tüchtig Weib zur Ehe einen untüchtigen Mann überkäme und könnte doch keinen anderen öffentlich nehmen und wollte auch nicht gerne wider ihre Ehre tun, soll sie zu ihrem Manne also sagen: Siehe, lieber Mann, du kannst mein nicht schuldig werden und hast mich und meinen jungen Leib betrogen, dazu in Gefahr der Ehre und Seligkeit bracht, und ist für Gott keine Ehre zwischen uns beiden, vergönne mir, daß ich mit deinem Bruder oder nächsten Freund eine heimliche Ehe habe und du den Namen habst, auf daß dein Gut nicht an fremde Erben komme, und laß dich wiederum williglich betrügen durch mich, wie du mich ohne deinen Willen betrogen hast.« Der Mann, führt Luther weiter aus, habe die Pflicht, solches zu bewilligen. »Will er nicht, hat sie das Recht, von ihm zu laufen in ein ander Land und einen anderen zu freien. Wiederum wenn ein Weib die eheliche Pflicht nicht ausüben will, hat der Mann das Recht, eine andere zu beschlafen, nur soll er ihr es vorher sagen« 54. Man sieht, es sind sehr radikale und in unserer an Heuchelei und Prüderie so reichen Zeit sogar recht unsittliche Anschauungen, die der große Reformator entwickelt.
Luther sprach nur aus, was zu jener Zeit Volksauffassung war. So teilt Jakob Grimm mit 55:
»Da er ein Man were, der sinen echten wive ver frowelik recht niet gedoin konde, der sall si sachtelik op sinen ruggen setten und draegen sie over negen erstnine und setten sie sachtelik neder sonder stoeten, slaen und werpen und sonder enig quaed woerd of oevel sehen, und roipen dae sine naebur aen, dat sie inne sines wives lives noet helpen weren, und of sine naebur dat niet doen wolden of kunden, so sall he si senden up die neiste kermisse daerbi gelegen und dat sie sik süverlik toe make und verzere und hangen ör einen buidel wail mit golde bestickt up die side, dat sie selft wat gewerven kunde; kumpt sie dannoch wider ungeholpen, so help ör dar der duifel.«
Der Bauer des Mittelalters wollte in erster Linie durch die Ehe Erben haben, und vermochte er diese selbst nicht zu zeugen, so überließ er als praktischer Mann dieses Vergnügen ohne besondere Skrupel einem anderen. Die Hauptsache war, daß er seinen Zweck erreichte. Wir wiederholen: Der Mensch beherrscht nicht das Eigentum, das Eigentum beherrscht ihn.
Die aus den Schriften und Reden Luthers angezogenen Stellen über die Ehe sind um deswillen besonders wichtig, weil die darin geäußerten Anschauungen mit den in der Kirche heute herrschenden im schärfsten Widerspruch stehen. Die Sozialdemokratie kann sich in dem Kampfe, den sie mit der Geistlichkeit zu führen hat, mit vollstem Fug und Recht auf Luther berufen, der in Fragen der Ehe einen durchaus vorurteilsfreien Standpunkt einnimmt.
Luther und die Reformatoren gingen in der Ehefrage sogar noch weiter, allerdings aus opportunistischen Gründen, aus Gefälligkeit gegen die in Frage kommenden Fürsten, deren kräftige Unterstützung oder dauerndes Wohlwollen sie sich zu erwerben, beziehentlich zu erhalten suchten. Der reformationsfreundliche Landgraf von Hessen, Philipp I., besaß neben seiner legitimen Frau eine Geliebte, die nur unter der Bedingung, daß er sie heirate, ihm zu Willen sein wollte. Der Fall war heikel. Eine Scheidung von der Gemahlin ohne durchschlagende Gründe verursachte großen Skandal, und eine Ehe mit zwei Frauen zugleich war bei einem christlichen Fürsten der neueren Zeit ein unerhörtes Ereignis, das nicht minder Skandal verursachen mußte. Gleichwohl entschloß sich Philipp in seiner Verliebtheit für den letzteren Schritt. Es galt nur festzustellen, daß dieser Schritt nicht mit der Bibel im Widerspruch stand und die Zustimmung der Reformatoren, insbesondere Luthers und Melanchthons, fand. Zunächst begannen die Unterhandlungen des Landgrafen mit Butzer, der sich mit dem Plane einverstanden erklärte und versprach, Luther und Melanchthon zu gewinnen. Butzer motivierte seine Ansicht damit, daß er sagte: Mehrere Weiber zugleich zu besitzen, sei nicht wider das Evangelium. Paulus, der doch viel vermeldet, die das Reich Gottes nicht erben sollten, aber von denen, die zwei Weiber haben, tue er keine Meldung; Paulus sage vielmehr, »daß ein Bischof nur eines Weibes haben, desgleichen die Diener. Wär's nun Not gewesen, daß jeder haben solle ein Weib, so hätt' er's also geboten und mehr Weiber verboten«. Luther und Melanchthon schlossen sich diesen Gründen an und billigten die Doppelehe, nachdem auch des Landgrafen Frau unter der Bedingung in die Ehe mit der zweiten Frau willigte, »daß er die ehelichen Pflichten noch mehr als bisher gegen sie erfüllen werde« 56. Luther hatte schon früher die Frage nach der Berechtigung der Bigamie, als es sich um die Billigung einer Doppelehe Heinrichs VIII. von England handelte, Kopfschmerzen verursacht. Das geht aus einem Briefe an den sächsischen Kanzler Brink, Januar 1524, hervor, dem er schrieb: »Grundsätzlich freilich könne er, Luther, die Bigamie nicht verwerfen, denn sie widerstreite nicht der Heiligen Schrift 57, 58
Melanchthon mochte die Zustimmung zu der Doppelehe des Landgrafen weniger schwergefallen sein, denn er hatte schon früher an Heinrich VIII. geschrieben, »jeder Fürst habe das Recht, in seinem Gebiet die Polygamie einzuführen«. Aber die Doppelehe des Landgrafen machte so großes und unliebsames Aufsehen in seinem Lande, daß er – 1541 – eine Schrift verbreiten ließ, in der die Polygamie als nicht wider die Schrift verstoßend verteidigt wurde 59. Man lebte nicht mehr im neunten oder zwölften Jahrhundert, in denen noch Vielweiberei ohne Anstoß ertragen wurde. Die Doppelehe des Landgrafen von Hessen war übrigens nicht die einzige, welche in weiten Kreisen böses Aufsehen erregte. Solche fürstliche Doppelehen wiederholten sich sowohl im siebzehnten wie im achtzehnten Jahrhundert, wie noch gezeigt werden wird.
Wenn Luther