Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Lenni in die Küche und ließ sich alle wichtigen Begebenheiten des Tages erzählen, während er sich ihr köstliches Omelette mit Tomaten und das frische Bauernbrot mit Frischkäse schmecken ließ.
Eine halbe Stunde später waren Vater, Mutter und Tochter auf dem Weg ins Kino.
»Also, warum warst du heute so spät dran?«, stellte Dési ihren Vater mit strenger Stimme zur Rede. Die jüngste Tochter der Familie Norden hatte schon um den versprochenen Kinobesuch gebangt und beschlossen, ihren Vater nicht so leicht davonkommen zu lassen.
Daniel nahm ihr den forschen Tonfall nicht krumm. Schon oft hatten die Kinder wegen eines Notfalls auf eine geplante Unternehmung verzichten müssen, und sie zeigten immer großes Verständnis für seinen Beruf. Daher spielte ein Schmunzeln um seine Lippen, als er antwortete:
»Stell dir vor, ich hab die Praxis zwar als Letzter, aber rechtzeitig verlassen und wollte gerade die Tür abschließen, als eine ältere Dame auf dem Gehweg vor dem Haus ohnmächtig wurde.«
Désis Augen wurden kugelrund vor Schreck.
»Wirklich?«
»Wenn ich es doch sage!«, versicherte Daniel, der der Dame natürlich sofort zu Hilfe geeilt war.
»Hat sie sich beim Sturz verletzt?« Fees erste Sorge galt der armen Frau.
»Wie durch ein Wunder ist sie mit dem Kopf auf den Grünstreifen gefallen und ist auch recht schnell wieder zu sich gekommen«, konnte Dr. Norden Entwarnung geben. »Ich habe sie untersucht. Da ihr Blutdruck wirklich beängstigend hoch war und ihr Herzschlag unregelmäßig, habe ich vorsichtshalber einen Krankenwagen kommen lassen. Aber sie hat schon vorher, kaum dass sie die Augen wieder aufgemacht hat, klargestellt, dass sie in die Behnisch-Klinik gebracht werden möchte.«
»Wie bitte?« Fee konnte es nicht glauben. »Das klingt ja gerade so, als ob sie es drauf angelegt hätte.«
»Diesen Verdacht hatte ich auch schon«, gestand Daniel. Er saß auf dem Beifahrersitz und streckte, erschöpft von dem langen turbulenten Tag, die Beine aus. »Aber wir wollen sie nicht vorschnell verurteilen und zunächst die Untersuchungsergebnisse abwarten«, mahnte er sich und seine Familie zur Ruhe.
Felicitas schickte ihm einen zärtlichen Blick.
»Du bist einfach ein besonnener Mensch. Das liebe ich so an dir.«
»Nur das?«, fragte Daniel augenzwinkernd zurück und legte die Hand auf ihren Oberschenkel. »Oder gibt es noch andere Gründe?«
»Hmm, darüber werde ich bei Gelegenheit nachdenken«, lächelte Fee. »Aber jetzt gehen wir erst einmal ins Kino. Und zur Belohnung für die Zitterpartie bekommt Dési eine extragroße Portion Popcorn! Die hat sie sich wirklich verdient.«
*
»Ach, Hanno, dass du dich an diese Geschichten noch erinnerst.« Wendy schüttelte den Kopf und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln. »Das hatte ich längst alles vergessen.«
Sie saßen am schön gedeckten Tisch in Wendys stilvoll eingerichteter Wohnung. Der Mix aus modernen Möbeln und wenigen kostbaren Antiquitäten traf den Geschmack ihres Besuchers voll und ganz, und Hanno machte keinen Hehl aus seiner Bewunderung für ihre Stilsicherheit.
Das schöne Ambiente, die kurzweilige Unterhaltung und das köstliche Essen machten den Abend zu einem rundherum gelungenen Erlebnis.
»Du bist ein wahrer Jungbrunnen für mich.« Dieses Kompliment kam direkt aus Wendys Herzen.
»Wenn ich ehrlich bin, möchte ich noch viel mehr für dich sein«, erklärte Hanno heiser und legte seine Hand auf die ihre. Sein tiefer Blick machte sie nervös. »Dieser Abend ist der schönste seit Langem für mich. Genauer gesagt kann ich mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal so wohl mit einem Menschen gefühlt habe wie mit dir. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich das hier für immer wollen.«
Wendy schluckte. Ihr Herz flatterte aufgeregt in ihrer Brust wie ein kleiner Vogel.
»Aber Hanno, pass auf, was du sagst«, entfuhr es Wendy. »Das klingt ja nach einem Heiratsantrag.«
Doch der Architekt hatte keine Gelegenheit zu antworten. Er wollte eben etwas entgegnen, als sein Handy klingelte. Während er das Mobiltelefon aus der Tasche nestelte, schüttelte er unwillig den Kopf.
»Bitte entschuldige. Das ist wahrscheinlich der Kunde, auf dessen Rückruf ich so dringend warte«, bat er sie um Nachsicht.
Wendy nutzte die Gelegenheit, um den Tisch abzuräumen und den Nachtisch – heiße Äpfel mit Streusel und selbstgemachtem Walnussparfait – zu servieren. Doch als sie mit den beiden Tellern ins Wohnzimmer zurückkehrte, fielen sie ihr vor Schreck fast aus den Händen.
»Natürlich. Ich komme sofort«, versicherte Hanno in diesem Augenblick und beendete das Telefonat. Er sah Wendy bedauernd an. Tiefe Sorgenfalten zerfurchten seine Stirn. »Meine Schwägerin«, verkündete er mit Grabesstimme. »Sie liegt mit einem Kreislaufzusammenbruch in der Klinik. Ich muss sofort zu ihr.«
»Wie bitte?«, entfuhr es Wendy ungläubig. Wenn sie nur an Philomena dachte, spürte sie ein wütendes Grimmen im Magen. »Du willst nach Heidelberg? Wegen so einer Lappalie? Jetzt?«
»Nein, Philo ist in München.« Hanno schob den Stuhl zurück und stand auf. Er kam auf Wendy zu, um ihr die Teller abzunehmen, stellte sie auf den Tisch und legte dann die Hände auf ihre Schultern. »Es tut mir so leid, dass das ausgerechnet jetzt passieren musste.« Er haderte mit sich. »Ich will diesen wunderbaren Abend nicht so enden lassen … Würdest du mich vielleicht in die Klinik begleiten?«
Es dauerte einen Augenblick, bis Wendy ihre Fassung wiedergefunden hatte.
»Moment mal!«, fragte sie, als sie wieder Herrin ihrer Sinne war. »Ich dachte, deine Schwägerin ist in Heidelberg. Wie kommt es dann, dass sie in einer Münchner Klinik liegt?«, stellte sie eine berechtigte Frage. »Noch dazu mit einer zweifelhaften Diagnose wie einem Kreislaufzusammenbruch.«
»Das weiß ich auch nicht. Aber du scheinst Philomena wirklich alles zuzutrauen, nicht wahr?«, fragte Hanno erschüttert.
Er hatte recht, wie Wendy, erschrocken über ihre eigene Kaltherzigkeit diese Person betreffend feststellte.
»Daran ist sie ja wohl nicht ganz unschuldig«, gab sie trotzdem spitz zurück.
»Du willst ihr doch wohl nicht unterstellen, dass sie sich mit Absicht in eine Klinik einliefern lässt, oder?«
So weit wollte Daniel Nordens Assistentin in der Tat nicht gehen. Trotzdem blieb ein Rest Zweifel, als sie mit Hannos Hilfe ihren Mantel anzog.
»In welcher Klinik liegt sie denn? Vielleicht kenne ich einen Kollegen dort«, erkundigte sie sich friedfertig, um Hannos Frage nicht beantworten zu müssen.
»In der Böhnisch-Klinik oder so. Den Namen hab ich nicht so genau verstanden. Aber ich hab die Adresse.«
In diesem Moment sah Wendy ihren Verdacht bestätigt.
»Nicht nötig. Die Adresse der Behnisch-Klinik kenne ich in- und auswendig. Das ist das zweite Zuhause meines Chefs«, klärte sie den verdutzten Hanno auf und ging vor, die Hände in den Manteltaschen zu wütenden Fäusten geballt. Bevor sie gemeinsam die Wohnung verließen, hielt Hanno sie noch einmal fest.
»Ich weiß, dass das alles nicht leicht ist für dich«, versuchte er, ihr Verständnis zu wecken. »Aber du musst doch verstehen …«
»Natürlich verstehe ich«, unterbrach Wendy ihn barsch. »Das Thema mit deiner Frau haben wir ja glücklicherweise geklärt. Aber dafür steht eben jetzt deine Schwägerin zwischen uns.« Damit wandte sich Wendy endgültig ab, und Hanno folgte ihr einigermaßen ratlos.
*
»Na, Philo, das ist ja eine Überraschung, dich hier zu sehen«, begrüßte Hanno seine Schwägerin eine halbe Stunde später mit gemischten Gefühlen.
Nach einer schweigsamen Autofahrt hatte Wendy es