Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen
du Leon fragen würdest …«
Wieder unterbrach Julia sie.
»Ich tu es aber nicht«, machte sie der Unterhaltung kurz und knapp ein Ende, stand auf und ging hinüber zum Stall. Es war Zeit, die Kühe zu melken. Auf halbem Weg jedoch blieb sie noch einmal stehen und drehte sich um. Viel weicher als vorher sagte sie: »Oma, du hast dich nie in mein Leben eingemischt. Bitte, lass es jetzt auch sein. Leon hat meine Handynummer nicht. Falls du also auf dem Display unseres Telefons die Vorwahl von Düsseldorf erkennst, gehe bitte nicht an den Apparat. Ich brauche erst einmal Abstand.«
»Und wie lautet die?«
»Ich schreibe sie dir auf.«
Hilde strich sich mit beiden Händen die Schürze glatt. Sie wirkte müde.
»Ich gehe doch sowieso nur ans Telefon, wenn du nicht da bist«, antwortete sie.
»Den Fall meine auch.«
Die Blicke der beiden Frauen maßen sich auf die Entfernung hinweg. Schließlich nickte Oma Winter. »Wenn du meinst.«
Mit dieser Antwort drehte sie sich um und verschwand im Haus.
*
»Alles halb so schlimm«, sagte Gideon Schubert zu seinem Sohn. »Mama hat mal wieder zu viel Angst gehabt. Du siehst ja, heute in der Früh haben mir die Ärzte einen Stent gesetzt, jetzt bin ich schon wieder munter und morgen kann ich schon wieder nach Hause gehen.«
Gideon war ein Mann, dessen Körperfülle und Gesicht deutlich davon Zeugnis ablegten, dass er gern aß und trank. Der kurze weiße Vollbart, die Furchen in dem stets sportlich gebräunten Gesicht unterstrichen die bärbeißige Art, mit der er seiner Umwelt begegnete. Doch an diesem frühen Abend wunderte sich Leon, wie sanftmütig sich sein Vater gab.
»Es muss ja weitergehen«, fuhr Gideon ernst fort. »In anderer Gangart, und die in jeder Hinsicht. Der Infarkt hat mir gezeigt, dass das Leben zu kurz ist, um sich zu streiten. Und deshalb, mein Sohn …« Er legte seine Pranke auf Leons Hand. »Deshalb wollen wir beide endlich Frieden schließen. Ich vergesse deine beruflichen Eskapaden. Ja, ich habe sogar eine gewisse Hochachtung dafür, dass du dich in Italien allein über Wasser gehalten hast. Ich vergesse auch, dass du dich nicht als Hoteltester eignest, wie der Versuch bei der Pension Winter gerade gezeigt hat«, fügte er zwinkernd hinzu. »Deshalb haben dein Bruder und ich uns etwas überlegt …« Weiter kam er nicht. Leon unterbrach ihn.
»Mama hat mir bereits erzählt, was du und Anselm euch überlegt habt. Außerdem habe ich es heute schon im Internet gelesen.« Er lächelte seinen Vater an, rückte mit dem Besucherstuhl näher an dessen Krankenbett heran. »Vater«, begann er. »Ich möchte gern zu der Pension Winter etwas sagen. Mein Bericht ist nur aus einem Grund so gut ausgefallen. Und zwar, weil ich mich in die Pensionswirtin verliebt habe. Ich weiß nicht, ob dir Ludger Pfeifer, den du mir ja zur Kontrolle hinterhergeschickt hast, das schon erzählt hat.«
Nun schwieg er erst einmal, beobachtete das Gesicht seines Vaters, wartete auf dessen Wutausbruch. Doch der erfolgte nicht. Im Gegenteil. Auf den Zügen seines alten Herrn breitete sich der Ausdruck von Staunen aus. »Du hast dich verliebt?«
»Ja.«
»Wie soll ich das verstehen? Ich meine, du hattest viele Freundinnen. Ist es dir dieses Mal ernst?«
»Sehr ernst.« Leon nickte bekräftigend. »Ganz abgesehen davon, dass die Tätigkeit eines Hoteltesters nichts für mich ist. Weil sie in meinen Augen der Spionage gleichkommt, kann ich nicht zuschauen, wie Julias Existenz und die ihrer Großmutter zugrunde geht. Natürlich weisen das Gebäude und die Innenausstattung viele Mängel auf, aber die Atmosphäre, die dort herrscht, ist warm, liebevoll und heimelig. Die beiden Frauen haben leider kein Geld, um alles zu sanieren. Julias Versuch, mit dem zu werben, was sie nur haben, fand ich irgendwie rührend. Und ein Zeichen von Charakterstärke. Sie gibt nicht auf.«
Gideon räusperte sich vernehmlich. Schwer atmend richtete er sich im Bett auf. Leon stützte seinen Rücken mit zwei Kissen. Dann schwiegen beide eine Weile.
Da sein Vater anscheinend nicht vorhatte, das Gespräch wiederaufzunehmen, sprach Leon weiter.
»Euer Angebot, das für dich und Anselm anscheinend schon für beschlossen gilt, kann ich nicht annehmen. Eine Tätigkeit in unserem Unternehmen ist nichts für mich. Ich habe andere berufliche Pläne.«
»Lass mich raten.« Gideon sah ihn abwartend an.
Leon musste lächeln. »Richtig geraten, Vater. Ich habe genug Geld gespart, um endlich die Schreinerlehre machen zu können. Und zwar im Schwarzwald.«
»Im Schwarzwald?« Der Unternehmer machte einen erschrockenen Eindruck. »Das ist weit weg.«
Seine Reaktion verblüffte Leon. Er hätte viel eher wieder einmal einen Einwand gegen seinen Berufswunsch erwartet. Stattdessen schien seinem Vater die Entfernung nicht zu gefallen.
»Ihr könnt mich ja dort besuchen«, erwiderte er.
»In der Pension Winter?« Ein verschmitztes Lächeln stand in den schwarzen Männeraugen.
Leon lachte. »Zum Beispiel. Aber in Ruhweiler gibt es auch ein paar gute Hotels, wo du und Mama euch bestimmt sehr wohlfühlen würdet.«
Gideon räusperte sich noch einmal. »Und was hast du nach abgeschlossener Lehre vor?«
»Als Restaurator arbeiten. Das, was ich immer wollte.«
»Und die junge Dame?«
»Die junge Dame heißt Julia. Sie ist Hotelfachfrau. Ich bin fest entschlossen, ihr zu helfen, die Pension zu retten. So wie ich hat auch sie einen Traum. Ich will, dass sie sich diesen verwirklichen kann.«
»Hast du diesbezüglich schon konkrete Vorstellungen?«
»Natürlich ist das nicht leicht, wenn das Geld für eine Sanierung fehlt.« Leon seufzte. »Mit idyllischer Natur, Reit- und Angelgelegenheit kann man heutzutage keine Gäste mehr anlocken, wenn die Zimmer ohne Dusche und WC sind. Wer weiß das besser als du. Ich habe jedoch eine Idee. Zur Pension gehört ein riesiges Waldgebiet, das Julias Großmutter jedoch nicht verkaufen will. Oma Winter hofft darauf, dass ihr Sohn irgendwann aus Australien zurückkommt und dort Holzwirtschaft betreibt. So hat sie mir in einer stillen Stunde anvertraut. Aber vielleicht könnte man das Gebiet als Jagdrevier verpachten. Für eine schöne hohe Jagdgebühr. Von den Leuten aus dem Ruhweiler Tal weiß ich, dass die Gegend sehr wildreich ist.«
Sein Vater schwieg wieder lange. Dabei sah er zum Fenster hinaus auf die knorrigen Kastanienbäume, die im Klinikpark standen. Schließlich fand sein Blick den seines Sohnes wieder.
»Tja, Junge, da bleibt mir nichts anderes übrig, als deinen Wunsch zu akzeptieren. Wie habe ich anfangs gesagt? Das Leben ist zu kurz, als dass man sich streiten sollte. Ich wünsche dir viel Glück. Und vielleicht lernen wir deine Freundin ja bald kennen.«
Leon verspürte ein Kribbeln im Hals. Er hustete ein paar Mal hintereinander, bis er sicher war, dass seine Stimme wieder fest klingen würde.
»Natürlich werdet ihr euch kennenlernen. Eines kann ich dir jetzt schon verraten …« Er beugte sich zu seinem Vater hinüber und vertraute ihm blinzelnd an: »Du wirst begeistert sein. Julia ist wunderschön.«
»Weiß Mutter es schon?«
Leon nickte. »Mutter und ich haben heute viele Stunden miteinander verbracht. Wir haben über alles gesprochen. Sie freut sich für mich.«
»Obwohl du wieder weggehst?« Ungläubig sah sein Vater ihn an.
»Mutter hat schon ein paar Ideen. Sie meinte, dass ihr immer schon mit dem Gedanken gespielt hättet, euch ein Ferienhaus anzuschaffen.«
Da lachte sein Vater aus vollem Herzen. »Meine Elsa. Sie hat es immer schon verstanden, aus jeder Situation das Beste zu machen.«
*
Bis weit nach Mitternacht versuchte Leon, die geliebte Frau zu erreichen. Er schalt sich, dass er nicht ihre Handynummer besaß. Am