SEELENHANDEL. Kealan Patrick Burke
schon angefangen«, brummt Kadaver aus dem Schatten.
»Der Wettermann meint, dass es einen Sturm geben soll«, stimmt Cobb mit ein. Seine Hinterbacken zittern, als ihn ein Schauder durchläuft. »Hoffe, dass ich mich hier drinnen hinlegen kann, falls es einen gibt.« Die letzte Bemerkung war für Gracie gedacht, die mit einer Flasche Bud in einer Hand und einer Flasche Whiskey in der anderen um die Theke kommt.
»Ist ja wohl kein Hotel hier, Cobb«, sagt sie über ihre Schulter und bläst Luft hoch, um die verirrte Haarsträhne aus ihren Augen zu bekommen. Plötzlich überfällt mich das Bedürfnis, sie ihr aus dem Gesicht zu streichen, aber sie würde vermutlich wegzucken und mir sagen, dass ich mich um mich selbst kümmern soll – womit sie natürlich Recht hätte. Vor langer Zeit habe ich gelernt, dass die Vorstellungen von Höflichkeit bei Männern und Frauen nicht dieselben sind und es auch nie sein werden, solange wir Männer es nicht lassen können, jedes Mal unseren Schwanz zu Rate zu ziehen, wenn eine Frau den Raum betritt. »Aber an der Winter Street sind viele leerstehende Häuser. Ich bin mir sicher, dass Horace und Maggie dir was zeigen würden, wo du deine alten Knochen betten kannst. He, wenn du dich Kirk Vess an die Fersen heftest, gehe ich jede Wette ein, dass er dich zu irgendeiner Penne führt.«
Vess ist der Verrückte in unserer Stadt, eine As-Karte, die Gracie früher schon mal gezogen hat, um Cobb auf die Nerven zu gehen.
»Da bin ich mir sicher.« Dass Cobb die Idee anwidert, ist offensichtlich, doch alle hier wissen, wenn er denkt, dass er Gracie dazu bringen kann, schwach zu werden, führt er einen verlorenen Kampf. »Ich kann dir aber was dafür zahlen.«
Gracie stellt meine Drinks hin, streicht Staub von meinem Tisch und schaut mir für einen Sekundenbruchteil in die Augen – lange genug, um mich wissen zu lassen, dass dieser übermenschliche sechste Sinn, den nur Frauen haben, sie auf das aufmerksam gemacht hat, was ich gerade eben gedacht habe. Und die Botschaft ist: Nur gut, dass du’s nicht getan hast.
Sie geht zurück an die Theke, eine geschmeidige Frau in eintönigen Kleidern, die dazu gedacht sind, sie weniger attraktiv zu machen. Das werde ich nie verstehen, aber andererseits können wir Männer uns an dem Tag, an dem wir die Frauen verstehen, genauso gut schon an unsere Gräber stellen und darauf warten, dass man uns verscharrt.
Oder vielleicht bin ich einfach nicht sonderlich clever.
»Du kannst mir was bezahlen, indem du dir was anziehst«, sagt sie zu Cobb. »Wenn du was anhättest, würdest du dir vielleicht nicht solche Sorgen um den Regen machen müssen.«
»Du kannst bei mir bleiben«, bietet Kadaver in seiner Roboterstimme an, und Cobb dreht sich langsam um, wobei sein blanker Arsch auf dem Barhocker quietscht. Ich frage mich, wie viel Reinigungsmittel Gracie wohl jeden Monat allein für den Hocker verwendet. Es ist der einzige, den sie ihm zu benutzen erlaubt. Nur diesen Hocker, sonst landet sein Quietsche-Arsch auf dem Boden.
Cobbs bartbewuchertes Gesicht ist bestürzt, als er sich ganz herumdreht. Seine kleinen blauen Augen stieren zusammengekniffen ins Dunkle, als ob der Anblick von Kadaver seinen Ekel vor dem Gedanken, bei dem Mann eine Nacht zu verbringen, mindern wird. Sein Brustkorb ist eine Masse silberner Locken, am dichtesten über dem Brustbein, von wo sie über einen geschwollenen Bauch zu einer frenetischen Explosion von Schamhaaren führen, aus denen ein kleiner, stummeliger Penis herausschaut. Wir sehen Cobb in seiner ganzen Herrlichkeit nun schon seit drei Jahren. Wir sollten uns daran gewöhnt haben, und im Wesentlichen haben wir das wohl, aber jedes Mal, wenn sein Schwanz zu mir herüberspäht, möchte ich ihn fragen, ob Kastanienblätter von den herrschenden Autoritäten, die uns seine Nacktheit aufgehalst haben, auch als Kleidung angesehen werden. Aber ich halte den Mund und wende meine Augen ab, hin zu dem Bengel, der es gut schafft, so auszusehen, als ob ihm jeden Moment etwas platzen würde. Schließlich konzentriere ich mich auf meinen Drink.
Auf dem Whiskeyglas ist ein Daumenabdruck, der zu groß ist, um von mir zu stammen.
»Das ist äußerst anständig von dir«, sagt Cobb schließlich.
»Nicht der Rede wert.«
Ich kann über Kadavers Pennys hinweg fast das Hamsterrad im Kopf des Nudisten durchdrehen hören. Dann sagt er: »Aber weißt du was …? Ich ruf einfach meine Frau an. Die wird’s nicht stören, mich abzuholen. Nicht um diese Zeit. Nicht am Abend.« Er klatscht die Hände zusammen, als ob er über die Lösung für die Hungernotprobleme der Welt gestolpert ist. »Scheiße auch, die wird ja gehört haben, dass es einen Sturm geben soll, also wird sie mich abholen kommen müssen, oder? Keine Frau würde ihren Mann in so ’nem Wetter rumlaufen lassen.« Jetzt sucht er nach Unterstützung, und nicht zum ersten Mal beneide ich Wintry um seine Stummheit, weil jeder hier weiß, dass es nicht so einfach sein wird, wie er zu denken scheint, Mrs. Cobb dazu zu bringen, ihren Mann abzuholen. Der Tag, an dem er seiner Kleidung abtrünnig wurde, war der letzte, an dem irgendjemand noch Eleanor Cobb im Ort gesehen hat. Natürlich machten wir uns Sorgen, aber ich habe ein paar Wochen nach der »Enthüllung« ihres Mannes nach ihr geschaut. Ihr geht’s gut, sie ist nur mit einem Fall von Demütigung im Endstadium ans Bett gefesselt, den ich nicht enden sehe, bis Cobbs endlich anfängt, Shorts oder ein Kastanienblatt zu tragen. Warum sie überhaupt noch bei ihm bleibt, ist eins von diesen unergründlichen Rätseln.
»Du könntest natürlich schon losgehen, bevor das Schlimmste davon runterkommt«, stimmt Flo mit ein. Ihre Stimme ist rau, passt perfekt zu einer kriminellen Femme fatale. Mir stehen davon auf angenehme Weise die Haare zu Berge. »Es ist noch keiner im Regen ertrunken.«
Cobbs ignoriert sie. Er hat einen Drink vor sich und hat vor, ihn zu trinken. Er quietscht wieder andersrum, um zur Theke zu sehen. »Kann ich das Telefon benutzen?«, fragt er Gracie, und zumindest ist sie willens, das zu erlauben, obwohl es ein öffentlicher Münzapparat ist und niemand dafür eine Genehmigung brauchen sollte. Aber es ist Gracies Kneipe und hier laufen die Dinge etwas anders. Mit starrem Gesicht schnappt sie einen der Nudistendollar von der Theke, steckt ihn in die Kasse und lässt vier Quarter in seine ausgestreckte Hand fallen. Mit einem dankbaren Grinsen hüpft Cobb von seinem Hocker und geht in den kleinen Flur hinaus, der zum Telefon und den Toiletten dahinter führt.
Niemand sagt etwas.
Es ist still bis auf das Klimpern von Kadavers Pennys.
Ein paar Augenblicke später fängt Cobb an, ins Telefon zu fluchen.
Niemand ist überrascht.
Mit einem genuschelten »Auf Blue Moon« hebe ich mein Glas, dem Mann zu Ehren, der nicht hier sein kann, und nehme den ersten Schluck Whiskey. Er ätzt meine Kehle hinunter. Ich zische Luft zwischen meinen Zähnen hervor. Flo redet wieder mit Wintry, lehnt sich etwas näher zu ihm rüber, das eine Bein über das andere geschlagen, ein Schuh furchtbar nahe daran, dem großen schwarzen Mann das Fußgelenk zu streifen – und der Neid ist wieder da. Aber mir fällt ein, dass sie sich wahrscheinlich nur deshalb bei ihm einschmeichelt, weil er stumm ist und daher kaum eine Chance besteht, dass er sie jemals nach ihrer Vergangenheit fragt. Zum zweiten Mal innerhalb von ein paar Minuten trachte ich nach Wintrys Stimmproblem.
Cobb knallt den Hörer auf, flucht und stakst zurück zur Theke. Sein schlaffer Pimmel schlägt dabei gegen seinen Oberschenkel. Ich mache die Augen zu, bete, dass mein Mundwerk den Exhibitionismus des alten Mannes einen weiteren Abend lang ertragen kann und konzentriere mich darauf, wieder mein Glas zu füllen.
»War nicht zu Hause«, murmelt er und klatscht eine Hand auf die Theke. »Schenk mir nach, Gracie«, sagt er. »Und zwar dasselbe wie Tom. Das wird mich auf dem Weg warm halten.«
Fast erwarte ich, dass Kadaver Cobb an sein Angebot erinnert, aber Kadaver ist krank, nicht dumm. Er sagt nichts, fährt einfach fort, seine Pennys zu zählen.
»Du hörst dich an, als ob du hier einfach so weggehen kannst, wie du Lust hast«, sagt Gracie spöttisch. »Hast du einen über den Kopf gekriegt oder machen die vielen Drinks dich dümmer?«
»Der ist doch nicht mein Boss«, sagt Cobb und schaut finster wie ein schmollender Teenager drein. In seiner Stimme liegt keinerlei Zorn, in seinen Worten keine Wahrheit. Jeder hier weiß das, genauso wie wir wissen, dass etwas aufmüpfiges Gerede nie schadet,