Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman. Sissi Merz

Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman - Sissi Merz


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Wind kam auf, ließ die hohen Bäume seufzen. Etwas wie ein kalter Schauer rann dem Madl über den Rücken.

      »Wir sollten jetzt umkehren, es wird dunkel«, hörte sie Andi sagen. Der Bursch schaute sie fragend an. »Stimmt was net?«

      »Nein, alles in Ordnung. Ich hab nur eben an was denken müssen...« Sie verstummte, kurz blitzte ein Bild vor ihrem inneren Auge auf; Wald, Dunkelheit, Kälte. Schritte, die ihr hastig folgten, über den weichen Boden stampften, der von Tannennadeln bedeckt war. Ein kurzer Reflex, wie Mondlicht auf blankem Metall... Sie blieb stehen, griff sich an die Stirn. Ein leiser Seufzer drang über ihre Lippen. Es dauerte einen Moment, bis »Eva« bewußt wurde, daß Andreas einen Arm um sie gelegt hatte. Ohne ihn wäre sie wohl gefallen, denn ihre Knie zitterten so stark, als wollten sie nachgeben. Sie schaute in sein besorgtes Gesicht. Seine Nähe tat ihr gut, gab ihr ein Gefühl von Geborgenheit. Als er sie ein wenig verlegen freigab, bedauerte sie dies. Er sagte nichts, und sie schwieg auch. Aber sie lächelte ihm zu. Und als er für den Rest des Wegs ihre Hand in seine nahm und festhielt, ließ sie das nur zu gern geschehen.

      *

      »Das war die letzte Impfung. Dein Vieh ist gut in Schuß, Bichler. Kannst zufrieden sein.«

      »Bin ich auch. Dann bis zum nächsten Mal.« Der Bauer drückte dem Tierarzt die Hand und wandte sich dann dem Großknecht zu, der gerade auf ihn zukam. Andi schien etwas auf dem Herzen zu haben, denn er druckste ein wenig herum, was sonst nicht seine Art war. Thomas Bichler ahnte schon, was den Burschen drückte.

      »Magst heut ein bisserl früher Feierabend machen? Es ist Samstag, und beim Ochsenwirt ist Tanz«, ließ er anklingen.

      Andreas lächelte schmal. »Ich würde gerne eine Stunde früher freinehmen, aber nur, wenn es geht. Weißt, Bauer, die Eva und ich, wir wollen heut wieder einen Spaziergang machen. Und wenn wir zeitig genug losgehen, erreichen wir vielleicht noch den Hintersee, bevor es dunkel wird. Die Eva war noch nie dort.«

      Der Bauer nickte, er legte Andreas eine Hand auf die Schulter und bat ihn: »Laß uns mal in Ruhe miteinander reden. Du sollst wissen, daß ich nix dagegen hab, wennst dich um die Eva bemühst. Auch wenn wir nichts von dem Madl wissen, steht doch fest, daß sie rechtschaffen und ehrlich ist. Du weißt, welchen Stellenwert du hier hast, Andi. Und die Eva als Jungbäuerin, die könnte ich mir schon vorstellen.«

      »Ich auch. Aber soweit sind wir noch lange net.«

      »Schon klar. Eines solltest dabei auch nicht vergessen: Der Doktor sagt, das Madl hat Schlimmes mitgemacht. Vielleicht wird sie sich irgendwann daran erinnern können, vielleicht auch nicht. Aber daß sie deshalb mal Probleme kriegen wird, ist eigentlich logisch. Darauf solltest gefaßt sein.«

      »Du meinst, weil ihr einer was Arges angetan hat?«

      »Ja, das meine ich. Das Madl wird möglicherweise anders reagieren als du dir das wünschst. Ich weiß darüber Bescheid, weil ich selbst mal so eine Geschichte miterlebt habe. Eine Kusine von mir ist von so einem Mistkerl mißbraucht worden. Sie war noch sehr jung, ging zur Schule, und das Schwein hat sie auf dem Heimweg überfallen. Hernach war sie ganz verändert. Sie hat zwar net ihr Gedächtnis verloren, aber sie wollte nix mehr von früher wissen. Und sie hat sehr lange gebraucht, bis sie einem Burschen vertrauen konnte. Verstehst, was ich damit sagen will?«

      Andi nickte. »Gewiß. Aber ich hab es net eilig. Die Eva ist was Besonderes für mich, ich möchte, daß sie später mal meine Frau wird. Und bis dahin will ich ihr beistehen, damit sie die Vergangenheit endgültig hinter sich lassen kann.«

      Thomas Bichler zeigte sich beeindruckt. »Das hast schön gesagt, Andi. Ich seh, ich kann mich auch in der Beziehung auf dich verlassen. Die Eva ist bei dir gut aufgehoben. Weißt, ich mußte darüber reden, weil wir doch in gewisser Weise für das Madl verantwortlich sind.«

      »Das versteh ich schon. Brauchst dich net zu sorgen, Bauer. Ich geb acht auf die Eva«, versprach er ernsthaft.

      Tatsächlich freute sich das Mädchen bereits auf den gemeinsamen Spaziergang mit dem Großknecht. Und als sie dann Hand in Hand durch die spätherbstliche Natur streiften, fühlte »Eva« sich wieder ganz frei und zufrieden. Das Herz wurde ihr leicht, unbeschwert und es schlug für den Burschen, der an ihrer Seite ging. Kurze Zeit, nachdem die beiden jungen Menschen den Bichler-Hof verlassen hatten, hielt Dr. Brinkmeiers Wagen im Wirtschaftshof. Thomas Bichler kam eben aus dem Stall und begrüßte den Landarzt per Handschlag.

      »Grüß dich, Doktor, nett, daß du mal vorbeikommst. Bleibst fei zum Abendessen, net wahr?«

      »Eigentlich hab ich nur nach meinem Schützling schauen wollen. Wie geht es denn eurer neuen Küchenmagd?«

      »Recht gut. Sie hat sich schon eingelebt und Freundschaft mit unserem Großknecht geschlossen. Es tut mir leid, aber du hast die beiden verpaßt. Sie sind zusammen spazieren gegangen.«

      Max Brinkmeier zeigte sich erstaunt. »Sie ist mit dem Andi beisammen? Das wundert mich aber ehrlich. Ich mein, der Bursch ist eine ernste Natur, ich hab ihn noch nie mit einem Madl gesehen. Und ich dachte, sie ist viel zu scheu, um sich jemandem anzuschließen.«

      Der Bauer lachte. »Tja, so kann man sich irren. Die zwei sind sich gut, seit sie sich das erste Mal in die Augen geschaut haben. Ich glaub, aus denen könnte was werden. Komm halt mit ins Haus, Doktor. Trinken wir wenigstens ein Stamperl zusammen.«

      Die freundliche Einladung mochte der junge Arzt nicht ablehnen. Und dann saß er bei den Bichlers in der guten Stube und hörte mit wachsender Verwunderung, wie sehr »Eva« sich bereits verändert hatte. Aus dem verstörten Wesen, das aus dem Nichts gekommen war, schien ein fröhliches, junges Mädchen geworden zu sein.

      »Ihr habt ja ein Wunder vollbracht«, lobte er beeindruckt.

      »Net wir, der Andi«, verbesserte Marie Bichler. »Die zwei sind richtig aufgeblüht, es ist eine Wonne, das zu beobachten.«

      »Ich hoffe sehr, es bleibt so. Versteht mich nicht falsch, aber daß dieses Madl hier bei euch ist, kann kein endgültiger Zustand sein, darüber sind wir uns doch einig gewesen.«

      »Sag, Doktor, was kann denn auf uns zukommen, wenn sie sich wieder an früher erinnert? Was kann passieren?«

      »Nun, ich bin kein Psychologe, hab mich erst einmal selbst mit den Fakten vertraut machen müssen. Solch ein Fall von anhaltender Amnesie, der deutet auf ein schweres Trauma hin, auf Erlebnisse, die nicht verarbeitet worden sind. Je länger es dauert, desto größer wird der emotionale Schock, wenn der Knoten sich sozusagen löst und die Erinnerungen zurückkommen. Manche Patienten erleiden dann einen Rückfall, es ist möglich, daß sie stationär behandelt werden müssen. Schwere Depressionen und Selbstmordgedanken sind nicht selten, weil man einfach nicht mit dem umgehen kann, was da geschehen ist.«

      »Mein Gott, wie furchtbar.« Die Bichlerin schaute ihren Mann zutiefst besorgt an. »Was sollen wir machen, wenn es unserer Eva so ergeht?«

      »Ich weiß net. Wir können da wahrscheinlich gar nix machen, oder? Daß es so schlimm werden könnte, wußte ich nicht.«

      »Es muß ja nicht so kommen«, schränkte Max Brinkmeier ein. »Ich wollte nur, daß ihr Bescheid wißt. Wird der Andi zu ihr halten, auch wenn es ihr schlechtgeht?«

      »Ganz gewiß. Er hat mir heut erst gesagt, daß er die Eva liebhat und darauf hofft, sie eines Tages heiraten zu können.« Thomas Bichler lächelte, als seine Frau ihm den Arm drückte.

      »Das ist gut, dann hat sie ja einen festen Halt. Ansonsten kann ich euch nur raten, auf das Madl zu achten und ihr das Gefühl zu geben, daß sie bei euch willkommen ist. Wenn sie in einer positiven Umgebung lebt, wird ihr das sicher helfen.«

      Wenig später verabschiedete Max sich von den Bichlers. Er wollte eben in seinen Jeep steigen, als er den Großknecht in Begleitung herankommen sah. Auf den ersten Blick wirkten die beiden jungen Leute wie ein ganz normales Paar, das frisch verliebt war. Ein schöner Anblick, fand Max. Doch er verbot sich, einfach die dunklen Wolken zu übersehen, die über dieser erblühenden Liebe hingen.

      »Herr Doktor Brinkmeier, das ist aber nett!


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