MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 2). Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT und die Königin der Verdammten (Band 2) - Robert Mccammon


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bis Hiram Stokely kam, ihn unter dem Arm packte und ihn auf die Beine zog.

      Vier

      Zwei Stunden, nachdem die Töpferei der Stokelys in Schutt und Asche gelegt worden war, saß Matthew bei seinem dritten Glas Wein im Trot Then Gallop, einen halbaufgegessenen Teller Felchen vor sich. Mit ihm am Tisch saßen Marmaduke Grigsby und Berry, die ihn zum Essen mitgenommen hatten und sowohl seinen Kummer als auch die Getränke mit ihm teilten. In der Mitte der Tischplatte stand ein Zinnbecher, den Felix Sudbury für an Matthew gehende Spenden der Trot-Stammgäste dort platziert hatte, der drei Schilling, sechs Silbermünzen und vierzehn Deuts enthielt – gar nicht schlecht. Sudbury war so nett gewesen, Matthew an diesem Abend das Essen und den Wein zu spendieren. Das war eine tröstliche Geste, verhalf Matthew aber trotzdem nicht zu einer besseren Stimmung.

      Er schämte sich dafür, dass er sich so elend fühlte, denn er hatte zwar sein Zimmer verloren, die Stokelys aber ihren Broterwerb. Es war schrecklich gewesen, den Schutt nach seinen Sachen zu durchsuchen, während Patience still an Hirams Seite schluchzte. Bis auf ein paar Tassen und Teller war fast alles zerbrochen und Matthews gesamtes Mobiliar lag in Trümmern. Es war ihm gelungen, ein paar Kleidungsstücke zu retten, und er hatte seinen kleinen Lederbeutel mit Ersparnissen von ungefähr einem Pfund und drei Schilling gefunden. All das stand jetzt in einer Tuchtasche, die Patience ihm aus ihrem Haus gebracht hatte, neben ihm auf dem Boden. Ein paar seiner heißgeliebten Bücher hatten überlebt, doch die wollte er später abholen. Es hatte ihn gefreut zu hören, wie Hiram schwor, die Töpferei von seinem Ersparten so schnell wie möglich wieder aufzubauen. Er zweifelte nicht daran, dass das Gebäude innerhalb eines Monats wieder aus den Trümmern steigen würde.

      Aber es war ein verdammtes Unglück. Der Felchen mochte ihm nicht so recht die Kehle runterrutschen und der Wein war nicht stark genug, um ihn müde werden zu lassen. Das war noch ein weiteres Problem – wo sollte er denn schlafen?

      »Ich bin dran schuld, das wisst Ihr schon?«

      Matthew sah Berry über den Tisch hinweg an. Sie hatte sich mit einem Eimer Wasser den Staub vom Gesicht gewaschen und Matthew konnte im Schein der Tischlampe die fein über ihre sonnenverbrannten Wangen und Nase gesprenkelten Sommersprossen sehen. Die roten Haare glänzten hier und da wie Kupfer und eine Locke hing ihr über die Stirn bis zu einer ungezupften Augenbraue hinunter. Sie hatte klare, ausdrucksvolle Augen derselben dunkelblauen Farbe wie ihr Großvater und sie wichen Matthews Blick nicht aus. Er hatte sie bereits mehr als erdverbundenes Milchmädchen denn als gebildete Lehrerin eingestuft. Er konnte sich vorstellen, wie sie in einer Scheune Heuballen warf oder Maiskolben vom Stängel brach. Ja, sie war hübsch, sofern einem zierliche Mädchen nicht gefielen, und bereit, sich etwas abenteuerlich, etwas wild und vielleicht mit großer Dummheit ihren eigenen Weg in der Welt zu suchen. Und dann war da noch die Lücke zwischen ihren Schneidezähnen, die sie seit dem ersten kurzen Lächeln unter dem Strohhut nicht mehr gezeigt hatte – aber er wusste, dass es sie gab, und wartete darauf, dass sie wieder zum Vorschein kam. Was noch an ihr erinnerte an ihren Großvater? Er mochte nicht darüber nachdenken.

      »Ihr seid schuld?«, fragte er zurück und trank einen weiteren Schluck Wein. »Wie denn?«

      »Es liegt an meinem Pech. Hat er Euch nichts davon erzählt?« Sie nickte in Marmadukes Richtung.

      »Ach, Unsinn«, gab Grigsby mit finsterem Blick zurück. »Unfälle geschehen.«

      »Das tun sie, aber mir passieren sie ständig. Nicht nur mir, sondern auch anderen Menschen, wenn ich in der Nähe bin.« Sie streckte die Hand nach ihrem Weinglas aus und nahm einen so großen Schluck, dass Greathouse sie bewundert hätte, dachte Matthew. »Wie das, was auf der Sarah Embry dem Prediger passiert ist.«

      »Fang nicht wieder damit an«, sagte Grigsby – oder flehte sie vielmehr an. »Ich habe dir doch schon gesagt, was die anderen Passagiere bezeugt haben. Es war ein Unfall, und wenn jemand Schuld hatte, dann der Kapitän.«

      »Das stimmt nicht. Ich habe die Seife fallengelassen. Hätte ich das nicht getan, wäre der Prediger nicht über Bord gegangen.«

      »Also gut.« Matthew war erschöpft und verzweifelt, aber niemand sollte sagen, dass eine gute Diskussion nicht die Lebensgeister wiederbelebte. »Nehmen wir an, dass Ihr Pech habt. Nehmen wir an, Ihr tragt es mit Euch herum und verteilt es wie Feenstaub. Nehmen wir an, dass Eure bloße Gegenwart den Stier zum Durchdrehen gebracht hat – aber dann werden wir natürlich die Katze und die beiden Hunde außer Acht lassen. Und auch, dass der Stier sein Spiegelbild in der Fensterscheibe gesehen hat. Ich weiß nicht, unter was für Umständen die anderen Unglücksfälle geschehen sind, aber mir scheint, dass Ihr Zufälle lieber als Pech anseht, weil …« Er zuckte die Achseln.

      »Weil was?«, forderte sie ihn heraus, und Matthew dachte, dass er vielleicht um ein rotes Haar zu weit gegangen war.

      »Weil Zufälle«, ging er auf die Herausforderung ein, »langweilig sind. Jeden Tag explodiert die normale Ordnung der Dinge irgendwo, es gibt ein unglückliches Chaos oder Unfälle. Aber zu behaupten, dass Euer Pech diese Vorfälle verursacht, hebt Euch aus dem gemeinen Volk ins Reich der …« Wieder hatte er das Gefühl, auf Treibsand zu treten, unter dem ein Vulkan brodelte, und er klappte den Mund zu.

      »Lasst uns noch was zu trinken bestellen«, schlug Grigsby unbesonnen vor.

      »Ins Reich der was?«, kam ihre Frage zurück.

      Matthew starrte sie an und ersparte ihr die Worte nicht. »Ins Reich der dünnen Luft, Miss, wo diejenigen leben, die eine besondere Mischung aus Selbstmitleid und magischen Kräften brauchen – beides etwas, das einem Beachtung garantiert.«

      Berry antwortete nicht. Wurden ihre Wangen rot oder war das nur ihr Sonnenbrand? Matthew meinte, ihre Augen auf die gleiche Art aufblitzen zu sehen wie das Licht an Greathouses Degenklinge. Er erkannte, dass er einem Mädchen gegenübersaß, das sich über einen guten Streit freute.

      »Sei nett, sei nett«, brummte Grigsby in seinen Wein.

      »Ich kann Euch versichern, Sir«, sagte Berry, und als sie kurz lächelte, war der Spalt zwischen ihren Zähnen zu sehen, »dass ich weder Selbstmitleid mit mir noch magische Kräfte habe. Ich sage Euch lediglich, was ich als die Wahrheit ansehe. Mein ganzes Leben schon werde ich von Pech verfolgt oder verursache anderen Pech. Wie oft sich etwas zugetragen hat – zehn-, zwanzig-, dreißigmal? Ein Vorfall ist mehr als genug, glaubt mir das. Es gab Feuer, verunglückte Kutschen, gebrochene Knochen, knapp dem Ertrinken Entronnene und im Falle des Predigers ein tatsächliches Ertrinken … all das und mehr. Ich sehe den Vorfall heute als etwas meines Feenstaubs an, wie Ihr es so beredt genannt habt. Übrigens habt Ihr noch eine Menge Feenstaub in den Haaren.«

      »Es ist mir heute leider unmöglich gewesen, ein Bad zu nehmen. Ich bedaure, Eure sensible Wahrnehmung beleidigt zu haben.«

      »Kinder«, sagte Grigsby. »Ich freue mich ja, dass wir uns alle so gut verstehen, aber es wäre vielleicht gut, für einen Moment auf den harten Boden der Realität zurückzukehren. Wo werdet Ihr heute Nacht schlafen, Matthew?«

      Eine gute Frage. Matthew zuckte die Achseln, um seine Unsicherheit zu verbergen. »Ach, ich werde schon irgendetwas finden. Vermutlich in einem Gasthaus. Oder vielleicht lässt Mr. Sudbury mich zumindest für diese eine Nacht hinten schlafen.«

      »Bald ist Sperrstunde. Nach halb neun noch von Haus zu Haus zu gehen ist alles andere als empfehlenswert – es sei denn, Ihr wollt die Nacht im Gefängnis verbringen.« Grigsby trank seinen Wein aus und schob das leere Glas von sich. »Hört zu, Matthew, ich habe eine Idee.«

      Matthew hörte zu, obwohl ihm Grigsbys Ideen nie ganz geheuer waren. Auch Berry schien ihrem Großvater ihre ganze Aufmerksamkeit zu schenken, als er weitersprach.

      »Ich würde Euch ja mein Haus anbieten, aber da Beryl … äh … Berry jetzt hier ist, würdet Ihr Euch sicherlich etwas eingeschränkt vorkommen. Aber ich habe einen anderen Vorschlag: das holländische Milchhaus neben meinem Haus.«

      Das kleine Ziegelhäuschen, in dem Grigsby seine Druckereiutensilien


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