SEELENHANDEL. Kealan Patrick Burke

SEELENHANDEL - Kealan Patrick Burke


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      »Kyle«, murmelt er.

      »Was?«

      »Du darfst mich nicht Sohn nennen.«

      »Okay.«

      Wintry kümmert sich immer noch um Cobbs. Der alte Mann hat eine halbe Flasche Whiskey getrunken. Ich bin mir sicher, dass sein Verstand, wo immer er auch sein mag, nicht weiß, was passiert ist, und das ist vielleicht am besten so. Wintry fängt meinen Blick ein und in diesem kurzen Moment sind wir wie zwei alte Säcke, die Kriegsgeschichten austauschen. Was hier heute Abend passiert ist, wird niemals vergessen werden, und ebenso wenig die Ereignisse, die uns dazu gebracht haben, die ganzen Trugschlüsse, die Irrwege, all die simplen kleinen Fehler – alles, das insgesamt zu einer Talfahrt mitten in einen Albtraum hinein geführt hat, den keine Art von Aufwachen wieder verblassen lässt. Aber für einen Moment haben wir jetzt eine Ruhepause, und zwar eine willkommene, und ich nehme an, dass alle (außer vielleicht Brody und dem Mädchen) sie vor der nächsten Katastrophe zu genießen wissen. Egal, wie kurz es anhält: Dies ist Eddie’s Taverne, die einzige offene Kneipe in einer halbtoten Stadt, und jetzt, zum allerersten Mal, sind diese Menschen wirklich meine Freunde.

      Wintry macht sich wieder stumm daran, den untröstlichen Cobb zu trösten. Gracie marschiert ins Damenklo und kommt mit einem Mopp und Eimer heraus, die dreckiger als der Boden sind, an denen aber, so viel ich weiß, keine menschlichen Überreste kleben. Flo versucht, das Mädchen zum Aufstehen zu bewegen. Das wird nicht passieren.

      »Wir müssen ihn auch mitnehmen«, sage ich mit einem Nicken in Brodys Richtung zu Kyle.

      »Nein.«

      »Warum?«

      »Ja«, fügt Brody hinzu. »Wieso? Falls es daran liegt, dass du einen absolut netten Typen wie mich angeschossen hast und nicht weißt, wie man sich entschuldigt … he, Scheiße … es ist vergeben und vergessen.« Er grinst. Auf seinen Zähnen ist Blut. »Ich bin nicht nachtragend.«

      »Er ist ein Mörder«, sagt Kyle.

      Ich lehne mich nahe zu ihm rüber. »Kyle, verdammt – jeder hier ist ein Mörder.«

      »Nein, aber nicht so wie er. Er hat Spaß dran gehabt. Hat’s mit Absicht getan.«

      Mein Kopf fängt an, sich bei seiner Logik zu drehen, und das Einzige, dessen ich mir wirklich sicher bin, ist, dass ich ihm nicht zustimme. »Pass auf, du musst …«

      »Lass ihn in Ruhe«, sagt Cobb so träumerisch, als habe ihn unsere Neckerei aus einem Mittagsschläfchen geweckt.

      Alle schauen in seine Richtung. Aber er sieht uns nicht an.

      »Cobb …«

      »Lass ihn. Ich werde mich um ihn kümmern.«

      Man sollte mir nicht vorwerfen, wie ich seine Worte verstehe. Natürlich kann Cobb Menschen heilen, aber angesichts der Tatsache, dass wir über einen Mann reden, der gerade seine Frau getötet hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass er vom Heilen spricht. »Dich wie um ihn kümmern?«

      »Ihn zusammenflicken, Sheriff. Was denn sonst?« Seine Augen sind vom Weinen geschwollen, sein Gesicht fast so bleich wie das von Brody.

      »Alles Mögliche«, antworte ich. »Er kann selbst sterben, wenn es das ist, wobei du ihm helfen wolltest.«

      »Ich hab gesagt, ich flicke ihn wieder zusammen. Er hat Ellie ja nicht mit Absicht getötet.«

      »Das weißt du nicht.«

      »Nein. Das weiß ich nicht.« Er nimmt noch einen Schluck Whiskey. »Aber warum sind wir denn hier?«

      Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Anscheinend weiß es sonst auch niemand. Bis auf das leise Wimmern des Mädchens ist es schrecklich still im Raum.

      »Wir kommen her, um zu versuchen, Frieden zu finden, obwohl es keinen gibt. Wir kommen her, um Vergebung zu finden. So wie ich mir das denke, Sheriff – wenn ich diesem Jungen nicht das antue, was jede Faser von mir tun will und ihn stattdessen wiederherstelle, so wie ich selbst geheilt werden möchte, wie ich’s aber nie werden kann … dann wird das vielleicht in diesem gottverdammten großen Plan, in dem wir alle so elendig gefangen sind, für irgendetwas gut sein. Oder was denkst du?«

      Da es die Überlegung wert ist, denke ich einen Moment darüber nach. »Ich glaube, da könnte was dran sein«, sage ich ihm.

      »Ja?«

      »Ja.« Ich schaue auf das Mädchen. »Was ist mit ihr?«

      »Für sie kann ich nichts tun. Vielleicht kann Hendricks ein Wunder zaubern, aber ich nicht.« Er sieht auf Brody hinab. »Ihr geht es zu schlecht.«

      Brody seufzt zittrig, versucht aufzustehen und kann es nicht. Obwohl Cobbs versichert hat, dass er dem Jungen helfen will, glaube ich, dass wir gerade seine Rache gesehen haben. Dem Jungen zu sagen, dass seine Freundin sterben wird, ist so ziemlich die einzige Waffe, die er noch hat, denke ich. Ihn so stark zu verletzen wie er kann, bevor er ihn heilt.

      »Okay.«

      Cobb nickt und wendet sich wieder seinem Drink zu. »Lass Ellie nicht da draußen auf der Straße liegen, Tom. Sie hat Besseres verdient.«

      »Ich werd‘ mich drum kümmern.«

      »Ihr lasst mich hier bei ihm?«, fragt Brody entsetzt.

      »Von einem Haufen schlechter Möglichkeiten ist das die einzig gute Wahl«, erinnere ich ihn. »Akzeptier es oder lass es bleiben.«

      Gracie kommt um die Theke herum, wirft sich die Haarsträhne aus dem Gesicht und stellt Mopp und Eimer auf der Leiche des Priesters ab. »Sollen wir ihn verbrennen?«, fragt sie so nebenbei, als würde sie nach dem Wetter fragen. »Die Asche begraben und die Erde damit salzen?«

      Ich verstehe ihre Besorgnis. Niemand von uns will das Arschloch wieder auferstehen sehen. »Wenn er nur halb so gefährlich war, wie er uns glauben gemacht hat, dann hätte er schon irgendwas getan. Und wenn er doch noch vor hat, was zu tun, wird‘s uns nicht viel helfen, ihn zu kochen oder ihn draußen in den Matsch zu sprenkeln, denke ich.«

      Sie seufzt, und so verletzlich habe ich sie noch nie gesehen. Wieder meldet sich das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen, aber diesmal weiß ich, dass es mich überkommt, weil ich das brauche und nicht sie. Also halte ich mich wieder zurück.

      »Warum haben wir das nicht schon vor drei Jahren getan?«

      Eine gute Frage, aber ich lasse sie unbeantwortet.

      Ich gehe in die Mitte des Raumes, Cobb und Wintrys Tisch zu meiner Rechten, Kadaver immer noch im Dunkel bei der Tür zu meiner Linken verborgen.

      »Alles okay, Kadaver?«

      »Ich zähle nur den Rest«, antwortet die elektronische Stimme aus der Dunkelheit, gefolgt vom gewohnten Klicken der Pennys.

      »Lass uns loslegen«, sagt Kyle hinter mir, und ich bin froh, das zu hören. Für mich bedeutet es zwei Dinge: Erstens hat er immer noch alles unter Kontrolle. Der Schock, innerhalb von zwanzig Minuten auf zwei Männer geschossen zu haben, hat ihn noch nicht wie so viele andere zu einem Wrack gemacht, auch wenn das irgendwann geschehen wird, wenn er es am wenigsten erwartet. Und zweitens heißt es Bewegung, Action, genau jetzt, wo meine Knochen drohen weich zu werden und mich zu einem zitternden, schluchzenden Etwas auf dem Boden zu reduzieren.

      Wir setzen uns in Bewegung.

      Da ich stärker bin als Kyle, schiebe ich meine Hände unter die Arme des Mädchens. Er nimmt ihre Füße.

      »Beeilt euch, verdammt noch mal«, stöhnt Brody. »«Lasst sie nicht sterben.«

      Vorsichtig passen wir den richtigen Moment ab, sie hochzuheben, und mit Flo als Vorhut sind wir aus der Tür heraus und haben Carla in den Rücksitz meines Trucks gebettet, bevor der Sekundenzeiger der Uhr einmal das Ziffernblatt umrundet hat.

      Wir lassen eine rosige Blutspur hinter uns zurück.

      5

      Der


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