Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman. Sissi Merz

Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman - Sissi Merz


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rührte in einem Topf. Ein seltsamer Geruch wie nach Moder stieg von dem Topf auf. »Eva« wollte sich abwenden, da änderte sich die Umgebung schon wieder. Nun lag sie auf einem kalten Steinboden. Es war dunkel und kalt. Sie hatte Schmerzen, ihr war schwindlig und übel. Angst kroch in ihr hoch, erfüllte sie ganz. Wie von einer unsichtbaren Faust nach vorne getrieben, schwankte sie auf die schmale Treppe mit den ausgetretenen Stufen zu.

      Mühsam fand sie ihren Weg nach oben. Die Tür stellte kein Hindernis dar. Sie flog plötzlich von selbst auf. Im nächsten Moment stand das Mädchen einem Mann gegenüber. Sie starrte in sein verkommenes Gesicht mit dem strähnigen Haar, den glasigen Augen und den Bartstoppeln. Sie roch den Alkohol. Und sie sah etwas. Ein helles Flimmern wie Sternschnuppen ging von seiner rechten Hand aus. »Eva« verstand im ersten Augenblick nicht, was das zu bedeuten hatte. Dann aber hob der Mann den Arm.

      »Ich bring dich um, du Stück Malheur«, knurrte er. Der Arm fuhr nach unten, und das Mädchen begriff...

      Urplötzlich endete der Traum. »Eva« fuhr schreiend auf, sie starrte in die Dunkelheit des frühen Morgens, ihr Herz raste, sie war in Schweiß gebadet und zitterte am ganzen Körper.

      Es dauerte nur wenige Minuten, dann wurde das Licht im Zimmer eingeschaltet, und die Nachtschwester erschien. Das Mädchen weinte und keuchte: »Helfen Sie mir, bitte, helfen Sie mir, er will mich umbringen, bitte...«

      Die Pflegerin versuchte vergeblich, die Patientin wieder zu beruhigen. Sie rief den diensthabenden Arzt, der »Eva« eine Beruhigungsspritze gab. Es dauerte eine ganze Weile, dann schlief das Mädchen endlich ein.

      »Setzen Sie eine Wachschwester an ihr Bett«, sagte er. »Es muß jemand greifbar sein, wenn sich das wiederholt.«

      Die Pflegerin nickte. Sie warf noch einen Blick auf das Madl, das blaß und abgekämpft im Bett lag. Welche schrecklichen Erinnerungen mochten sie bloß quälen? »Sie tut mir leid.«

      »Es wird noch schlimmer kommen, wenn die Amnesie nachläßt. Offenbar fängt sie langsam an, sich zu erinnern...«

      *

      Auch Andi hatte in dieser Nacht wenig Schlaf gefunden. Ruhelos hatte er sich von einer Seite auf die andere gedreht, sich gewünscht, an »Evas« Bett sitzen und ihre Hand halten zu können. Er wußte, daß er ihr nicht wirklich helfen konnte, denn das Schwere, das vor ihr lag, mußte sie ganz allein durchstehen. Doch er wollte zumindest für sie da sein, ihr zeigen, daß sie nicht von allen verlassen war.

      Der Großknecht vom Bichler-Hof stand am nächsten Morgen noch zeitiger auf als sonst. Obwohl er sich zerschlagen und müde fühlte, sah er doch keinen Sinn mehr darin, länger im Bett liegen zu bleiben. Er fand ja doch keine Ruhe.

      Auch Marie Bichler war bereits auf den Beinen, als Andi die Küche betrat. Sie reichte ihm wortlos ein Haferl Kaffee und eine frische Semmel. Er verzehrte beides im Stehen, wollte dann in den Stall, als das Telefon anschlug.

      Die Bäuerin zuckte leicht zusammen. »Wer mag das sein, in aller Herrgottsfrühe? Vielleicht das Spital?« Sie machte Andi ein Zeichen, den Anruf anzunehmen. Nur zögernd trat sie in die Diele und hörte ihn sagen: »Ich verstehe. Ja, ich komme natürlich mit. Danke, Herr Doktor.«

      »Was ist geschehen?« Marie Bichler schaute ängstlich in das Gesicht des Burschen, das überaus ernst geworden war. In seinen ehrlichen Augen spiegelten sich Unruhe und tiefe Besorgnis wider, als er erklärte: »Die Eva hatte heute nacht einen Zusammenbruch. Sie hat geschrien und konnte sich net beruhigen. Als sie am Morgen dann wach geworden ist, hat sie gleich verlangt, den Doktor Brinkmeier zu sprechen. Er fährt jetzt in die Stadt und nimmt mich mit.«

      »Was mag das bedeuten? Denkst, sie hat ihr Gedächtnis wiedergefunden?«

      »Der Doktor vermutet es, aber sie hat noch mit niemandem darüber geredet. Mei, Bäuerin, mir ist ganz seltsam zumute. Daß sie net mich sehen will, sondern den Landarzt, das kann doch nix Gutes bedeuten. Wenn es nur net so arg kommt, wie der Doktor Brinkmeier angedeutet hat. Ich weiß net, was ich anfangen soll ohne die Eva. Dann wäre mein Leben ganz sinnlos.«

      Marie Bichler legte eine Hand auf Andis Arm und meinte tröstend: »Die Eva ist in den besten Händen. Und der Doktor Brinkmeier hat sie schließlich aufgenommen und gepflegt. Es ist doch ganz natürlich, daß sie ihm vertraut. Er ist so was wie ein Ersatzvater für sie geworden.«

      »Ja, wahrscheinlich stimmt das. Ich hoffe, du hast recht, Bäuerin. Ach, ich kann kaum noch klar denken, die ganze Sach drückt mir aufs Gemüt.«

      »Ich versteh dich, Andi. Du hast das Madl sehr lieb und willst ihm beistehen, das ist nur natürlich. Aber du mußt jetzt Geduld haben und dich damit abfinden, daß du eben nichts tun kannst.«

      Max Brinkmeier holte den Burschen wenig später ab. Andi gab sich schweigsam, und der junge Landarzt ließ ihn in Ruhe. Er konnte sich vorstellen, wie belastend das alles für Andi war.

      Der Spitalarzt hatte seinen Kollegen bereits erwartet. Bevor Max die Patientin besuchen konnte, bat er ihn noch in die Ordonanz und berichtete: »Die Kranke befindet sich in einem stabilen Zustand, ist aber nicht ansprechbar. Sie reagiert auf nichts, hat lediglich eine Schwester gebeten, Sie zu verständigen, Herr Brinkmeier. Ich hoffe, Sie können zu ihr vordringen, denn sonst wird dies wohl ein Fall für die Psychiatrie werden.«

      »Eva ist doch net narrisch!« entfuhr es dem Burschen. »Sie hat Schlimmes mitgemacht, aber das heißt noch lange net...«

      »Bitte, Andi, nimm dich zusammen«, mahnte der Landarzt ihn mit ernster Stimme. »Du kannst gerne mitkommen, denn schließlich geht es auch dich an, was das Mädchen zu erzählen hat. Aber du mußt dich zurückhalten. Versprichst mir das?«

      »Also schön, ich bin still«, brummte er unwillig.

      Die junge Patientin lag reglos in ihrem Bett, als Max und Andi den Raum betraten. Sie war sehr blaß, dunkle Ringe lagen unter ihren Augen, in denen die Verzweiflung sich überdeutlich ausdrückte. Andi mußte sich zusammennehmen, denn er hätte seine Liebste gerne in die Arme genommen und getröstet. Aber er hielt sich an das, was Dr. Brinkmeier ihm gesagt hatte, und blieb vor der Tür stehen.

      Der junge Landarzt setzte sich auf den Stuhl, der neben dem Bett stand, und schaute die Patientin aufmerksam an. Als er etwas sagte, klang seine Stimme sanft und ruhig. Und »Eva« reagierte. Sie drehte den Kopf, der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf ihren ebenmäßigen Zügen, nur um gleich darauf wieder zu verschwinden wie fortgewischt.

      »Herr Doktor, ich muß Ihnen was erzählen«, sagte sie sehr leise. Ihre Stimme war flach und brüchig, und Max mußte an die Nacht denken, als »Eva« bei ihm aufgetaucht war. Beinahe schien es ihm, als sei sie wieder ebenso verzweifelt und am Ende wie damals. Das fröhliche Mädchen, das an Andis Arm lächelnd auf ihn zugekommen war, wo mochte es geblieben sein?

      »Ich höre dir zu, du mußt dich nicht fürchten.«

      Ihr Blick wanderte zu Andi, sie seufzte leise und erzählte dann: »Letzte Nacht hab ich einen schlimmen Alptraum gehabt. Ich war in einem Haus, das ich net kannte, und da war einer, der wollte mich umbringen. Ich bin fortgerannt. Er konnte mich nicht einholen, das hat mich gewundert. Und dann wußte ich, warum: Er war rauschig, deshalb bin ich ihm ausgekommen.« Sie schloß kurz die Augen und schluckte. Als sie dann fortfuhr, war ihre Stimme nur ein Hauch. »Ich hab lange da gelegen und konnte mich nicht rühren, ich war wie gelähmt. Und ich hab dieses Bild vor mir gesehen: Der Mann in den alten, ausgebeulten Hosen und dem dreckerten Hemd. Der Mann mit den strähnigen Haaren, den Bartstoppeln und der Fahne. Der Mann mit dem Messer.« Sie schluchzte trocken auf. Andi machte einen Schritt nach vorne, doch Max Brinkmeier schüttelte angedeutet den Kopf. Und da nuschelte das Madl: »Der Mann, das war mein eigener Vater!«

      Auf diese Eröffnung folgte atemloses Schweigen. Es war ganz still im Krankenzimmer, nur das leise Schluchzen des Mädchens war zu hören. Andi hatte das Gefühl, als habe ihm einer einen Tiefschlag verpaßt. Er schaute Dr. Brinkmeier an und sah in dessen markanter Miene das gleiche Entsetzen.

      »Eva« war also nicht überfallen worden, wie sie angenommen hatten. Sie hatte etwas viel Schlimmeres erlebt, womöglich ein jahrelanges Martyrium hinter


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