Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman. Sissi Merz

Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman - Sissi Merz


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Küche, als der Landarzt auftauchte.

      »Herr Doktor, das ist aber nett!«

      »Ist der Andi da? Ich muß dir was sagen, Christa, und ich denke, es ist besser, wenn er dabei ist.«

      Sofort wurde das Madl ernst. »Ich hole ihn rasch, er ist noch im Stall.« Nachdem sie die Küche verlassen hatte, erzählte Max der Bäuerin mit knappen Worten, was geschehen war. Marie Bichler senkte den Blick. »Es ist vielleicht besser so. Ich glaube, wenn die Christa ihrem Vater im Gerichtssaal hätte gegenüberstehen müssen, das wäre ihr doch arg schwer geworden.«

      Der Meinung war Andreas Stamm allerdings nicht. Als er hörte, was passiert war, ballte er die Hände zu Fäusten und knurrte: »Daß der Kerl sich seiner Bestrafung entzieht, ist net recht. Er hat seiner Tochter nur Schlechtes angetan und muß sich nicht mal dafür verantworten. Das ist ungerecht!«

      »Bitte, Andi.« Christa wirkte ganz ruhig, doch ihr Blick flackerte, und ihre Stimme war schwer von Tränen, als er sagte: »Es hat ein schlimmes Ende mit ihm nehmen müssen, das hab ich schon immer gespürt. Und was hätte es genutzt, wenn er ins Gefängnis gekommen wäre? Meine Kindheit gibt mir keiner zurück. Ich will mich nimmer rächen, das ist vorbei. Ich bin nur froh, daß ich diesen Mann nie mehr sehen muß. Ich dank euch allen, ihr habt viel für mich getan. Aber ich möchte euch auch bitten, nimmer darüber zu reden. Es fällt mir schwer genug, die Therapie zu machen und noch mal an alles erinnert zu werden, was gewesen ist. Aber ich tu es, denn ich möchte endlich frei sein. Und glücklich werden.« Sie lächelte Andi zu, der sie in seine Arme schloß und ihr versicherte: »Wennst es so willst, dann wollen wir es auch so machen. Ich möchte doch nur, daß du zufrieden bist, mein Engerl.«

      Und so normalisierte sich Christas Leben langsam aber stetig. Zweimal die Woche fuhr sie zu einer Therapeutin in der Stadt und sprach über das Martyrium, das sie nicht nur ihr Gedächtnis, sondern fast auch ihr Leben gekostet hätte. Und sie schaffte fleißig auf dem Bichler-Hof, der ihr ein echtes Zuhause geworden war. Einige Zeit nach dem Fund, den Anderl Stumpf auf dem Burger-Hof gemacht hatte, stand eindeutig fest, daß der Bauer durch einen selbstverschuldeten Sturz ums Leben gekommen war. Christa sorgte dafür, daß er ordentlich beerdigt wurde, erschien aber selbst nicht zur Beisetzung, das traute sie sich noch nicht zu. Andi kümmerte sich darum, daß ein Käufer für den Hof gefunden wurde. Zwar war die Kaufsumme wegen des schlechten Zustands des Anwesens eher niedrig, aber Christa sah dies als eine Art Erbe und Mitgift an. Zum ersten Mal im Leben hatte sie von ihrem Vater etwas bekommen, da hatte er nicht nur genommen.

      *

      »Schwester Mary, wo sind die Ampullen? Was ist denn das für eine furchtbare Unordnung, ich finde ja nichts mehr...« Dr. Julia Bruckner wühlte im Medikamentenschrank und achtete nicht darauf, daß ständig etwas zu Boden fiel. Sie stand unter Druck, war seit Tagen in einem Zustand nervöser Aufgeregtheit, der nicht mal nachts von ihr wich. Die junge Ärztin war einfach nicht mehr in der Lage abzuschalten, sie hatte viel zuviel am Hals. Noch immer war sie die einzige Ärztin in Holy Spirit und kein Ersatz für Dr. Brinkmeier in Sicht.

      »Frau Doktor, was machen Sie da? Ich habe die Ampullen doch bereits...« Schwester Mary eilte auf die Ärztin zu und bekam sie im letzten Moment zu fassen, bevor diese das Bewußtsein verlor. Die farbige Nonne schüttelte ärgerlich den Kopf; das hatte sie ja kommen sehen! Nun war sie doch froh, auf eigene Faust um Verstärkung im Team gebeten zu haben. Sie wußte, daß Julia Bruckner zu stolz und pflichtbewußt war, um sich zu beschweren. Die junge Deutsche arbeitete bis zum Umfallen. Aber das war keine Lösung. Und die praktische Schwester wußte sich zu helfen.

      Kurze Zeit später kam Julia wieder zu sich. Sie schaute sich verwirrt um, murmelte: »Was tue ich denn hier? Was ist los?«

      »Was los ist? Das will ich Ihnen gerne sagen.« Mary sprach nun sehr streng, die übliche Sanftmut war völlig aus ihrer Stimme verschwunden. »Sie sind restlos überarbeitet und zu stur, um das endlich mal einzusehen. Nun hat Ihr Körper die Notbremse gezogen. Und ich werde dafür sorgen, daß Sie sich ausruhen, bis Sie wieder ganz auf dem Posten sind!«

      Die junge Ärztin wollte abwehren. »Das ist doch Unsinn. Ich bin ganz in Ordnung und werde...« Sie versuchte aufzustehen, doch Mary zeigte nun ihre strenge Seite. Die lernten sonst nur unvernünftige Patienten kennen. Sie drückte Julia sanft aber entschlossen zurück auf die Liege und schaute ihr mit ernstem Ausdruck direkt in die Augen.

      »Sie bleiben liegen. Was eben passiert ist, nennt man einen Kreislaufkollaps. Sie vergessen wohl, daß ich eine medizinische Ausbildung habe! Und nun hören Sie mir mal genau zu, Frau Doktor: Seit Doktor Brinkmeier fort ist, arbeiten Sie ständig für zwei. Das kann keiner auf die Dauer, es ist völlig unmöglich. Deshalb bleiben uns nur zwei Optionen: Entweder wir schließen die Station bis auf weiteres, jedenfalls solange, bis es wieder einen zweiten Arzt hier gibt. Und da Sie sich nicht wirklich darum bemühen, kann das sehr lange dauern.«

      »Das ist unmöglich, und Sie wissen es, Mary!« protestierte sie energisch.

      »Sicher.« Die Nonne wurde ganz ruhig. »Und deshalb habe ich von der zweiten Möglichkeit Gebrauch gemacht.« Sie ließ die junge Frau los, nahm einen Brief aus ihrer Soutane und reichte ihn Julia. Diese betrachtete überrascht den Adressaten.

      »Ihr Mutterhaus in London? Wollen Sie sich versetzen lassen?«

      »Im Gegenteil. Bitte lesen Sie.«

      Dr. Bruckner setzte sich vorsichtig auf. Ihr war noch immer schwindlig, doch sie war auch neugierig. »Sie haben um Verstärkung des Teams gebeten, ohne mich zu fragen! Also, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll... Hatten Sie denn wenigstens Erfolg?«

      Mary lächelte auf eine Weise, die ihre Antwort bereits vorweg zu nehmen schien. »Noch nicht wirklich. Das heißt, ich kann Ihnen nicht versprechen, wann der zweite Arzt hier sein wird. Aber ich weiß, daß er kommen wird. Und zwar in absehbarer Zeit. Das Mutterhaus steht mit einer Ärzteorganisation in Kontakt, die ähnliche Ziele hat wie Ihr Team in Deutschland. Und sie werden jemanden schicken, die Zusage ist definitiv.«

      Julia schaute ihr Gegenüber mit gemischten Gefühlen an. Natürlich freute sie sich darauf, endlich nicht mehr die ganze Arbeit und Verantwortung allein tragen zu müssen. Doch die Frage, wer der neue Kollege war, wie er sich hier einleben und vor allem, ob er auf Dauer bleiben würde, machte sie doch unsicher und skeptisch. Mary schien zu ahnen, was in der jungen Ärztin vor sich ging.

      »Es wird schon klappen, keine Angst. Und wenn wir wieder einen zweiten Arzt hier haben, dann können Sie endlich Doktor Brinkmeier besuchen. Ist das kein Grund, sich ein bißchen zu freuen?« Sie schaute Julia aufmerksam an. »Sie möchten ihn doch besuchen, oder?«

      »Ach, Mary, ich gestatte mir selbst nicht, darüber nachzudenken, sonst verliere ich noch den Verstand vor lauter Sehnsucht«, seufzte diese bekümmert. »Es wäre zu schön, um wahr zu sein. Aber ich werde erst daran glauben, wenn dieser neue Kollege leibhaftig vor mir steht.«

      »Er wird kommen«, unterstrich die Nonne noch einmal mit Nachdruck. »Und Sie legen sich jetzt schlafen. Ich kümmere mich hier um alles. Sie wollen doch nicht krank sein, wenn der zweite Arzt hier seine Arbeit aufnimmt.«

      »Also schön, Mary, Sie haben gewonnen. Bitte wecken Sie mich, falls es einen Notfall gibt.« Julia verließ das Ärztezimmer und ging zu ihrer kleinen Wohnung. Sie war noch etwas wacklig auf den Beinen und fühlte sich unendlich erschöpft. Allein die vage Hoffnung, bald Unterstützung zu haben, gab ihr neuen Mut. Als sie geduscht hatte und zwischen den kühlen Laken lag, galt ihr letzter Gedanke Max Brinkmeier. Sie hatte ihm beim Abschied versprochen, daß sie sich bald wiedersehen würden. Konnte sie dieses Versprechen nun in absehbarer Zeit tatsächlich einhalten? Julia hoffte es sehr. Und zum ersten Mal seit Wochen schlief sie mit einem Lächeln auf den Lippen ein.

      *

      Anna Stadler saß im Hinterzimmer der Apotheke und war damit beschäftigt, die Bestände zu kontrollieren. Sie haßte diese Arbeit und überließ sie sonst lieber ihrer Angestellten Susi Angerer. Doch nun ging sie selbst zu Werke, denn wenn sie sich konzentrieren mußte, kam sie nicht zum Nachdenken. Die trüben Gedanken aber holten sie immer wieder ein.

      Mit einem leisen Seufzer


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