Butler Parker 109 – Kriminalroman. Günter Dönges
einen wenig eleganten Stadtmantel aus dunklem Stoff und eine helle Hornbrille, die seinem Gesicht ein eulenhaftes Aussehen verlieh. Sein braunes Haar war voll und leicht gewellt. Ein Kenner hätte sofort be-merkt, daß dieser Mann eine Perücke oder ein Toupet trug. Er schlenderte gelassen durch das große Waren-haus und hatte bereits einige Dinge eingekauft, die er in einer Plastiktasche mit sich führte.
Dieser Typ fiel nicht auf. Er wurde glatt übersehen und ging in der Menge völlig unter. Gefährlich oder hintergründig wirkte er auf keinen Fall, er machte eher einen schüchternen und etwas gehemmten Eindruck.
Das genaue Gegenteil war jedoch der Fall.
Der Rundliche war ein raffinierter Jäger, der nach Beute Ausschau hielt. Das Jagdwild, das ihn interessier-te, war von ganz besonderer Art. Unauffällig musterte er die Frauen, die im Warenhaus seinen Weg kreuz-ten. Seine Augen, hinter den getönten Gläsern der Brille verborgen, schätzten die Frauen kühl ab. Dieser Jäger war wählerisch und anspruchsvoll.
Er hatte sich für ein Opfer entschieden.
Der Rundliche verfolgte unauffällig eine schlanke, etwa fünfundzwanzig Jahre junge Dame. Sie trug ein modisches Jackenkleid und eine kleine Perlenkette, die der Jäger sofort als echt klassifiziert hatte.
Die Frau war natürlich völlig ahnungslos. Sie stieg in den Lift und fuhr hinauf zum Dachgartencafé des Warenhauses. Selbstsicher schritt sie durch den großen, dennoch intim eingerichteten Raum und setzte sich an einen Tisch. Sie sah nicht auf, als der Rundliche an einem Nebentisch Platz nahm.
Sie bestellte Tee und einige Kekse.
Der Mann ließ sich ebenfalls Tee kommen. Er saß der jungen Frau genau gegenüber und konnte ihr Ge-sicht studieren. Als sie den Zucker in den inzwischen servierten Tee gab und dann trank, trafen sich ihre Blicke.
Die junge Frau sah in die Augen des Rundlichen, der inzwischen seine Brille abgenommen hatte. Sie hatte das Teeglas zwar an die Lippen gesetzt, doch sie war plötzlich nicht mehr in der Lage, auch nur einen einzi-gen Schluck zu nehmen.
Der Rundliche hielt ein silbernes Feuerzeug zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ es leicht hin und her pendeln. Er sah in die Augen der jungen Frau, die abwesend und irgendwie nachdenklich wirkten. Dann ließ er das Feuerzeug wie unabsichtlich fallen. Es landete mit hörbarem Geräusch auf der Tischplatte.
Die junge Frau erwachte aus ihrer Nachdenklichkeit.
Sie trank ein paar Schlucke Tee, setzte das Glas ab und griff nach ihrer Handtasche aus teurem Krokodil-leder. Sie holte eine Packung Zigaretten hervor und zündete sich eine an. Sie wirkte wieder völlig unbefan-gen und schien den Rundlichen nicht zu sehen.
Doch dann reagierte sie plötzlich seltsam.
Sie nahm die kaum angerauchte Zigarette und … tunkte sie in ihrem Teeglas aus.
Dieser erstaunliche Vorfall wurde von den Gästen kaum beobachtet. Doch da war eine attraktiv aussehen-de, junge Frau, die in einer der vielen Nischen saß. Sie wirkte wie ein scheues Reh, hatte rotbraunes Haar und große, ausdrucksvolle Augen, deren Grundfarbe kaum bestimmbar war.
Diese aufmerksam gewordene Frau hieß Kathy Porter und war die Gesellschafterin und Sekretärin der Lady Agatha Simpson. Darüber hinaus war sie eine mehr als gelehrige Schülerin eines gewissen Butler Par-ker.
Kathy Porter sah leicht irritiert zu der Frau hinüber, die ihre Zigarette in den Aschenbecher warf, aufstand und ging. Kathy Porter beobachtete aber auch den rundlichen, harmlos aussehenden Mann, der ohne zu zö-gern, folgte.
*
Der rundliche Mann bog in eine schmale Seitenstraße ein und ging mit kurzen, schnellen Schritten auf ei-nen nahen Parkplatz. Vor einem alten Morris blieb er stehen und schloß die Tür auf. Er setzte sich ans Steu-er und wartete, bis die junge Dame im Jackenkleid neben dem Wagen erschien. Erst dann beugte er sich über den Beifahrersitz, entriegelte die Tür und ließ die Frau einsteigen.
Kathy Porter, die dem Rundlichen und der jungen Dame gefolgt war, wußte nicht, was sie von dieser Entwicklung halten sollte. Sie spürte aber sehr deutlich, daß hier Dinge passierten, die das Tageslicht scheu-en mußten.
Kathy Porter, von Parker auf Neugierde getrimmt, blieb neben einem der geparkten Fahrzeuge stehen und merkte sich die Nummer. Vielleicht war es wichtig, den Besitzer des Morris ausfindig zu machen.
Sie hatte ihren kleinen Mini auf einem anderen Parkplatz abgestellt. An eine Verfolgung des Morris war leider nicht zu denken, da auch weit und breit kein Taxi wartete. Sie blieb also in Deckung und sah tatenlos zu, wie der Morris sich in Bewegung setzte und langsam den Parkplatz verließ.
Eine halbe Stunde später befand sie sich im Haus der Lady Simpson, das sich im Stadtteil Shepherd’s Market befand. Dieses altehrwürdige Fachwerkhaus, das noch aus dem Mittelalter zu stammen schien, ge-hörte zu einem Komplex ähnlicher Häuser, die einen kleinen Platz säumten. Vom Lärm der Millionenstadt London war hier nichts zu verspüren. Es handelte sich um eine Oase der Ruhe und des Friedens, sofern Lady Agatha nicht gerade wieder einen Fall bearbeitete und für Trubel sorgte.
»Gratulation, Kindchen«, sagte die Detektivin wohlwollend, nachdem Kathy Porter ihre Beobachtungen geschildert hatte. »Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen.«
»Sie wirken gar nicht überrascht, Mylady«, wunderte sich Kathy
»Aber nein, Kindchen«, meinte die streitbare Dame. »Was Sie beobachtet haben, paßt genau in meine Theorie.«
»Theorie, Mylady?« Kathy Porter wußte nichts von Lord Castner und dessen Sorgen.
»Klären Sie Miß Porter auf, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson, sich an den bisher schweigend zuhö-renden Butler wendend, »aber reichen Sie mir vorher noch einen kleinen Kreislaufbeschleuniger.«
Parker servierte einen sehr alten und guten französischen Cognac. Dann informierte er die aufmerksam zuhörende Sekretärin seiner Herrin und faßte sich erstaunlich kurz.
»Sie haben Miß Porter eine wichtige Tatsache verschwiegen«, grollte Lady Simpson. »Nach meiner Theo-rie, Kindchen, sind die Warenhausdiebinnen hypnotisiert worden.«
»Daß ich daran nicht gedacht habe!« Kathy Porter starrte die Lady überrascht an.
»Ich lasse mich nicht gern auf die Folter spannen«, sagte Agatha Simpson gereizt.
»Die junge Frau, die in den Morris stieg, Mylady, wirkte auf mich wie hypnotisiert. Ja, sie muß unter ei-nem fremden Zwang oder Willen gestanden haben.«
»Na, bitte, Mister Parker!« Agatha Simpson sah den Butler triumphierend an. »Finden Sie sich endlich damit ab, daß ich als Kriminalist eben doch besser bin als Sie! Ich vertrete die moderne Schule!«
»Wie Mylady wünschen«, gab Parker gemessen zurück. »Ich darf aber darauf verweisen, daß Mylady be-reits in jüngster Vergangenheit einen Fall lösten, der ebenfalls mit Suggestion und Hypnose zu tun hatte.«
»Was ändert das an den Tatsachen?« wollte Agatha Simpson wissen. »Stellen Sie doch endlich fest, wer der Besitzer des Morris ist! Wir wollen dieses Subjekt so schnell wie möglich aus dem Verkehr ziehen. Worauf warten Sie eigentlich noch?«
Parker war durchaus nicht der Meinung, daß damit der Fall bereits gelöst war, doch er verzichtete auf jede Antwort, um sich nicht den Unwillen seiner Herrin zuzuziehen. Er verließ gemessen den großen Wohnraum und begab sich hinüber in die Diele.
»Der kleine, rundliche Mann macht aber keinen sonderlich unheimlichen Eindruck«, stellte Kathy Porter in Richtung Lady Simpson fest.
»Die wahren Verbrecher sehen immer durchschnittlich aus, Kindchen«, antwortete Lady Agatha grimmig. »Verlassen Sie sich da auf mein Urteil!«
»Sie glauben, er hypnotisiert die Frauen, damit sie für ihn stehlen, Mylady?«
»Natürlich«, erwiderte Agatha Simpson geduldig, »er macht so Beute ohne jedes Risiko.«
»Er fuhr aber mit der jungen Dame im Morris weg, obwohl sie für ihn doch im