Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen
diese rothaarige Schöne auch zu Ihrem Unterhaltungsprogramm?«, fragte Leon blinzelnd.
»Das ist meine Freundin Vera«, stellte Julia die flotte Cabriofahrerin vor. »Sie kennen sie ja bereits«, fügte sie trocken hinzu.
Vera reichte ihm die manikürte Hand.
»Friseursalon«, sagte sie mit rauchig klingender Stimme und einem verführerischen Blick aus grünen Augen.
»Stimmt. Shampoo«, erwiderte er mit freundlichem Lächeln.
Diese junge Dame hatte gestern mit ihm flirten wollen. Er sah Julia an. »Wenn Sie beide Kaffeetrinken wollen, könnte ich doch schon einmal den Heuballen irgendwo hinbringen. Oder was soll damit passieren?«
Julia wirkte verblüfft. »Ich …« Sie räusperte sich. »Er muss auf den Trecker dort hinten. Aber nicht nur er, noch vier weitere.«
»Okay. Kein Problem. Das sehe ich als kleine Fitnessübung an. Den beiden Damen noch viel Spaß.« Vor der Friseurin, die ihn mit genau dem hungrigen Blick ansah, den er von so vielen anderen Frauen kannte, legte er eine Verbeugung hin, was ihn innerlich amüsierte. Dann betrat er höchst vergnügt und zufrieden mit seiner Reaktion den Stall. Vera hatte er deutlich gemacht, dass er nicht mit ihr flirten wollte, und Julia, dass er ein Mann war, der durchaus auch anpacken konnte.
»Ein toller Typ«, sagte Vera mit versonnenem Blick aus dem Stubenfenster.
»Hm.« Julia nippte am Kaffee.
»Finde ich eigentlich komisch, dass jemand wie er hier Urlaub macht.«
»Hm.«
Vera sah sie an. »Der ist bestimmt gebunden. Verheiratet, schätze ich, und braucht jetzt eine Auszeit von Ehe und Familie. Vielleicht will er darüber nachdenken, wie er seine Geliebte loswerden kann.«
Julia zog die Brauen zusammen.
Darauf war sie noch gar nicht gekommen. Aber Vera hatte vielleicht sogar recht. Ein Mann wie Leon Schubert lief nicht mehr allein durch die Welt. Vermutlich hatte er eine Frau in Düsseldorf und hatte wegen ihr Italien den Rücken gekehrt. Warum war sie nicht selbst darauf gekommen?
»Für so was habe ich einen Blick«, fuhr ihre Freundin fort, während sie wieder nach draußen blickte, wo Leon Schubert gerade die Seilwinde betätigte, um den Strohballen auf den Anhänger zu hieven. »Er flirtet nicht. Was ja nur für ihn spricht. Dafür, dass er seiner Partnerin treu ist.«
Julia schluckte.
»Ist ja auch egal«, erwiderte sie schulterzuckend, bevor sie einen Schluck Kaffee trank.
Dann hörte sie Vera mit nur einem Ohr zu, die nun von einer Kundin erzählte, welche sie schon am frühen Morgen genervt hatte. Dabei stahl sich der Blick ihrer Freundin immer wieder durchs Fenster. Doch Leon Schubert ließ sich nicht mehr sehen. Ob er die Lust schon verloren hat?, fragte sie sich. Aber warum hielt er sich dann noch im Stall auf? Bald spürte sie, wie sie unruhig wurde. Ob ihm etwas passiert war? Diese Sorge begann, immer stärker an ihr zu nagen. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie stand auf.
»Ich muss mal sehen, was unser Gast im Stall macht.«
Vera seufzte. »Und ich muss mal wieder ins Geschäft. Meine nächste Kundin kommt gleich.«
Als die beiden jungen Frauen vor das Haus traten, hörten sie ein Geräusch. Ein heiseres Rufen. Da rannte Julia los.
*
Hinter der Stalltür hing Heustaub in der Luft, wie eine Wand. Er ließ Julia zurückprallen, machte ihr das Atmen fast unmöglich. Sie wedelte mit der Hand. Ihre Augen versuchten, das staubige Innere zu durchdringen. Von irgendwo klang ein Husten an ihr Ohr.
»Herr Schubert?«
»Hier.«
Nur undeutlich vernahm sie Leons Stimme. Dann wieder ein Husten.
Die Heuballen! Dieser Gedanke zuckte Julia wie ein Blitz durch den Kopf. So konnte es nur sein. Einer oder mehrere der bis unters Dach aufgeschichteten Heuballen musste heruntergefallen sein. Hoffentlich nicht auf Leon Schubert.
»Wo sind Sie?!«, rief sie mit einer Stimme, aus der ihre Panik herauszuhören war.
»Hier hinten.« Wieder ein Husten.
Julia wusste, wo ›hier hinten‹ war. Sie ging weiter. Ihre Schritte wirbelten noch mehr Staub auf. Sie musste ebenfalls husten. Sie hörte ein Keuchen, ein Geräusch, das wie Brechreiz klang. Wahrscheinlich war einer der Ballen auseinandergefallen und das Heu hatte sich über ihren Gast ausgebreitet.
»Bleiben Sie, wo Sie sind«, rief sie ihm jetzt zu. »Ich bin gleich bei Ihnen.«
Sie kämpfte sich durch den Staub. Dann sah sie Leon auf dem Boden liegen, auf dem Rücken, etwa ein Meter von den heruntergefallenen Heuballen entfernt. Er war verletzt. Dessen war sie sich sicher. Und seine Lungen hatten viel zu viel Staub eingeatmet.
»Was ist?«, rief Vera vom Stalltor zu ihr herüber.
»Ruf Dr. Brunner an. Er soll sofort kommen. Ein Unfall.«
*
Leon schnappte nach Luft. Doch mit jedem Atemzug füllten sich seine Lungen nur noch mehr mit dem immer noch stobenden Heustaub und den kleinen Strohteilchen. In letzter Sekunde hatte er der Wucht der herunterfallenden Ballen noch ausweichen können. Er war rückwärts zur Seite gesprungen, dabei jedoch unglücklich mit dem Rücken auf dem Steinboden aufgekommen. Ein schneidender Schmerz im Steißbein hinderte ihn, aus der Staubwolke herauszukriechen oder gar aufzustehen. Jetzt hörte er Julias Stimme. Und obwohl er würgte und hustete und glaubte, ersticken zu müssen, war da tief in ihm die Dankbarkeit, diesen Unfall überlebt zu haben.
»Bleiben Sie liegen«, sagte die junge Frau nun dicht neben ihm.
Es raschelte, und da entdeckte er auch schon ihr Gesicht über sich. Er wollte etwas sagen, sie beruhigen, doch er brachte nur ein Japsen hervor. Julias Hand berührte seine Wange. Mit der anderen hob sie vorsichtig seinen Kopf an.
»Tut das weh?« Sorge stand in ihren Märchenaugen. Dann verschwamm ihr Gesicht wieder vor seinen Augen. Ein neuer Hustenanfall überfiel ihn. Tränen traten ihm aus den Augen.
»Können Sie sich aufrichten?«, fragte ihre sanfte Stimme.
Er versuchte, sich aus der liegenden Position hinzusetzen. Ihre Hand führte dabei behutsam seinen Rücken. Dann wieder ein stechender Schmerz. Er fiel zurück.
»Atmen Sie.« Sie klang flehend.
Er atmete und hustete wieder. Sie nahm seinen Kopf in beide Hände, neigte ihn zur Seite und hielt ihn.
»Scheuen Sie sich nicht, alles auszuspucken«, sagte sie. »Der Staub muss raus.«
Immer wieder schüttelte ihn der Husten, sein Brustkorb schien auseinanderzubrechen, seine Lungen zu platzen. Das einzig Wohltuende war, dass Julia seinen Oberkörper, den er unter Schmerzen in Schräglage hatte bringen können, umfangen hielt und dass ihre Hand immer wieder über sein Haar streichelte. Wie einem Kind sprach sie ihm zu, leise und beruhigend. Ihre Worte konnte er nicht verstehen. Und er hätte auch nicht sagen können, wie lange sie beide in dieser Position schon verharrten. Sie neben ihm auf den Knien hockend, er halb sitzend und halb liegend. Dann kam ein Auto, eine Männerstimme, tief und sympathisch klingend, wurde laut, sowie zwei Frauenstimmen. Die eine gehörte der Friseurin, die andere Oma Winter.
»Julia?«, rief der Mann.
»Dr. Brunner!« Julia klang erleichtert. »Hier sind wir.«
Da sah er durch den Staubnebel, der immer noch im Stall hing, einen großen Mann auf sich zukommen. Das musste der Arzt sein.
*
Dr. Matthias Brunner untersuchte seinen Patienten am Unfallort. Auch ihm drang der Staub in die Atemwege, was ihn immer wieder husten ließ. Doch zunächst wollte er die Lage des jungen Mannes nicht verändern. Bei einer möglichen Rückgratverletzung hätte dies schlimmstenfalls zur Durchtrennung von Nerven führen können