Lila. Klara Baum

Lila - Klara  Baum


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      Lieber Adam,

      sorry, ich habe in den letzten Tagen zwar ununterbrochen an Dich gedacht, konnte Dir aber leider nicht schreiben. Ich fand einfach keine Ruhe, denn ich musste einige unangenehme Dinge mit meinem zukünftigen Ex-Ehemann klären. Nicht so einfach mit einem verletzten, vermögenden Großindustriellen. Er hatte Termine beim Anwalt, beim Steuerberater, beim Notar und bei der Bank vereinbart, wollte alles perfekt regeln und sich großzügig zeigen. Ich wusste, was kommen würde. Allerdings stand für mich von vornherein fest, dass ich ihm seine Reichtümer, auch das, was mir eigentlich zusteht, lassen würde. Geld bedeutet mir nicht viel. Also sagte ich zu allem, was die schlauen Fachmänner ausgearbeitet hatten, »ja«, war einsichtig und verzichtete freiwillig noch auf dies und das. Mein Mann wurde immer gereizter. Typisch! Eigentlich kennt er meine Einstellung, aber trotzdem wollte er nicht einsehen, dass es keine Schlacht gegen mich zu gewinnen gab. Ich wette, nur zu gerne hätte er mich mit seiner Großzügigkeit gedemütigt, um mir dann im Nachhinein vorzuwerfen, dass auch ich käuflich sei.

      Insgeheim hat er mich wohl schon immer darum beneidet, dass Geld für mich nur ein Zahlungsmittel, ein notwendiges Übel, ist. Er selbst musste wie unter Zwang stets sein Geld in den Vordergrund stellen und bei seinen Mitmenschen als Druck- oder Lockmittel einsetzen. Die Tatsache, dass ich auch diesmal seine Spenden nicht annahm, kränkte ihn. Seine Berater und ich hingegen waren zufrieden. Die Krawattenträger glaubten, ihren Job ausgezeichnet gemacht zu haben, und ich wusste, dass ich für mich die richtige Entscheidung getroffen hatte.

      Glaub mir, Adam, die Trennung ist mir damals nicht leicht gefallen. Mein Ex und ich hatten viele glückliche Jahre zusammen verbracht. Am Anfang waren wir fasziniert von- und amüsiert übereinander. Wir hielten nächtelang Plausch, tauschten unsere unterschiedlichen Meinungen aus. Er liebte meine Unbekümmertheit und ich bewunderte seine Souveränität. Als ich irgendwann mehr und mehr feststellte, dass wir kein Traumpaar mehr waren, dass wir nicht mehr harmonierten, kämpfte ich: Ich bereitete exquisite Candle-Light-Dinners für uns vor, lud ihn ins Theater mit anschließendem Barbesuch ein und spendierte uns beiden ein Verwöhn-Wochenende. Zwecklos, selbst in der Presidental Suite des Fünf-Sterne-Hotels kam keine erotische Stimmung auf. Der Hormoncocktail hatte einfach nicht mehr die richtige Mischung. Schließlich wurde mir bewusst, dass ich genau die Mittel benutzte, mit denen mein Mann stets Menschen manipulierte. Ich hatte von ihm gelernt, ohne mir dessen bewusst zu sein. Über mich selbst erschrocken zog ich aus. Das war das Ende unserer Beziehung. Ich fühlte mich miserabel, denn ich wollte nicht so wie er werden. Nach langem Grübeln beschloss ich, mir Rat bei einem Psychologen zu holen. Mit seiner Hilfe wollte ich herausfinden, warum ich mir ausgerechnet solch einen Mann als Partner ausgesucht hatte. Außerdem wollte ich an mir arbeiten, damit ich mich zukünftig nicht mehr an so einen Typen binde.

      Warst Du schon mal bei einem Psychotherapeuten? Mein erstes Gespräch auf der Couch war vielversprechend, deswegen unterzeichnete ich einen Vertrag über zwanzig Termine. Meine Therapie fing gut an, ebbte ab und endete im Chaos. Die letzte Sitzung steht noch aus. Lieber Adam, sollen wir gemeinsam dort hingehen und uns beraten lassen? Ich glaube, ich bin suchtgefährdet und sehr labil, was Dich betrifft. Ist das behandlungsbedürftig?

      Dein Schatzi

      Meine Süße,

      Du, süchtig nach mir … Das gefällt mir. Lass Dich diesbezüglich bitte nicht therapieren.

      Erzähl mir stattdessen von der Psychokatastrophe. Ich liebe Horrorgeschichten.

      Adam

      Lieber Adam,

      Du wirst neugierig, das finde ich gut.

      Meinen Psychologen fand ich bis zur siebten Sitzung auch gut. Er fragte, ich antwortete. Auf diese Weise merkte ich, dass meine Entscheidung, meinen Angeheirateten zu verlassen, richtig war. Wir hatten überhaupt keine Gemeinsamkeiten. Wie sollte unsere Beziehung da auf Dauer funktionieren? In diesem Seelendoktor hatte ich jemanden gefunden, der mich in meinen Ansichten bestärkte und mir versicherte, ich sei auf dem richtigen Weg. Kannst Du Dir vorstellen, Adam, wie schön es für mich war, dass ich mich endlich verstanden fühlte?

      Mein Psychodoc und ich saßen also in angenehmer Atmosphäre bei Tee zusammen und führten aufschlussreiche Gespräche. Doch irgendwann kippte die Therapie. Die Stimmung wurde allmählich mehr freundschaftlich als therapeutisch. Wir lachten viel und schweiften ab. Da ich mich für Psychologie interessiere, hatte ich zunächst nichts gegen unser fachliches Klönen und fing sogar an, ihm, meinem Therapeuten, Fragen zu stellen: »Was ist das größte Problem aller Menschen? Wie schafft man es, sich selbst realistisch einzuschätzen? Wie kam es dazu, dass Sie Psychologe wurden?«

      Es war nett, unsere Weltanschauungen aus psychologischer Sicht zu diskutieren. Auch dem Doc gefielen die bezahlten Plapperstunden. Auf diese Weise erfuhr ich in meinen Therapiesitzungen, dass er davon träumt, ein eigenes Pferd zu besitzen, dass er jeden Morgen schwimmen geht, um in Form zu bleiben, und dass er es bedauert, Single zu sein. Oft erlaubte ich mir sogar Ratschläge zu erteilen. Er genoss meine Anregungen offensichtlich, denn er forderte sie immer wieder heraus. An mir ist wohl eine Psychologin verloren gegangen. Es machte mir Spaß, ihn zu analysieren, doch nach ein paar Wochen wollte ich unsere Gespräche lieber wieder in therapeutische Bahnen lenken. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, dass er Ausflüchte suchte, um mir stattdessen immer mehr über sich zu erzählen. Je mehr ich jedoch über ihn herausfand, desto mehr Pluspunkte verlor er. Ich merkte nach einiger Zeit, dass er lediglich vorgefertigte Meinungen vertrat und sich bei allem, was er sagte oder dachte, nur aus Schubladen bediente. Kurzum: Ich durchschaute ihn und hatte mich nicht, wie er wohl hoffte, in ihn verliebt. Adam, solche Gefühle habe ich mir für Dich aufgehoben.

      Ich wünschte, Du könntest meinen Mr. Psycho sehen! Er ist ein Thriller, was sein Aussehen, seine Manieren und seinen Charme angeht. Aber er hat weder Klasse noch Charisma. Kaum vorstellbar, er ist 43 Jahre alt und hat noch nie mit einer Frau zusammengelebt. Laut meiner Diagnose hat er Bindungsängste, Phobien und mindestens eine Manie. Er zweifelt an sich und wiegt all seine gut durchdachten und vorsichtig ausgewählten Handlungen und Äußerungen immer wieder ab. Trotzdem tritt in die vielen Fettnäpfchen, die seinen Lebensweg pflastern. Ich finde, er sollte dringend einen Kollegen aufsuchen.

      Es war wirklich interessant, wie er im Verlauf unserer netten Treffen immer aufdringlicher wurde. Seine Duftnote wurde intensiver und sein Handdruck weicher und länger. Zu seinem neuen Hochglanzlook bei meinem letzten Besuch verkniff mir das schallende Gelächter und setzte mich stattdessen stumm auf meinen Platz. Hätte ich den Mund aufgemacht, um irgendwas zu sagen, wäre garantiert nur Gelächter herausgekommen. Erst war er erstaunt, dann beleidigt und schließlich fragte er besorgt, ob es mir nicht gut gehe. Als ich losprustete und mich kaum noch halten konnte, zückte er arrogant seinen Rezeptblock, um mir ein Beruhigungsmittel zu verschreiben. Kurzum: Er vergaß seine Frisur und widmete sich zumindest kurzzeitig seinen Pflichten als Arzt.

      »Haben Sie eine Entscheidung getroffen?« Unbeholfen stellte er Fragen, die ich nicht beantwortete.

      Er war irritiert, kratzte sich am Kopf, überlegte. Dann lud er mich ein: »Wir sollten rüber gehen, ins Blue. Das würde Ihnen gut tun.«

      Eindeutig, er wollte mich bestimmt dort trösten und dann wohlmöglich noch nach Hause begleiten. Widerlich! Ohne ein weiteres Wort verließ ich seine Praxis. Das Blue, liebster Adam, ist eine neue Hafenlounge mit wunderbaren Kuschelecken. Die wäre etwas für uns!

      Für meine letzte Stunde, falls ich sie wahrnehme, muss ich mir etwas einfallen lassen. Soll ich ihm von unserer außergewöhnlichen Mailfreundschaft erzählen? Er würde vor Neid zerfließen und vor Eifersucht schmelzen. Mal sehen, ich werde berichten.

      Deine?

      P.S. Wir sollten uns Titel geben, das ist heute modern. Sind wir spezialisiert auf das Gebiet Erotologie, Erotomanie, Erosoziopatie … Du Prof. und ich Doc? Oder lieber umgekehrt?

      Liebste Professorin,

      klingt doch sehr erhaben! Ich schaue gerne zu Dir auf. Als Jungs wollten wir damals alle von unserer Lehrerin (der neuen Referendarin ohne BH mit dem zu kurzen T-Shirt) verführt werden. Die gleichaltrigen, gackernden Schülerinnen hatten wir satt.

      Von


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