MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 2). Robert Mccammon
die Stadt zu führen. Euch dabei zu helfen, Euch einzuleben.« Ihr listiges kleines Lächeln begann ihn zu verärgern. »New York ist nicht London, aber es gibt hier durchaus Fallstricke. Euer Großvater möchte ganz einfach, dass Ihr über keine davon stolpert.«
»Ich verstehe.« Sie nickte und legte den Kopf schief. Die Sonne glänzte auf ihren roten, über ihre Schultern hängenden Locken. »Ihr solltet wissen, Mr. Corbett, dass Ihr getäuscht werdet. Bevor ich England verlassen habe, hat mein Vater einen Brief von Grandda erhalten, in dem stand, dass er sich keine Sorgen machen sollte. Grandda schwor, mir einen Ehemann zu finden. Ihr, Sir, seid anscheinend der Bräutigamkandidat.«
Matthew lächelte breit über den letzten Satz, aber als Berrys Gesicht ernst blieb, spürte er, wie ihm das Lächeln verging. »Das ist doch lächerlich!«
»Ich freue mich, dass wir diesbezüglich derselben Meinung sind.«
»Ich habe überhaupt nicht vor, mich in absehbarer Zukunft zu vermählen.«
»Und ich will mich von meiner Kunst ernähren können, bevor ich heirate.«
Sie wird ihr Leben als verarmte alte Jungfer beenden, dachte Matthew. »Aber Euch ist doch auch wichtig, Lehrerin zu sein, oder nicht?«
»Stimmt. Ich glaube, dass ich eine gute Lehrerin sein kann, und ich mag Kinder. Aber die Kunst ist meine wahre Berufung.«
Die wird sie eher in Verruf bringen, dachte er, sagte es aber nicht. »Ich versichere Euch jedenfalls, dass ich Eurem Großvater diese Flausen austreiben werde. Er traktiert mich ständig, dass ich in sein Milchhaus ziehen soll, und nun verstehe ich auch, warum.«
Berry erhob sich. Da sie so groß war, stand sie Matthew fast Auge in Auge gegenüber. »Trefft keine voreiligen Entscheidungen, Mr. Corbett«, sagte sie in samtweichem Ton. »Solange Grandda all seine Hoffnungen auf Euch setzt, wird er nicht versuchen, mir endlose Reihen von Dummköpfen vorzustellen, deren Traum von einer idealen Zukunft aus einem pflegeleichten Haus und einer pflegeleichten Gattin besteht. Für mich wäre es von Vorteil, wenn Ihr einfach mitspielt.«
»Ach ja? Und was für einen Vorteil ziehe ich daraus? Einen Erdfußboden in einem dunklen Loch?«
»Ich sage ja nicht, dass Ihr … wie sagtet Ihr … mich lange in der Stadt herumführen müsst. Vielleicht einen Monat lang. Wenn überhaupt. Einfach lange genug, dass ich Grandda gefügig machen kann.« Sie blinzelte und fand für ihre letzten Worte eine bessere Ausdrucksweise. »Ich meine, dass ich Grandda begreiflich machen kann, wie wichtig mir meine Freiheit ist. Und dass ich selbst einen Bräutigam finden kann, wenn ich soweit bin.«
»Einen Monat?« Das Wort hinterließ einen bitteren Geschmack in Matthews Mund. »Im Gefängnis hätte ich es genauso gemütlich. Wobei die Zellen sogar noch Fenster haben.«
»Überlegt es Euch zumindest. Würdet Ihr das tun? Ich wäre Euch sehr verbunden.«
Matthew wollte keine Sekunde länger darüber nachdenken, aber ein Vorteil ließ sich nicht leugnen: Wenn er sich bereit erklären würde, im Milchhaus zu wohnen, und zumindest so täte, als sei er Berrys Galan oder Bewacher oder was zur Hölle Grigsby auch vorschwebte, könnte er verhindern, dass die Neuigkeiten über Richter Powers Umzug im Ohrenkneifer erschienen. Einen Monat? Das konnte er aushalten. Vielleicht.
»Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen«, versprach er.
»Danke. Nun, ich glaube, ich habe für heute genug gemalt.« Berry kniete sich hin und begann ihre Malkreiden einzupacken. »Darf ich mit Euch zurückgehen?« Offensichtlich erwärmte sie sich jetzt, da die New Yorker Bräutigamgeschichte aus der Welt geschafft war, für ihn.
»Ich gehe nicht zu Grigsby zurück, aber Ihr könnt mich gern begleiten.« Dabei warf er einen zweifelnden Blick auf den fast zwanzig Meter langen, verrotteten Anleger und hoffte inständig, dass Berrys Pech sie nicht beide im Fluss versenken würde.
Obwohl Matthew mehrmals dachte, dass sein nächster Schritt sein letzter sein würde, schafften sie es an Land. Berry lachte auf, als sie wieder festen Grund unter den Füßen hatten, so als sei das, was Matthew als Nervenprobe empfand, für sie ein Abenteuer. Er bekam den Eindruck, dass ihr Problem nicht Pech, sondern schlechte Entscheidungen waren. Trotzdem, sie hatte ein angenehmes Lachen.
Auf ihrem Weg durch die Queen Street fragte Berry Matthew, ob er je in London gewesen war, woraufhin er verneinte und sagte, dass er hoffte, bald einmal dorthin zu kommen. Sie unterhielt ihn mit Beschreibungen der Sehenswürdigkeiten und Straßen von London, die so detailreich waren, wie es ihrem Künstlerauge entsprach. Er fand Berrys Darstellungen der Buchläden, die sie frequentiert hatte, interessant – in einem davon wurden auch Kaffee und Schokolade verkauft. Matthew hatte das Gefühl, das neue Papier der Bücher und den Duft heißen, schwarzen Kaffees an einem regnerischen Tag in London riechen zu können.
Während Berry weiter über ihr Leben in England erzählte und Matthew so fasziniert zuhörte, dass er fast das Kopfsteinpflaster unter seinen Füßen spürte, erklang hinter ihnen Hufgetrappel und das Klingeln von Zügeln, als sie Grigsbys Haus fast erreicht hatten. Eine durchdringende Glocke wurde geläutet, und sie traten beiseite, um eine von zwei Pferden gezogene Kutsche vorbeizulassen. Sie verlangsamte die Fahrt und Matthew konnte auf den Sitzen hinter dem Kutscher Joplin Pollard und Mrs. Deverick erkennen. Pollard sah in seinem beigefarbenen Anzug, Weste und Dreispitz fesch aus, während sie wieder zu ihrem grimmigem, weißgepuderten Gesicht ein schwarzes Gewand und ebenso schwarzen Hut trug. Das lederne Kutschdach war aufgespannt, um den Passagieren Schatten zu spenden.
»Oh! Corbett!«, sagte der Anwalt. »Mrs. Deverick und ich befinden uns gerade auf dem Weg zu Grigsbys Haus. Wir haben nach Euch gesucht.«
»Tatsächlich?«
»Wir hatten bei Stokely angehalten. Er hat uns gesagt, dass Ihr nach diesem grässlichen Vorfall gestern mit Grigsby weggegangen seid. Von der Töpferei ist nicht mehr viel übrig, was? Und wen haben wir hier?«
»Darf ich Euch Miss Beryl … Berry Grigsby vorstellen. Marmadukes Großtochter. Berry, dies ist Mr. Joplin Pollard und … die Witwe Deverick.«
»Sehr angenehm, meine Liebe.« Pollard berührte den hochgerollten Rand seines Dreispitzes und Berry nickte. Die Dame in Schwarz ließ den Blick über Berrys Kleidung schweifen und sah sie dann so schmaläugig an, als hätte sie eine kurios gefärbte Eidechse vor sich. »Dürfen wir Ihnen Mr. Corbett für ein kurzes Gespräch entwenden?« Pollard wartete nicht auf Berrys Antwort, sondern öffnete die Kutschtür. »Steigt ein, Corbett.«
»Falls Ihr in diese Richtung fahrt«, sagte Matthew, »könntet Ihr vielleicht Miss Grigsby nach Hause fahren? Es sind nur noch …«
»Ein privates Gespräch«, unterbrach Mrs. Deverick ihn, die starr geradeaus blickte.
Matthew spürte, dass seine Wangen heiß wurden, aber als er zu Berry hinübersah, zuckte die nur die Achseln und lächelte, dass der Spalt zwischen ihren Schneidezähnen aufblitzte. »Schon gut, Matthew. Ich gehe lieber zu Fuß. Werdet Ihr mit uns zu Mittag essen?«
»Ich habe einiges zu erledigen, aber ich sehe Euch später noch.«
»Gut. Grandda wird das sehr schätzen. Einen schönen Tag noch, Sir«, sagte sie zu Pollard und dann an Mrs. Deverick gewandt: »Einen guten Tag, Witwe.« Mit ihrem Köfferchen und dem Zeichenblock in der Hand setzte Berry ihren Weg die Hafenstraße entlang fort und Pollard sagte zu Matthew: »Kommt, wir haben Geschäftliches zu bereden.«
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