Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen

Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman - Christine von Bergen


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Winkel von Ruhweiler war der völlig falsche Ort für ihn, wenn er gerade auch den hilfsbereiten Naturburschen spielte. Warum tat er das?

      Sie nahm sich vor, ihm fortan mit einem gesunden Misstrauen zu begegnen.

      *

      O Mann!

      Leon sah sich in dem Zimmer um. Mit viel gutem Willen konnte man hier den Charme der sechziger Jahre entdecken. Dabei war es das beste Zimmer von sieben, die Großmutter und Enkelin vermieteten. Kein Wunder, dass er der einzige Gast war, noch dazu bei diesem Wetter.

      Er öffnete die Balkontür und atmete tief durch.

      Die Luft war gut. Sehr gut. Sie roch nach Erde und Fichtennadeln, besser als jedes Aftershave. Der Zimmerpreis war fast geschenkt. Und gemütlich warm wurde es auch gerade. Die Heizung lief auf vollen Touren. Oma Winter musste sie, während er den Laden befestigt hatte, angeschaltet haben.

      Leon sah an sich herunter, auf die kleine Pfütze neben seinen Slippers. Eine warme Dusche, trockene Kleidung, etwas Leckeres essen, zwei Glas Wein und danach schlafen. Das waren seine Wünsche für den heutigen Tag. Morgen würde er weitersehen.

      Im Badezimmer warf er einen Blick durchs Fenster. Im gleichen Moment trat Julia Winter aus dem Stall. Sie blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken, hielt ihr fein geschnittenes Gesicht dem Regen entgegen. Und dann tat sie etwas, was ihn faszinierte. Sie zog ihr Tuch vom Kopf, und eine Flut hellblonder Haare ergoss sich über ihren Rücken bis zur Taille. So verweilte sie ein paar Sekunden, ganz in sich selbst versunken. Sekunden, in denen sein Herz schneller schlug. Welch eine Frau! Er verbot sich, sich den weiten Overall und die derben Gummistiefel wegzudenken, aber er war sich sicher, dass unter diesen Sachen ein perfekter Körper steckte. Julia Winter war eine Naturschönheit. Sie passte hierhin. Sie war ganz anders als die vielen jungen Frauen, die er kennengelernt, und die ihn so ermüdet hatten. Eine hatte der anderen geglichen, nur unterschiedliche Haarfarben hatten sie gehabt. Und sie hatten alle das Gleiche gewollt: Einen gut aussehenden erfolgreichen Mann mit viel Geld.

      Während er sich daran erinnerte, stand Julia immer noch bewegungslos wie eine Statue vor dem Stall und hieß den Regen auf ihrer Haut willkommen. Mit beiden Händen strich sie sich jetzt langsam übers Gesicht, die Stirn, übers Haar hinunter bis zu den Schultern, über die Brusttasche des Overalls und ließ sie schließlich in der Taille liegen. So verweilte sie, immer noch den Kopf im Nacken, während der Regen an ihr herunterlief.

      In diesem Augenblick wusste er, dass sich diese Szene, eine für ihn sehr erotische Szene, für immer in sein Gedächtnis einprägen würde, wie ein kunstvolles Foto. Und gleichzeitig fragte er sich, ob er etwa auf dem Weg war, sich in diese Frau zu verlieben.

      *

      Nachdem sich Julia einen trockenen Arbeitsoverall angezogenen hatte, unter dem sie ein altes kariertes, viel zu weites Männerhemd trug, machte sie sich daran, in der Stube den Tisch zu decken. Sie nahm das beste Porzellan, das beste Tuch, eine Stoffserviette, Kerzen. Wenn Leon Schubert schon an ihrer Kleidung etwas auszusetzen hatte, sollte er wenigstens nicht an der Tischkultur der Pension Winter Anstoß nehmen müssen.

      Zum ersten Mal an diesem Tag war sie dem Wetter dankbar. Am Spätnachmittag war es schon so dämmrig, dass sie die Lampen anknipsen musste, die ein weiches Licht verströmten und die vereinzelten Flecken auf dem Putz unsichtbar machten. Im Kamin knisterte ein behagliches Feuer, und aus dem langen Flur, der zur Küche führte, strömten schon die köstlichsten Düfte in die Gaststube.

      Zufrieden mit ihrem Werk sah sich Julia um. Da hörte sie Schritte im Flur. Ihr Herz wollte schon seinen Rhythmus ändern, als sie diese als die ihrer Großmutter erkannte.

      »Das sieht doch gar nicht so übel aus«, lobte Hilde ihre Enkelin mit anerkennendem Nicken. Dann verfinsterte sich ihr Blick. »Aber so willst du doch nicht etwa Herrn Schubert das Essen servieren?«

      Julia drückte den Rücken durch. »Ich werde kein Essen servieren. Ich dachte, das machst du besser. Du hast dich mit unserem neuen Gast ja schon bestens unterhalten.«

      Ihre Großmutter lachte belustigt auf, schüttelte dann den Kopf. »Kommt gar nicht infrage. Ich muss in der Küche bleiben. Zieh dir was Hübsches an, und dann unterhältst du ihn ein bisschen während des Essens. So gehört es sich.«

      *

      Leon stieg die ausgetretenen Holzstufen hinunter, die bei jedem seiner Schritte knarrten. Im Flur angekommen, fiel sein Blick auf die kunstvollen Stiche, die an den weiß verputzten Wänden hingen. Schöne Stücke, wie er mit Kennerblick erkannte. Auch die alte Kommode, über der ein Barockspiegel hing. Kein Kitsch. Nein, alles echt. Er ging weiter. ›Gaststube‹ stand an einer der geschnitzten Türen, die er dann öffnete.

      Wärme empfing ihn, die heimelige Wärme eines Kaminfeuers. Hier standen sieben Tische, ziemlich eng beieinander. Wenn man sich sympathisch war, konnte dies durchaus verbindend sein. Einer von ihnen war eingedeckt. Für eine Person. Für ihn.

      Er musste lächeln. Auf den ersten Blick erkannte er das Bemühen der beiden Frauen, das ihn seltsam berührte. Fast perfekt, für eine so kleine Pension am Ende der Welt. In der Ecke des Zimmers stand ein Bauernschrank. Restauriert war er bestimmt eine Menge wert. Schließlich lenkte ihn der köstliche Essensduft von seinen Gedanken ab. Die Tür hinter ihm öffnete sich. Julia kam herein, im grünen Overall, kariertem Hemd und Holzschuhen.

      »Im Partnerlook?«, fragte er und lächelte sie arglos an.

      »Damit Sie sich nicht als Außenseiter fühlen«, lautete ihre Antwort, mit der sie an ihm vorbeiging und einen Beistelltisch aus der Ecke an seinen Tisch heranzog.

      Sie hatte ihr Haar getrocknet und es zum Knoten im Nacken zusammengesteckt. Was an einer anderen jungen Frau hausbacken gewirkt hätte, sah bei ihr edel aus. Nur noch Perlenohrringe und ein schwarzes Kleid, dann hätte sie ihn zu einem dieser schrecklichen Events begleiten können, die in Düsseldorf wieder auf ihn warteten.

      »Was trinken Sie zum Essen? Wein, Bier, Wasser, Saft?«

      »Gern Wein, falls Sie haben«, erwiderte er und setzte sich, ein wenig ernüchtert, nachdem sein Scherz nicht gerade auf fruchtbaren Boden gefallen war.

      »Glottertaler?« Sie sah ihn an. Ernst und offen.

      Diese Augen! Er wollte ihren Blick festhalten, doch sie wich ihm aus.

      »Glottertaler ist okay.«

      Wie ein Oberkellner im feinsten Restaurant legte sie ein weißes Tuch korrekt über den rechten Arm und sagte: »Salat ist der erste Gang. Dann gibt es eine Fenchelsuppe, danach Forelle Müllerin, und zum Nachtisch können Sie wählen zwischen einem Stück Schwarzwälder Kirsch oder Bayerischer Creme.«

      Er hob die Brauen. »Dafür, dass ich der einzige Gast bin, sind Sie aber gut sortiert.«

      Sein Erstaunen rief ein Lächeln auf ihr Gesicht, das ihm wie ein heller warmer Sonnenstrahl vorkam.

      »Salat haben wir im Garten, Fenchel in der Tiefkühltruhe, Forellen im eigenen Teich und die Schwarzwälderkirschtorte hat meine Oma gestern frisch gemacht, weil wir Besuch hatten.«

      Er sah zu ihr hoch.

      Aufrecht stand sie vor ihm, wie eine stolze Kriegerin. Dieses Mal hielt sie seinem Blick stand.

      »Wissen Sie was?«, fragte er, während eine warme Woge sein Inneres überflutete. »Ich bin ein Glückspilz.«

      Sie sagte nichts darauf, erwiderte nur seinen Blick. Mit einem Lächeln. Er sah in diese Märchenaugen und fühlte sich von einem überwältigenden Drang ergriffen aufzustehen, sie in die Arme zu ziehen und zu küssen. Hatte er den Verstand verloren? Auf Anhieb hatte ihn ihre Schönheit fasziniert. Aber in Wirklichkeit war es ihre Ausstrahlung, die sie so anziehend machte, ihre Art. Sie war nicht nur äußerlich schön. Dass sie ihre Großmutter unterstützte, dass sie um das Überleben dieser Pension kämpfte, sich bis jetzt nicht hatte unterkriegen lassen, das imponierte ihm.

      Es ist ein Zauber, dachte er, während er in ihr Gesicht sah und gleichermaßen verblüfft wie besorgt erkannte, dass er in diesem Augenblick tatsächlich richtig glücklich


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