SEELENHANDEL. Kealan Patrick Burke

SEELENHANDEL - Kealan Patrick Burke


Скачать книгу
der sich zusammenbrauende Zorn von Reverend Hills „Boss“ ist, der sich darauf vorbereitet, uns alle in die zweite Bleibe der Götter zu blasen, für die Hill ein geschätzter Angestellter war.

      Ich habe immer noch zu viel Angst, um zu glauben, dass es vorbei ist. Es ist ein hässliches Gefühl, das ich gut kenne, und kann nur hoffen, dass es nachlassen wird, sobald wir Carla im Haus des guten Doktors haben – vorausgesetzt, sie überlebt so lange. Während ich den Motor aufheulen lasse und zu Kyle hinübersehe, der die beschlagenen Scheiben freigewischt hat und in den Regen starrt, wird mir klar, dass ich keine Ahnung habe, was ich mit mir anfangen soll, falls dieser Albtraum wirklich zu Ende ist. Durch mein Fenster wird am Morgen kein herrlicher Sonnenschein fallen, um ein ebenso herrliches neues Kapitel in meinem Leben zu markieren. Ich bin immer noch ein Mörder, die Schuld existiert weiterhin, und mein Sohn denkt, ich sei tot und es ist ihm egal. Die einzige Änderung wird der Ort sein, zu dem ich mit meinem Kummer gehe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich nächsten Samstag zu Eddie’s gehen werde. Stattdessen werde ich zuhause sitzen – ohne die Gesichter, die als Spiegel für meinen Selbsthass dienen.

      Ich lenke den Truck vom Parkplatz, weiche vorsichtig anderen Autos aus und fahre auf die Straße, die uns in den Ort und zum Arzt führen wird. Ich weiß, dass er nicht begeistert sein wird, zu dieser späten Stunde aufgeweckt zu werden, insbesondere nicht, um sich um ein verletztes Mädchen zu kümmern, dem Nadelstiche den abgemagerten Arm zeichnen.

      »Schneller, sie sieht schlecht aus«, sagt Kyle, der über seine Schulter sieht, als ob er in meine Gedanken gespäht hat. »Meinst du, das Baby kommt durch?«

      »Hoffentlich.« Ich widerstehe der Versuchung, ihn an das zu erinnern, was Cobb über ihre Chancen gesagt hat.

      Es ist fast unmöglich, etwas durch die Windschutzscheibe zu sehen. Die Fernscheinwerfer sind wie aufgeblasene Gespenster, die dem Kühler immer drei Schritt voraus bleiben. Ich fahre zu schnell, bin mir darüber im Klaren, dass ich jederzeit und ohne Absicht meine Obligationen dem toten Reverend gegenüber erfüllen könnte, wenn ich jemanden überfahre oder den Truck ins Auto irgendeines betrunkenen Fahrers knalle, der auf dem Weg nach Hause ist.

      »Scheiße, schneller – sie blutet stark.«

      Es ist keine lange Fahrt, aber durch das Rütteln des Sturms am Truck und Kyles ständiges Anfeuern fühlt es sich an wie Stunden. Blitze machen die verregnete Welt taghell, als ich von der Hauptstraße in die Abigale Lane einbiege, wo der Arzt lebt.

      Hendricks Anwesen war eine alte Farm, von deren Fenstern aus inzwischen lang verstorbene Farmer zusahen, wie die Welt dem unersättlichen Hunger nach Fortschritt zum Opfer fiel. Bergbaugesellschaften kauften das Land für die Familien ihrer Arbeiter, und die Menschen wurden gierig. Dann hatte es mit dem Geld ein Ende und mit den Menschen auch. Hendricks, ein Arzt aus Alabama, der behauptete, er sei »nur auf der Durchreise«, sah keinen Grund weiterzufahren, als er die kränklichen Menschen sah, die sich dickköpfig geweigert hatten, während des großen Exodus von 1979 Milestone zu verlassen, und als er den Preis eines Hauses hörte, das niemand haben wollte.

      Als wir die Auffahrt zu dem kastenförmigen, zweistöckigen Haus hochfahren, ist nirgendwo in den Fernsten Licht – was nicht weiter überraschend ist. Ich ertappe mich bei der Überlegung, wie lange es wohl gedauert hätte, bis wir auf Eleanor Cobbs Taurus gestoßen wären, wenn wir weitergefahren wären, statt in Hendricks Einfahrt einzubiegen.

      Trotz der bedrohlichen Dunkelheit des Hauses, das vor dem Truck emporragt, beeilt sich Kyle, das Mädchen herauszuziehen. Nicht sonderlich klug, da der Arzt vielleicht gar nicht zuhause ist. Ich überlasse Kyle seinem Keuchen und laufe zur Tür.

      Klopf, klopf. Kein Geräusch kommt von innen.

      »Lass sie da«, rufe ich Kyle zu, der hinter den Autoscheinwerfern so gut wie unsichtbar ist.

      »Was?«

      »Lass sie da, hab ich gesagt. Was bringt es, sie raus in den Regen zu zerren, wenn Hendricks nicht aufmacht?«

      »Aber was können wir denn tun?«

      »Keine Ahnung. Wir überlegen uns das, wenn …«

      »Sheriff?«

      Die Haustür ist offen. Das Unwetter hat mich für das Herannahen des bebrillten Mannes taub gemacht, der jetzt dasteht und hinausspäht. »Sind Sie das, Tom?«

      Er ist ein dürrer Mann mit einem starken Bart. Ich habe immer vermutet, das Eitelkeit den Doktor, wie auch den verstorbenen Reverend, dazu gebracht hat, sein Haar für ein jüngeres Aussehen zu färben. Und obwohl er bei dieser Beleuchtung nicht gesünder aussieht als das Mädchen hinten in meinem Truck, bin ich doch heilfroh, ihn zu sehen.

      So ruhig wie ich kann, gebe ich ihm einen knappen Situationsbericht. Als ich die Wörter forme, klingen sie überhaupt nicht mehr ruhig, aber Hendricks tritt zurück, sein Gesicht ist verzerrt vor Sorge. Seine Frau ruft von oben herunter, was denn los ist. Der Arzt macht Licht im Flur. Es ist das wärmste Licht, das ich seit langer Zeit gesehen habe, und die Schatten, die es wirft, sind sanft.

      »Bringt sie rein. Ich werde sehen, was ich tun kann.« An der Treppe ruft er hoch: »Queenie, ich werde hier unten deine Hilfe brauchen.«

      Und in Sekundenschnelle ist der Arzt über das Mädchen gebeugt, das auf der Couch liegt und in kuschelig aussehende Decken gewickelt ist. Die Handtücher, die um ihren Kopf geschlungen sind, lassen sie aussehen, als ob sie auf nichts Schlimmeres als eine Massage vorbereitet wird. Aber das Blut, das zwischen ihre Augen rinnt, zerstört die Illusion. Sie zittert, was ein gutes Zeichen ist. Es bedeutet, dass sie noch atmet. »Hat viel Blut verloren«, sagt Hendricks und presst sein Stethoskop auf ihre Brust. »Ein Autounfall haben Sie gesagt?«

      »Ja.«

      »Sonst noch wer verletzt?« Er sieht Kyle und mich an. »Was ist mit euch? Ihr seht ziemlich geschockt aus.«

      »Wir sind okay«, sagt Kyle. »Kommt sie durch? Sie ist schwanger, wissen Sie.«

      Hendricks runzelt die Stirn.

      »Hat sie uns gesagt«, setzte ich schnell hinzu, um Kyles Schnitzer zu vertuschen. »Bevor sie bewusstlos wurde.«

      Ich bin mir nicht sicher, ob er es glaubt oder nicht, jedenfalls sagt er nichts, presst nur das Stethoskop an die Brust des Mädchens und atmet durch die Nase. Seine Frau steht hinten in der Ecke, hat die Arme über dem Morgenmantel gefaltet. Sie sieht verärgert aus, und ich kann es ihr nicht verübeln.

      Als der Arzt schließlich hochschaut, ist sein Gesicht ernst. »So leid es mir tut, ich kann nicht viel für sie tun, Jungs. Das Baby ist tot. Das kann ich euch jetzt schon mit Sicherheit sagen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie stirbt. Ich müsste sie aufmachen, um sicher zu sein, aber ich schätze, sie ist sehr schwer verletzt. Dem Blut und der Art ihres Atmens nach zu urteilen, scheint sie eine durchstochene Lunge zu haben. Die Pupillen sind vergrößert. Der Kopf fast bis auf den Knochen aufgeplatzt. Ehrlich gesagt bin ich erstaunt, dass sie nicht schon tot ist.« Auf den Ausdruck unserer Gesichter hin fährt er fort: »Aber ihr Jungs wart gut. Viel mehr hättet ihr nicht für sie tun können. Ich bin mir sicher, dass sie es zu schätzen gewusst hätte.«

      Wieder ein Leben dahin. Umsonst. Aber wenn ich von diesem hier träume, weiß ich wenigstens, dass es nicht ganz an mir lag.

      »Ähm … Sheriff?«

      Ich schaue mich nach Hendricks um.

      »Wollen Sie sie einfach hierlassen?«

      Fast hätte ich angefangen, mit ihm zu streiten, aber mir wird langsam klar, dass er Recht hat, dass ich dieselbe Frage gestellt hätte. Im Gegensatz zu mir oder Kyle hat Hendricks noch ein Leben, und ich nehme an, wir sollten keine tote Nutte auf seiner Couch liegenlassen, um ihn an die Unterschiede zwischen uns zu erinnern.

      »Sorry, Doc. Wir nehmen sie mit zurück zu Eddie’s.«

      Hendricks sieht verwirrt aus. »Eddie’s? Wieso dahin?«

      »Weil es da stiller ist als auf jedem Friedhof. Meistens. Wir können sie dahinter begraben, genau neben Eddie. Ich schätze, nach all der Scheiße, die


Скачать книгу