MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 2). Robert Mccammon
das offene Gesicht, ihre wunderbare Jugend. Als ich jünger war, sah ich nicht so dick und hässlich aus, dass sich kein hübsches Mädchen für mich interessierte. Natürlich half es, dass die Druckerei meines Vaters florierte und wir ein schönes Haus hatten. Aber die alte Krabbe, die Ihr jetzt vor Euch seht, war ich damals nicht, Matthew. Ihr wisst, dass man sagt, die Ohren, Nase und Füße eines Mannes wachsen sein ganzes Leben lang weiter. Für mich trifft das zu. Leider werden andere Teile immer kleiner. Ach, nun guckt mich doch nicht so an!«
»Habe ich nicht«, sagte Matthew.
»Hier liegt der Hase im Pfeffer …« Grigsby setzte sich die Brille wieder vor die Augen, blinzelte langsam und starrte seinen Gast an. »Ich möchte gern, dass Ihr Euch bis auf Weiteres im Milchhaus einrichtet, damit Ihr ein Auge auf Berry haben könnt – und sie vor unangenehmen Situationen und diesen räudigen Hunden bewahrt, die ich erwähnte. Ihr kennt sie ja, diese Jünglinge von Golden Hill, die durch die Pinten ziehen und ihren Abend auf Polly Blossoms Kissen ausklingen lassen.«
»Natürlich«, sagte Matthew, obwohl ihm dies zum ersten Mal zu Ohren kam.
»Ich kann mit ihr nicht Schritt halten. Und sie will definitiv nicht, dass ich überall mit ihr hingehe. Deshalb habe ich gedacht, dass Ihr sie einigen Leuten vorstellt, die mehr ihres Alters sind. Ihr sozusagen den Weg ebnet.«
Matthew ließ sich mit der Antwort Zeit, denn er verdaute immer noch die Worte. Ich möchte, dass Ihr Euch bis auf Weiteres im Milchhaus einrichtet. »Falls es Euch noch nicht aufgefallen ist: Ich lebe nicht im Zentrum des gesellschaftlichen Geschehens«, sagte er. »Und als ich das letzte Mal hingeschaut habe, standen Gerichtsdiener nicht auf den Mitgliedslisten der Jungen New Yorker, Bombasters oder Cavaliers.« Dabei handelte es sich um drei Klubs, die das ganze Jahr hindurch Tänze und Feiern veranstalteten. »Ich habe keinen Spaß an lauten Veranstaltungen und sogenannten fröhlichen Runden.«
»Ja, das weiß ich. Ihr seid standfest und zuverlässig, und eben deshalb will ich Euch als Berrys Vorbild einsetzen.«
»Ihr meint, als ihren Wächter.«
»Nun, vielleicht könnt Ihr beide etwas voneinander lernen«, meinte Grigsby. Seine Augenbrauen zuckten. »Sie, wie man verantwortungsbewusst ist, und Ihr, wie man … fröhlicher ist.«
»Aber in das Milchhaus ziehen?« Matthew beschloss, die Konversation in sicherere Gewässer zu steuern. »Es ist ein dunkles Loch!«
»Es ist ein kühles, gemütliches Sommerhaus. Seht es doch aus dieser Perspektive.«
»Sommerhäuser haben üblicherweise Fußbodenbretter und mindestens ein Fenster. Die Tür hat innen nicht mal einen Riegel. Ich kann im Schlaf ermordet werden.«
»Ein Riegel ist kein Problem. Den kann ich leicht installieren.« Grigsby nutzte Matthews Schweigen und redete weiter. »Ihr könnt so lange, wie Ihr möchtet, umsonst darin wohnen. Und wenn Ihr möchtet, hier essen. Und Eure Hilfe beim Drucken kann ich auch gebrauchen – ich würde Euch pro Druck einen oder zwei Schilling zahlen.«
»Arbeit habe ich schon. Hoffentlich wird daraus ein Beruf werden.« Er sah, wie Grigsby die Ohren spitzte. »Ihr wisst doch noch, dass ich Euch diese Anzeige gebracht habe? Für die Herrald Vermittlung? Für die arbeite ich jetzt.«
»Das klingt ja gut und schön, aber was machen die denn eigentlich?«
Matthew erzählte dem Zeitungsmann, wie er sich mit Katherine Herrald getroffen hatte und mit welchen Aufgaben ihr Unternehmen sich befasste. »Sie glaubt, dass ich ihnen helfen kann, und ich freue mich darauf, einzuspringen. Soviel ich weiß, werden sie und ihr Geschäftspartner Mr. Greathouse bald ein Zimmer als Anlaufstelle mieten.«
»Probleme lösen?« Grigsby zuckte die Achseln. »Na, da werden sich schon welche finden. Besonders, wenn diese Herrald Vermittlung der Stadt beim Lösen von Verbrechen helfen würde. Ich bin mir nicht sicher, was Bynes oder Lillehorne davon halten würden, aber es wäre eine Möglichkeit.« Er sah Matthew scharf an. »Aha! Ihr seid darauf aus, den Maskenschnitzer aufzuspüren, stimmt’s? Hat die Stadt den Fall bereits an die Herrald Vermittlung abgegeben?«
»Nein. Aber ich versuche, den Maskenschnitzer für Mrs. Deverick zu entlarven. Sie hat ein persönliches Interesse daran. Ich warte gerade darauf, dass sie mir Antwort auf eine Reihe von Fragen gibt, die ich ihr per Brief zugestellt habe. Die Herrald Vermittlung hat noch andere Fälle zu lösen.« Er wagte nicht, die Königin der Verdammten zu erwähnen, denn dieses Rätsel wollte er ganz für sich behalten. Und Professor Fells Namen wollte er ebenso wenig andeuten. »Ihr seht also, dass ich eine Zukunft habe.« Schnell korrigierte er sich. »Eine Arbeit, meine ich.«
»Ich habe nie daran gezweifelt, dass Ihr eine Zukunft habt.« Grigsby trank seinen Tee aus, bevor er weitersprach. »Ich hätte trotzdem gern, dass Ihr ins Milchhaus zieht und Berry bewa… ich meine, ihr Gesellschaft leistet. Ich stehe Euch ganz zu Diensten, was die Ausstattung angeht, um Euch das Häuschen bequemer zu machen. Ich habe etwas Geld beiseitegelegt. Das kann ich dafür einsetzen.«
»Ich weiß Euer Angebot zu schätzen, aber ich bin mir sicher, dass ich irgendwo ein Zimmer finden kann. Womit ich nicht sagen will, dass ich Euch nicht beim Drucken zur Hand gehen werde, wenn ich Zeit habe.«
»Das ist sehr nett von Euch, sehr nett.« Grigsby starrte auf die Maserung des Kieferntischs. »Aber versteht Ihr, Matthew, es würde für mich sehr schwierig sein, die Veröffentlichung einer gewissen Richter Powers betreffenden Neuigkeit zu unterlassen, wenn Ihr … wie soll ich sagen … nicht hier auf dem Grundstück lebt.«
Matthew fiel die Kinnlade herunter. »Bitte sagt mir«, erwiderte er leise, »dass Ihr nicht gerade so tief gesunken seid, wie ich glaube.«
»Wie tief bin ich denn gesunken?«
»Das wisst Ihr nur zu gut! Marmy, ich kann nicht Gouvernante für Eure Enkelin spielen! Und ich wette, dass sie Euch einen mit der Bratpfanne überziehen würde, wenn sie auch nur ahnte, dass Ihr mich dazu zwingen wollt!«
»Dann erfährt sie meiner körperlichen Unversehrtheit zuliebe besser nichts davon.«
»Sie sollte sich hier allein zurechtfinden! Sie braucht meine Hilfe nicht! Ich habe den Eindruck, dass sie gut genug allein zurechtkommt, Pech hin oder her.«
»Das mag schon stimmen. Aber ich bitte Euch ja nicht darum, Kindermädchen zu spielen oder jede ihrer Bewegungen zu überwachen. Ich möchte doch nur, dass Ihr dem Mädchen die Stadt zeigt. Sie Euren Bekannten vorstellt. Sie ab und zu zum Essen ausführt. Hört doch – könnt Ihr wenigstens mit ihr reden, bevor Ihr Euch entscheidet? Und versuchen, sie etwas besser kennenzulernen? Ich finde den Gedanken furchtbar, dass Ihr Berrys Bekanntschaft unter solch ungünstigen Umständen gemacht habt.« Er sah, wie Matthew finster das Gesicht verzog. »Ihr und Berry gehört zu den Menschen, die ich am meisten mag. Geht und unterhaltet Euch einfach etwas mit ihr. Würdet Ihr das für einen alten, wirren Großvater tun?«
»Wirr stimmt«, sagte Matthew. Dann holte er tief Luft und atmete wieder aus. Er konnte mit dem verfluchten Mädchen zumindest reden, bevor er weiter seiner Wege ging. Grigsby würde die Neuigkeiten über Richter Powers nicht drucken; darauf würde der Zeitungsmann es niemals ankommen lassen. Oder? Matthew schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Wo ist sie hingegangen, sagtet Ihr?«
»Die Queen Street hoch. Auf der Suche nach …«
»Einem Ort, der das Morgenlicht einfängt, ja, ich weiß.« Er ging zur Tür und drehte sich dann nochmals um. »Marmy, wenn sie mir den Kopf abreißt, werde ich aber nichts mehr mit ihr zu tun haben. Einigen wir uns darauf?«
Der Zeitungsmann sah ihn über den Brillenrand hinweg an. »Ich werde den Schlosser kommen und einen Riegel anbringen lassen. Passt Euch das?«
Matthew verließ das Haus, bevor er Worte von sich gab, die kein Gentleman in den Mund nehmen sollte. Da er sowieso auf dem Weg durch die Stadt war, beschloss er, seine Tasche mit der schmutzigen Kleidung zur Witwe Sherwyn zu bringen. Er kehrte ins Milchhaus zurück, das ihm jetzt noch kleiner als letzte Nacht vorkam, und holte seine Tasche unter dem Bett hervor. Das Notizbuch