Die Vampirschwestern 6 - Bissige Gäste im Anflug. Franziska Gehm

Die Vampirschwestern 6 - Bissige Gäste im Anflug - Franziska Gehm


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Nach drei Soldatenschritten hatte Dirk van Kombast die hintere Zellenwand mit dem kleinen quadratischen Fenster erreicht. Er sah kurz durch die Gitterstäbe nach draußen auf den Himmel über Transsilvanien, über den die Abenddämmerung bereits ihren dunkelblauen Vorhang zog. Sehnsüchtig blickte er gen Norden. Gen Heimat. Er seufzte. Mit einem Ruck drehte er sich um und schritt zurück zur gegenüberliegenden Zellenwand mit der stählernen Tür.

      Bei jedem Schritt stieß er voller Abscheu ein Wort aus.

      „Widerwärtiges.“

      Schritt.

      „Heimtückisches.“

      Schritt.

      „Menschenverachtendes.“

      Schritt.

      „Vampirgesocks.“

      Drehung.

      „Aufstöbern.“

      Schritt.

      „Aufspießen.“

      Schritt.

      „Und auf Knoblauchknollen werde ich euch rösten!“

      Dirk van Kombast war wieder am Zellenfenster angelangt. Er umfasste die Gitterstäbe mit den Händen. Sie waren aus Stahl und so dick, dass seine Daumen die Fingerspitzen nicht berührten. Er rüttelte mehrmals kräftig am Gitter. Es bewegte sich keinen Millimeter. Dirk van Kombast stieß mit der Stirn gegen das Gitter, dann ließ er den Kopf hängen. Als er ihn wieder hob und zum Mond sah, waren seine Augen wässrig. Das kam sonst nur vor, wenn eine seiner Kontaktlinsen verrutscht war.

      „Mutti!“, rief Dirk van Kombast. „Hol mich hier raus!“

      Unter normalen Umständen hätte Dirk van Kombast nie nach seiner Mutti gerufen. Er war ein erwachsener Mann. Er hatte einen silbernen Sportwagen, ein Wasserbett und ein Abonnement für eine Gesundheitszeitschrift. Außerdem wusste er, dass seine Mutti ihn nicht hören konnte. Nicht, weil sie alt war und es mit den Ohren hatte, sondern weil sie etliche Kilometer entfernt in Deutschland in einer geschlossenen Anstalt saß.

      Nun hatte man also beide, Mutter und Sohn, weggesperrt. Und wer war schuld daran? Dirk van Kombast schlug mit der Faust gegen die Zellenwand. „Vermaledeite Vampire!“, rief er. Dann verzog er das Gesicht und schüttelte die Hand aus, als könne er die Schmerzen aus den Fingerspitzen schleudern.

      Seine Mutter hatte bereits vor Jahren, als Dirk noch zur Schule ging, ein einschneidendes Vampirerlebnis gehabt. Seit diesem Erlebnis war Irene van Kombast in der normalen, geordneten deutschen Gesellschaft nicht mehr funktionsfähig. Sie wurde auf Raten der Ärzte in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Dort freundete sie sich mit einem Mann an, der behauptete, er käme vom Mars. Mit ihm spielte sie Poker. Ihre andere große Freude war, wenn ihr Sohn sie besuchte.

      Dirk van Kombast besuchte seine Mutti sehr oft. Bei jedem Besuch wurde er in seinem Beschluss, den er vor Jahren gefasst hatte, bestärkt: Er würde seine Mutter rächen. Er würde die Vampire – die weltweit besser organisiert waren als jede Mafia, da war sich Dirk van Kombast mittlerweile sicher – entlarven, an den Pranger stellen und vernichten.

      Seit Jahren arbeitete er im blutigen Untergrund als Vampirjäger, gut getarnt als solariumgebräunter Pharmavertreter. Vor ein paar Wochen hatte sich bestätigt, was Dirk van Kombast schon immer geahnt hatte: Die Vampire sind mitten unter uns! In das Reihenhaus direkt neben ihn war Familie Tepes aus Transsilvanien eingezogen. Es dauerte nicht lange, bis Dirk van Kombasts Beobachtungen ergaben, dass seine neuen Nachbarn nicht ganz normal waren. Auch den anderen Bewohnern der Reihenhaussiedlung dürfte das nicht entgangen sein. Doch nur Dirk van Kombast wusste, dass er es bei Herrn Tepes mit einem Vampir und bei den Töchtern mit zwei Halbvampiren zu tun hatte.

      Ihretwegen war er vor einer Woche nach Rumänien gereist. Ihretwegen hatte er sich mitten in einem undurchdringlichen Wald vor den Toren der unterirdischen Stadt Bistrien auf die Lauer gelegt. Ihretwegen saß er jetzt hinter rumänischen Gardinen aus Stahl.

      Das alles war ein einziges transsilvanisches Missverständnis. Er hatte Helene Steinbrück vor einem Biss von einem blutrünstigen Jungvampir der gefährlichsten Sorte bewahrt. Heldenhaft hatte er sich in den Kampf gestürzt und mit seiner Garlic Gun dreihundert Knoblauchzehen auf den Vampir abgefeuert. Wie er später erfuhr, hatte selbst diese Ladung nicht ausgereicht, um den Vampir in die ewigen Abgründe zu befördern, sondern ihn nur in ein Koma fallen lassen.

      Statt dem Vampir hatte die rumänische Polizei den Vampirjäger festgenommen. Dirk van Kombast konnte es noch immer nicht fassen. Es war eine verkehrte Welt! Er würde sich beim Innenministerium beschweren. Er wollte eine Entschädigung. Aber zunächst wäre er erst einmal froh, wenn er etwas von Herrn Dr. Gödeke-Schnitzlein hören würde.

      Herr Dr. Gödeke-Schnitzlein war Dirk van Kombasts Anwalt. Er war sehr gewissenhaft und konnte knallhart sein. Nur im Moment nicht. Da war er kokosbutterweich. Herr Dr. Gödeke-Schnitzlein erholte sich gerade von all den Paragrafen. Drei Wochen lang. In der Karibik. Mit seiner zweiten Frau. Der Anrufbeantworter in seiner Kanzlei in Bindburg blinkte. Der Hilferuf des Vampirjägers aus Rumänien blieb ungehört.

      Dirk van Kombast sah zum Himmel, auf dem bereits die ersten Sterne zu sehen waren. Er fragte sich, ob seine Mutti jetzt in Bindburg auch aus dem Fenster blickte und genau diese Sterne sah. Oder spielte sie mit dem Marsmann Poker? „Ich gebe nicht auf“, flüsterte Dirk van Kombast. „Mein Anwalt holt mich hier raus. Spätestens morgen sitze ich im Flieger zurück nach Deutschland. Ich habe dich nicht vergessen, Mutti.“ Der Vampirjäger holte tief Luft. „Vertrau mir. Du kannst dich auf dein Puschelbärchen verlassen.“

      Auf einmal schob sich draußen etwas vor das Fenster, nur wenige Zentimeter vom Vampirjäger entfernt.

      Dirk van Kombast blieb ein Schrei im Halse stecken. Er wich zu Tode erschrocken zurück. Die Hose schlackerte ihm um die Beine, als er im Mondlicht eine gewaltige dunkle Gestalt erkannte. Das Gesicht füllte das gesamte Fenster aus. Die Augen waren feuerrot und schienen von innen zu leuchten. Aber noch etwas war seltsam an dem Gesicht. Sehr seltsam. Erst jetzt bemerkte Dirk van Kombast, dass die Nase und der Mund über den Augen lagen. Im ersten Moment dachte er, das Gesicht wäre grausam entstellt. Dann wurde ihm bewusst, dass es verkehrt herum war.

      „Boi noap, Puschelbärchen!“, sagte die Gestalt. Es klang, als käme die Stimme aus einer tiefen schwarzen Höhle voller Würmer und Egel.

      „Be… Be… Be… Bitte“, Dirk van Kombast hielt sich mit beiden Händen an der Hosennaht fest. Er hatte die Augen weit aufgerissen. Sein Mund war trocken. „Nennen Sie mich doch einfach D… D… D… Dirk van Kombast.“

      „WAS?“ Die Gestalt hielt eine riesige, behaarte Hand an ihr Ohr. „Würg den Kompost? Gumox. Das klingt doch nicht. Puschel ist gut. Und fertig.“

      Dirk van Kombast nickte. Wenn die Gestalt vor dem Fenster es wollte, würde er auch eine karierte Gummigurke sein. „Und … äh … mit wem habe ich das Vergnügen?“ Mit Erleichterung fiel Dirk van Kombast ein, dass ihn mehrere dicke Mauern und ein Gitter aus Stahl von der Gestalt trennten. Er entspannte sich etwas. Zum ersten Mal, seit er die Zelle betreten hatte, fühlte er sich darin wohl.

      Die Gestalt schnaufte und zwei dunkelblaue Wolken kamen aus den Nasenlöchern, die so groß wie Zweieuromünzen und so behaart wie ein Gorillarücken waren. Ein unangenehm modriger Geruch breitete sich in der Zelle aus. „Du hast das Verhängnis mit mir, URIO TRANSGOLIATO.“

      „Aufs Höchste erfreut, Herr Transgoliato.“ Dirk van Kombast schaffte es trotz des modrigen Geruchs, kurz sein Pharmavertreterlächeln aufzusetzen.

      Urio Transgoliato lächelte nicht. Gut möglich, dass dieser Gesichtsausdruck nicht zu seinem Repertoire gehörte.

      Trotzdem konnte Dirk van Kombast auf den bläulichen Lippen lange weiße, spitze Eckzähne erkennen. Jedes Mammut wäre vor Neid ausgestorben. An einem Eckzahn lief eine dunkelrote Flüssigkeit herab. Dirk van Kombast war sich sicher, dass kein Zahnfleischbluten die Ursache dafür war. Urio Transgoliatos Haut schimmerte weiß wie Ziegenkäse im Mondlicht. Auf der rechten Wange hatte er eine Narbe. Sie sah aus, als hätte ihm ein Tier drei kräftige Krallen ins Gesicht gebohrt. Die dichten schwarzen Augenbrauen waren zusammengewachsen und bildeten


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