August Bebel - Die Frau und der Sozialismus. Bebel August
gemeinsame Sache der Männer des Stammes, jeder ist verpflichtet, das an einem Mitglied der Familiengenossenschaft durch Angehörige eines anderen Stammes begangene Unrecht zu rächen. Die Verteidigung der Frauen stachelt die Männer zur höchsten Tapferkeit an. So zeigten sich die Wirkungen des Mutterrechts in allen Lebensbeziehungen der alten Völker, bei den Babyloniern, den Assyrern, Ägyptern, bei den Griechen vor der Heroenzeit, bei den italischen Völkerschaften vor der Gründung Roms, den Skythen, den Galliern, den Iberern und Kantabrern, den Germanen usw. Die Frau nimmt zu jener Zeit eine Stellung ein, die sie seitdem nie mehr eingenommen hat. So sagt Tacitus in seiner »Germania«: »Die Deutschen glauben, daß dem Weibe etwas Heiliges und Prophetisches innewohne, darum achten sie des Rates der Frauen und horchen ihren Aussprüchen.« Über die Stellung der Frauen in Ägypten ist Diodor, der zur Zeit Cäsars lebte, höchlich entrüstet; er hatte erfahren, daß in Ägypten nicht die Söhne, sondern die Töchter ihre alternden Eltern ernährten. Er zuckt deshalb verächtlich über die Weiberknechte am Nil die Achseln, die den Angehörigen des schwächeren Geschlechts im häuslichen und im öffentlichen Leben Rechte einräumten und Freiheiten gestatteten, die einem Griechen oder Römer unerhört vorkommen mußten.
Unter dem Mutterrecht herrschte im allgemeinen ein Zustand verhältnismäßigen Friedens. Die Verhältnisse waren enge und kleine, die Lebenshaltung primitiv. Die einzelnen Stämme sonderten sich voneinander ab, aber respektierten gegenseitig ihr Gebiet. Wurde ein Stamm angegriffen, so waren die Männer zur Abwehr verpflichtet, und sie wurden hierin auf das kräftigste von den Frauen unterstützt. Nach Herodot nahmen die Frauen bei den Skythen am Kampfe teil; wie er behauptet, sollte die Jungfrau erst haben heiraten dürfen, nachdem sie einen Feind erschlagen hatte. Im allgemeinen waren in der Urzeit die physischen und die geistigen Unterschiede zwischen Mann und Weib weit geringere als in unserer Gesellschaft. Bei fast allen wilden und in der Barbarei lebenden Völkern sind die Unterschiede in dem Gewicht und der Größe des Gehirns geringer als bei den Völkern in der Zivilisation. Auch stehen bei diesen Völkerschaften die Frauen an Körperkraft und Gewandtheit den Männern kaum nach. Dafür spricht nicht nur das Zeugnis der alten Schriftsteller über die Völker, die dem Mutterrecht anhingen. dafür legen auch Zeugnis ab die Frauenheere der Aschantis und des Königs von Dahome in Westafrika, die sich durch Tapferkeit und Wildheit auszeichnen. Auch Tacitus' Urteil über die Frauen der alten Germanen und die Angaben Cäsars über die Frauen der Iberer und Schotten bestätigen dieses. Kolumbus hatte vor Santa Cruz ein Gefecht mit einer indianischen Schaluppe zu bestehen, in dem die Frauen ebenso tapfer wie die Männer kämpften. Bestätigt finden wir ferner diese Auffassung bei Havelock Ellis: »Unter den Andombies am Kongo haben, nach H. H. Johnstone, die Frauen hart zu arbeiten und schwere Lasten zu schleppen, führen jedoch ein ganz glückliches Leben. Sie sind oft kräftiger als die Männer, besser entwickelt und sollen oft geradezu herrliche Gestalten besitzen. Von den Manynema des Arruwimi, in derselben Gegend, sagt Parke: ›Es sind schöne Geschöpfe, besonders sind die Frauen sehr hübsch und können ebenso schwere Lasten tragen wie die Männer.‹ In Nordamerika sagte ein Indianerhäuptling zu Hearne: ›Die Weiber sind zur Arbeit geschaffen, eine von ihnen kann so viel tragen oder heben wie zwei Männer.‹ Schellong, der die Papuaner in dem deutschen Schutzgebiet von Neuguinea vom anthropologischen Standpunkte aus sorgfältig untersucht hat, fand die Frauen stärker gebaut als die Männer. In Zentralaustralien kommt es gelegentlich wohl vor, daß Männer ihre Frauen aus Eifersucht schlagen, aber bei solchen Anlässen ereignet es sich nicht selten, daß die Frau sich revanchiert und ohne Beihilfe dem Manne eine tüchtige Tracht Schläge verabfolgt. In Kuba fochten die Frauen an der Seite der Männer und erfreuten sich einer großen Unabhängigkeit. Bei einigen indischen Rassen, sowie bei den Pueblos Nordamerikas und den Patagoniern sind die Frauen ebenso groß wie die Männer, und auch bei den Russen besteht, was Körperlänge anbetrifft, kein so großer Unterschied zwischen den Geschlechtern wie bei Engländern oder Franzosen« 10.
Aber auch in der Gens führten die Frauen unter Umständen ein strenges Regiment, und wehe dem Manne, der zu träge oder zu ungeschickt war, um sein Teil zum allgemeinen Unterhalt beizutragen. Ihm wurde die Tür gewiesen, und entweder kehrte er zu seiner Gens zurück, in der man ihn schwerlich freundlich aufnahm, oder er trat in eine andere Gens, in der man duldsamer gegen ihn war.
Daß diesen Charakter noch heute das Eheleben der Eingeborenen im Innern Afrikas hat, erfuhr zu seiner großen Überraschung Livingstone, wie er in seinen »Missionary travels and researches in southern Africa«, London 1857, erzählt. Am Sambesi traf er auf die Balonda, einen schönen und kräftigen, ackerbautreibenden Negerstamm, bei dem er die ihm anfangs unglaublich geschienenen Mitteilungen der Portugiesen bestätigt fand, wonach die Frauen eine bevorzugte Stellung genießen. Sie sitzen im Rat; ein junger Mann, der heiratet, muß von seinem Dorf in das der Frau wandern; er verpflichtet sich dabei, die Mutter seiner Frau lebenslang mit Brennholz zu versorgen, falls es aber zur Trennung kommt, bleiben die Kinder das Eigentum der Mutter. Dagegen muß die Frau für die Nahrung des Mannes sorgen. Obgleich es nun zeitweilig zu kleinen Streitigkeiten zwischen Männern und Frauen kommt, fand Livingstone, daß die Männer sich nicht dagegen empörten, dagegen sah er, daß Männer, die ihre Frauen beleidigt hatten, in empfindlicher Weise, und zwar – am Magen gestraft wurden. Der Mann kommt nach Hause, erzählt er, um zu essen, aber eine Frau schickt ihn zu der anderen, und er erhält nichts. Müde und hungrig klettert er im volkreichsten Teil des Dorfes auf einen Baum und verkündet mit kläglicher Stimme: »Hört! Hört! Ich dachte, ich hätte Weiber geheiratet, aber sie sind mir Hexen! Ich bin ein Junggeselle, ich habe nicht ein einziges Weib! Ist das recht gegen einen Herrn wie ich!«
7. 9. Jahrgang 1891, S. 224 ff.
8. 12. Jahrgang 1893/94, S. 119.
9. Fr. Engels, Der Ursprung der Familie u. s. w.
10. Havelock Ellis, Mann und Weib. S. 3 bis 4. Leipzig 1894.
Zweites Kapitel
Kampf zwischen Mutterrecht und Vaterrecht
1. Das Aufkommen des Vaterrechts
Mit der zunehmenden Volkszahl entsteht eine Reihe von Schwestergentes, die wieder Tochtergentes das Leben geben. Diesen gegenüber erscheint die Muttergens als Phratrie. Eine Anzahl Phratrien bilden den Stamm. Diese soziale Organisation ist so fest, daß sie noch die Grundlage für die militärische Organisation in den alten Staaten bildete, als bereits die alte Gentilverfassung auseinandergefallen war. Der Stamm spaltet sich in mehrere Stämme, die alle die gleiche Verfassung haben und in deren jedem die alten Gentes wieder zu finden sind. Indem aber die Gentilverfassung die Verheiratung mit Geschwistern und Verwandten mütterlicherseits bis in das fernste Glied verbietet, untergräbt sie sich selbst. Bei den durch die soziale und wirtschaftliche Entwicklung immer verwickelter werdenden Beziehungen der einzelnen Gentes zueinander wird das Eheverbot zwischen den verschiedenen Gentes auf die Dauer undurchführbar, sie bricht in sich selbst zusammen oder wird gesprengt. Solange die Produktion von Lebensmitteln noch auf den untersten Stufen stand und nur sehr einfache Ansprüche befriedigte, war die Tätigkeit von Mann und Frau wesentlich dieselbe. Mit der zunehmenden Arbeitsteilung tritt aber nicht bloß Trennung der Verrichtungen, sondern auch Trennung des Erwerbs ein. Fischfang, Jagd, Viehzucht, Ackerbau erfordern besondere Kenntnisse, und in noch höherem Maße die Herstellung von Werkzeugen und Gerätschaften, die vorzugsweise Eigentum der Männer wurden. Der Mann, der bei dieser Entwicklung im Vordergrund stand, wurde der eigentliche Herr und Eigentümer dieser Reichtumsquellen.
Mit der zunehmenden Volkszahl und mit dem Streben nach umfassenderem Besitz an Weideplätzen und Ackerbau entstanden aber nicht nur Reibereien und Kämpfe um den Besitz des besten Grund und Bodens, sondern es entstand auch das Bedürfnis nach Arbeitskräften. Je zahlreicher