Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow
sagte der Kunde, auf den Himmel blickend.
»Es wird ganz gewiß regnen!« bestätigten die Maler.
»Es sind übrigens keine Regenwolken. Vielleicht wird es auch nicht regnen.«
»Es wird nicht regnen, Euer Wohlgeboren. Ganz gewiß nicht.«
Hinter dem Rücken behandelten sie die Kunden im allgemeinen ironisch, und wenn sie z. B. einen Herrn mit einer Zeitung auf dem Balkon sitzen sahen, spotteten sie:
»Eine Zeitung liest er, aber zu fressen hat er nichts!«
Zu den Meinen ging ich nicht. Wenn ich von der Arbeit heimkam, fand ich bei mir oft kurze, besorgte Zettel von meiner Schwester vor, in denen sie mir vom Vater berichtete: daß er beim Mittagessen auffallend nachdenklich gewesen sei und nichts gegessen habe, oder daß er im Gehen eigentümlich gestolpert wäre, oder daß er sich für lange Zeit in seinem Zimmer eingeschlossen hätte. Solche Berichte regten mich auf und raubten mir den Schlaf; manchmal ging ich sogar nachts in die Große Adelsstraße vor unser Haus, starrte in die dunklen Fenster und suchte zu erraten, wie es im Hause wohl stehen möge. Meine Schwester besuchte mich heimlich jeden Sonntag, tat aber so, als käme sie nicht zu mir, sondern zu der Kinderfrau. Wenn sie zu mir ins Zimmer trat, war sie sehr blaß, hatte rote Augen und fing gleich zu weinen an:
»Unser Vater wird es nicht überleben!« sagte sie immer: »Wenn ihm, Gott behüte, etwas zustößt, so wird dich dein Leben lang dein Gewissen quälen. Es ist entsetzlich, Missail! Im Namen unserer Mutter flehe ich dich an: bessere dich!«
»Teure Schwester,« erwiderte ich, »wie soll ich mich bessern, wenn ich überzeugt bin, daß ich nach meinem Gewissen handle? Begreife es doch!«
»Ich weiß, daß du nach deinem Gewissen handelst, vielleicht ginge es aber doch irgendwie anders, so daß du niemand Kummer machst.«
»Lieber Gott!« stöhnte die Alte hinter der Tür: »Verloren ist dein Kopf! Schlecht wird es enden!«
VI
An einem Sonntag kam zu mir ganz unerwartet Doktor Blagowo. Er trug unter seiner Sommerlitewka ein blauseidenes Hemd und hatte Lackstiefel an.
»Ich komme zu Ihnen!« begann er, und drückte mir kräftig die Hand. »Jeden Tag höre ich von Ihnen und habe immer die Absicht, mich mit Ihnen auszusprechen. In der Stadt herrscht furchtbare Langweile, es ist keine lebendige Seele da, mit der man ein Wort reden könnte. Heiß ist es, heilige Mutter Gottes!« fuhr er fort, die Litewka ausziehend. »Liebster, lassen Sie mich mit Ihnen sprechen!«
Ich langweilte mich auch selbst und sehnte mich schon längst nach der Gesellschaft von Nichtmalern. Ich freute mich aufrichtig über seinen Besuch.
»Zuallererst will ich Ihnen sagen,« fing er an, sich auf mein Bett setzend, »daß ich mit ganzer Seele mit Ihnen fühle und Ihre ganze Lebensweise achte. Hier in der Stadt versteht man Sie nicht, es ist auch niemand da, der Sie verstehen könnte; Sie wissen wohl selbst, daß es hier mit wenigen Ausnahmen nur Gogolsche Schweineschnauzen gibt. Aber ich habe Sie schon damals beim Picknick gleich durchschaut. Sie sind eine edle Seele, ein ehrlicher Idealist. Ich achte Sie und halte es für eine große Ehre, Ihre Hand drücken zu können!« fuhr er begeistert fort. »Um das Leben so radikal zu verändern, wie Sie es getan, haben Sie einen komplizierten seelischen Prozeß durchmachen müssen, und um dieses Leben fortzuführen und immer auf der Höhe Ihrer Ueberzeugungen zu bleiben, arbeiten Sie wohl tagaus, tagein angestrengt mit Kopf und Herz. Sagen Sie mir nun gleich zu Beginn unserer Unterredung: finden Sie nicht, daß, wenn Sie diese ganze Willenskraft, diese ganze Anspannung und Potenz auf irgend etwas anderes verwendet hätten, z. B. um mit der Zeit ein großer Gelehrter oder Künstler zu werden, Ihr Leben auch viel tiefer und in allen Beziehungen produktiver geworden wäre?«
So begann unser Gespräch, und als die Rede auf die körperliche Arbeit kam, äußerte ich folgenden Gedanken: es sei in erster Linie notwendig, daß die Starken die Schwachen nicht knechten, daß die Minderheit für die Mehrheit nicht zu einem Parasiten werde, oder zu einer Pumpe, die aus ihr chronisch die besten Säfte aussauge; mit anderen Worten, es sei notwendig, daß alle ohne Ausnahme, die Starken wie die Schwachen, die Reichen wie die Armen gleichmäßig, ein jeder für sich, am Kampfe ums Dasein teilnehmen; in dieser Beziehung gäbe es kein besseres nivellierendes Mittel als die zu einer allgemeinen, für alle obligatorischen Pflicht erhobene körperliche Arbeit.
»Nach Ihrer Ansicht müssen sich also alle mit körperlicher Arbeit befassen?« fragte der Doktor.
»Ja.«
»Glauben Sie denn nicht, daß, wenn sich alle, auch die hervorragendsten Menschen, die größten Denker und Gelehrten, am Kampfe ums Dasein beteiligen und ihre Zeit zum Steineklopfen oder Dächeranstreichen verwenden, dem Fortschritte eine große Gefahr entstehen würde?«
»Worin soll denn diese Gefahr liegen?« fragte ich. »Der Fortschritt besteht ja in den Taten der Liebe, in der Erfüllung der sittlichen Pflicht. Wenn Sie niemand unterdrücken, wenn Sie niemand zur Last fallen, so ist das doch wahrlich ein großer Fortschritt!«
»Aber erlauben Sie einmal!« fuhr Blagowo plötzlich auf: »Erlauben Sie! Wenn die Schnecke sich in ihrem Schneckenhaus mit persönlicher Selbstvervollkommnung befaßt und im sittlichen Gesetz herumstochert, so nennen Sie das Fortschritt?«
»Warum sagen Sie herumstochert?« entgegnete ich beleidigt. »Wenn Sie Ihren Nächsten nicht zwingen, Sie zu ernähren, zu bekleiden, zu fahren, vor Ihren Feinden zu beschützen, so bedeutet denn das im Leben, das ganz auf Knechtschaft aufgebaut ist, keinen Fortschritt? Meines Erachtens ist das der echteste und wohl der für den Menschen einzig mögliche und notwendige Fortschritt.«
»Die Grenzen des allmenschlichen, weltumfassenden Fortschritts liegen in der Unendlichkeit, und von einem ›möglichen‹ von unseren Nöten und zeitlichen Anschauungen beschränkten Fortschritt zu sprechen, finde ich, entschuldigen Sie mich, sonderbar.«
»Wenn die Grenzen des Fortschritts, wie Sie sagen, in der Unendlichkeit liegen, so sind seine Ziele unbestimmt,« entgegnete ich ihm. »Wie kann man leben, ohne zu wissen, wozu man lebt!«
»Gut! Aber dieses Nichtwissen ist weniger langweilig als Ihr Wissen. Ich steige eine Leiter hinauf, die man Fortschritt, Zivilisation, Kultur nennt, ich steige immer höher, ich weiß zwar nicht bestimmt, wohin sie mich führt, aber diese herrliche Leiter macht mir schon allem das Leben lebenswert; Sie aber wissen, wozu Sie leben: damit die einen die anderen nicht unterdrücken, damit der Künstler und derjenige, der ihm die Farben reibt, das gleiche Mittagbrot essen. Das ist aber die spießbürgerliche, prosaische, graue Seite des Lebens, und für sie zu leben, ist einfach ekelhaft. Wenn die einen Insekten die anderen unterjochen, so hol sie der Teufel! Sollen sie einander fressen! Nicht an diese Geschöpfe müssen wir denken – sie werden ja sowieso, und wenn Sie sie auch von der Sklaverei retten, sterben und verfaulen; sondern, an das große X, das die Menschheit in der Zukunft erwartet.«
Blagowo widersprach mir mit großem Eifer, ich konnte ihm aber anseben, daß ihn irgendein ganz anderer Gedanke beschäftigte.
»Ihre Schwester wird wohl nicht kommen,« sagte er nach einem Blick auf die Uhr. »Gestern war sie bei uns und sagte, daß sie heute zu Ihnen kommt. Sie sprechen immer von Sklaverei ...« fuhr er fort. »Das ist aber nur eine Teilfrage, und alle solche Fragen werden von der Menschheit allmählich, ganz von selbst gelöst.«
Nun kamen wir auf die allmähliche Entwicklung zu sprechen. Ich sagte, daß die Frage, ob gut oder böse zu handeln sei, jeder Mensch für sich lösen müsse, ohne erst abzuwarten, daß die Menschheit zur Lösung dieser Frage auf dem Wege der allgemeinen Entwicklung gelange. Außerdem sei diese allmähliche Entwicklung ein zweischneidiges Schwert. Neben dem Prozesse der Entwicklung der humanen Ideen könne man auch die allmähliche Entwicklung von Ideen ganz anderer Art beobachten. Die Leibeigenschaft sei abgeschafft, dafür aber wachse der Kapitalismus immer an. Und selbst in der Zeit, wo die freiheitlichen Ideen in höchster