Siegen ist Kopfsache. Matt Fitzgerald

Siegen ist Kopfsache - Matt  Fitzgerald


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Vor allem wollte ich der Athlet werden, der ich hätte sein können, wenn ich nicht aufgehört hätte. Aber um das zu schaffen, das wusste ich, musste ich meine mentale Schwäche besiegen, der ich während meiner ersten Sportkarriere erlegen war, und ich wollte diesen bremsenden Schweinehund zu meinem eigenen Wohl nicht mehr mit mir herumschleppen.

      Ich wurde nie der Athlet, der ich vielleicht hätte sein können. Als meine wahre Achillesferse erwies sich mein meuternder fragiler Körper, der mich außer Gefecht setzte, sobald ich das Wort Plantarfasziitis auch nur dachte. Es hatte schon in meiner Jugend Vorboten dieser Schwäche gegeben, unter anderem meine Knieverletzung im Alter von 14 Jahren. Aber wenn ich es schon nicht schaffte, der Athlet zu werden, der ich hätte sein können, gelang es mir wenigstens, der beste Athlet zu werden, der ich angesichts meines unvollkommenen Körpers, aus dem ich nun einmal nicht herauskam, werden konnte. Ich besiegte den Schweinehund.

      Wenn der Moment, in dem ich Todd auf der Zielgeraden der Staatsmeisterschaft im Geländelauf ziehen ließ, den Verlust meiner Integrität als Athlet symbolisierte, dann war ein Moment während des Silicon Valley Marathons im Jahr 2008 meine Erlösung. Ich war ungefähr fünf Kilometer vom Ziel entfernt und litt sehr, als ich ein junges Pärchen passierte, das am Straßenrand stand und vermutlich auf einen Freund wartete, der mitlief. Ich war bestimmt schon ein Dutzend Schritte weiter, als ich die Frau ein einziges Wort sagen hörte.

      »Wow.«

      Dieses Wort hätte alles Mögliche bedeuten können. Vielleicht war die junge Dame beeindruckt davon, wie schnell ich rannte. Aber der Führende des Rennens (ich würde es als Dritter beenden) war vier Minuten vor mir dort vorbeigekommen. Das konnte es also nicht sein. Oder vielleicht bewunderte sie meinen wunderschönen Laufstil. Aber den habe ich nicht und mein Laufschritt hat vermutlich nie schlimmer ausgesehen als in diesem Augenblick.

      Tatsächlich glaube ich, dass die Frau davon beeindruckt war, wie furchtbar ich aussah, sie war beeindruckt von der grauenvollen Anstrengung, die mich jede Bewegung kostete. Ich musste für sie gewirkt haben wie jemand, der durch eine unsichtbare, hüfthohe Flüssigkeit watet. So hat sich die Anstrengung zumindest für mich angefühlt. Ich bin ziemlich sicher, dass ich auch gesabbert habe. Dieses gemurmelte, einsilbige Wort war so etwas wie ein respektvolles Nicken, eine Anerkennung, wie sehr ich kämpfte, wie sehr ich bereit war zu leiden, um mein bedeutungsloses Ziel in einer bestimmten Zeit zu finishen.

      Um ehrlich zu sein, habe ich mein Zeitziel in diesem Wettkampf verfehlt, eine Verletzung hatte mich im Training gerade so viel gebremst, dass es nicht mehr zu erreichen war. Aber ich schaffte etwas viel Großartigeres – ich habe die Befriedigung erlangt, zu wissen, dass ich einmal wirklich alles gegeben hatte, da draußen auf der Rennstrecke.

      Kilometer 37 des Silicon Valley Marathons 2008 bleibt mein wertvollster Moment als Athlet. Mehr noch, ich betrachte ihn als einen der schönsten Momente in meinem Leben. Natürlich, es war nur ein Rennen, aber Sport und Leben hängen nun einmal irgendwie zusammen, genau wie Athlet und Mensch ein und dieselbe Person sind. Indem ich meine Angst davor, in Wettkämpfen zu leiden, besiegt habe, ist mein Respekt vor mir selbst größer geworden, ich habe eine Art innere Stärke gewonnen, die mir auch dabei geholfen hat, andere Herausforderungen zu bestehen, innerhalb und außerhalb des Sports.

      Vielleicht hätte ich mich selbst nie auf diese Weise erlöst, wenn ich nicht durch meine Arbeit als Journalist für Ausdauersport einen gewissen Vorteil gehabt hätte: häufigen Kontakt mit Weltklasse-Athleten. Durch diese Interaktionen entdeckte ich, dass die mit dem größten Talent gesegneten 0,1 Prozent die gleiche psychologische Verletzlichkeit aufweisen wie wir anderen auch, und dass sie sie ebenfalls überwinden müssen, um Dinge zu erreichen, die uns nicht gelingen. Talent allein macht nicht den Unterschied. Diese Erkenntnis erfüllte mich mit einer Mischung aus gesunder Scham und Inspiration, die mich dazu bewegte, es noch ein bisschen mehr zu versuchen.

      An einem recht frühen Punkt im zweiten Abschnitt meines Lebens als Ausdauersportler führte ich ein Telefonat mit Hunter Kemper, der zwei Tage zuvor bei der USA Triathlon Elite National Championship 1998 im kalifornischen Oceanside teilgenommen hatte. Auf der Hälfte des abschließenden 10-Kilometer-Laufs setzten sich Hunter und der Australier Greg Welch von der Spitzengruppe ab. Welch hatte die Triathlon World Championship 1990, die Duathlon World Championship 1993, die Ironman World Championship 1994 und die Triathlon World Championship über die Langdistanz 1996 gewonnen. Hunter war ein 22-jähriger Neuprofi, dessen größter sportlicher Erfolg bis dato ein zweiter Platz über 10.000 Meter bei der Atlantic Coast Conference Championship war. Die beiden Männer gingen Seite an Seite auf den letzten Kilometer. Ich fragte Hunter, wie das für ihn gewesen war.

      »Ich bin durchgedreht«, erzählte er mir.

      Hunters ausführlichere Erklärung machte mir klar, dass er sich so eingeschüchtert und auf ebenso surreale Weise fehl am Platze gefühlt hatte, wie ich es an seiner Stelle getan hätte. Er machte eine seelenerschütternde Selbstvertrauenskrise durch, als er mit Welch direkt neben sich das letzte Stück der Rennstrecke zurücklegte. Etwas in Hunter schien zu fragen: Wie sehr willst du das? Ein kurzer Moment der Unsicherheit, des Schwankens. Aber einen Augenblick später erkannte Hunter, dass er dieses Rennen mehr gewinnen wollte, als er seinen legendären Herausforderer fürchtete, und genug, um dafür zu leiden. Er sprang blind in den Abgrund und entdeckte die Möglichkeiten eines völlig neuen Leistungsniveaus. Seine plötzliche Tempoverschärfung erwischte Welch kalt und der Neuling spurtete allein Richtung Ziellinie, wo er sich den ersten seiner insgesamt sieben nationalen Meistertitel holte.

      Etwas später im selben Telefongespräch erfuhr ich von Hunter, dass seine High-School-Bestzeit über 3.000 Meter nur zwei Sekunden schneller war als meine. Erfahrungen wie diese – und davon gab es viele mehr – ließen meine Angst vor dem Leiden in Rennen schrumpfen. Sie stärkten meine Entschlossenheit, ein härterer Wettkämpfer zu werden, und meinen Glauben daran, dass ich einer werden könnte.

      Während meine persönliche Entwicklung voranging, fand im Bereich der Sportwissenschaft eine Revolution statt. Neue Technologien wie die funktionelle Magnetresonanztomografie öffneten erste Türen für die Erforschung des menschlichen Gehirns und erlaubten es Bewegungsphysiologen, mehr darüber zu erfahren, welche Rolle dieses durchweichte, knapp eineinhalb Kilo schwere elektrifizierte Organ im Ausdauersport spielt – ein Prozess, der in der Entwicklung eines neuen, »psychobiologischen« Modells der Ausdauerleistung gipfelte. Laut der Definition von Samuele Marcora, einem italienischen Sportwissenschaftler, der in England lebt und arbeitet, betrachtet dieses neue Modell Geist und Körper als gekoppelt, wobei der Körper die klar untergeordnete Instanz ist. Aufgrund meiner lebenslangen Faszination für die mentale Dimension des Ausdauersports verfolgte ich seine Untersuchungen aufmerksam und begann das, was ich aus Magazinartikeln und Büchern wie »Gehirntraining für Läufer« erfuhr, zu verbreiten. Was mich am meisten an der Gehirn-Revolution im Ausdauersport und an dem Psychobiologischen Modell, das daraus hervorging, faszinierte, war, dass sie genau die Lektion stützten, die ich bei meiner Rennpremiere in der fünften Klasse gelernt und an Erfahrung im Ausdauersport mitgenommen hatte. Die wahre Herausforderung im Ausdauersport ist eine psychologische.

      Viele Aspekte der Ausdauerleistung, von denen immer angenommen wurde, sie seien biologischer Natur, stellten sich als kopfgesteuert heraus. Ein Beispiel: Studien von Paul Laursen der australischen Edith Cowen University und anderen Wissenschaftlern haben gezeigt, dass das biologische Phänomen der Dehydrierung die Athleten in Rennen nicht langsamer macht – Extremfälle ausgenommen –, stattdessen ist es der psychologische Zustand sich durstig zu fühlen.

      Wie in allen »harten« Wissenschaften wimmelt es in der Sportwissenschaft von Männern und Frauen, die starke materialistische Tendenzen haben und die deshalb nicht sehr geneigt sind, die Rolle des Kopfes im Ausdauersport anzuerkennen. Diese Tendenz lässt sie gegenüber der Überzeugung von Top-Athleten, der Kopf sei der eigentlich entscheidende Faktor, eher abweisend auftreten. Aber die Gehirn-Revolution hat schon einige dieser materialistischen Wissenschaftler bekehrt. Diese Erleuchteten sind nun willens zuzugeben, dass der große finnische Läufer Paavo Nurmi recht hatte, als er vor fast einem Jahrhundert sagte: »Der Kopf ist alles. Muskeln sind nur Gummistücke. Alles, was ich bin, bin ich wegen meines Kopfes.«

      Etwas drastischer – wenn auch weniger poetisch – formuliert lautet


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