Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow
das Duften los«, sagte der Landfriedensrichter schwer atmend.
»Ach nein, mein verehrtester Grigori Ssawwitsch, eine Ente oder eine Bekassine ist der Gans darin bei weitem voraus. Dem Bouquet der Gans fehlt es an Zartheit und Delikatesse. Am kräftigsten riechen junge Zwiebeln, wenn sie, wissen Sie, etwas anbrennen und durch das ganze Haus zischen, die Kanaillen . . . Nun also, wenn Sie eintreten, muß der Tisch schon gedeckt sein. Sie setzen sich, stecken gleich die Serviette hinter die Binde und langen ohne Eile nach der Schnapskaraffe. Und das Schnäpschen gießen Sie sich nicht in ein Spitzglas ein, sondern in irgend so einen vorsintflutlichen silbernen Familienbecher, oder in so ein dickwanstiges Gläschen mit der Aufschrift: ›Auch ein Mönch, ein krasser, trinkt nicht immer Wasser!‹ Und Sie trinken nicht gleich, sondern seufzen zuerst aus, reiben sich die Hände, werfen einen gleichgiltigen Blick an die Decke, führen dann das Schnäpschen ohne Eile an die Lippen – und sofort fühlen Sie, wie Ihren ganzen Körper vom Magen aus belebende Funken durchzucken . . .«
Der Sekretär verlieh seinem süßen Gesicht den Ausdruck von Glückseligkeit.
»Funken . . .« wiederholte er, die Augen zukneifend. »Sobald Sie getrunken haben, müssen Sie sich gleich an die Sakuska machen.«
»Hören Sie mal«, sagt der Präsident, seine Augen zu dem Sekretär erhebend, »sprechen Sie etwas leiser! Ich verderbe Ihretwegen schon den zweiten Bogen.«
»Ach, entschuldigen Sie, Pjotr Nikolaitsch! Ich werde leiser . . .« sagte der Sekretär und fuhr im Flüsterton fort: »Nun, und die Sakuska, mein verehrtester Grigori Ssawwitsch, muß man sich auch mit Verständnis auswählen. Man muß wissen, was sich dazu eignet. Die beste Sakuska ist, wenn Sie es wissen wollen, der Hering. Haben Sie davon ein Stückchen mit Zwiebeln und Senfsauce gegessen, mein Bester, so nehmen Sie gleich, solange Sie noch die Funken im Magen spüren, etwas Kaviar – allein für sich oder, wenn Sie wollen, mit Citrone – dann gewöhnlichen Rettig mit Salz, dann wieder Hering. Am besten aber, mein Liebster, sind diese rötlichen Pilze, die Brätlinge, gesalzen, ganz fein wie Kaviar geschnitten und mit Zwiebeln und Provenceröl angemacht . . . da kann man sich krank dran essen! Und nun gar Aalquappenleber – das ist schon das reine Epos!«
»Hm, ja . . .« stimmte der Ehrenfriedensrichter, die Augen zukneifend, bei. »Als Sakuska sind auch . . . hm . . . gedünstete Steinpilze gut.«
»Ja, ja, ja – mit Zwiebeln, wissen Sie, mit Lorbeer und verschiedenem Gewürz. Man öffnet die Kasserolle und aus ihr steigt so ein Dampf, so ein Pilzaroma, daß einem zuweilen sogar Thränen in die Augen kommen! Nun also, sobald aus der Küche die Pastete kommt, gleich, ohne Zeit zu verlieren, den zweiten hinter die Binde.«
»Iwan Jurjitsch!« sagte mit weinerlicher Stimme der Präsident. »Ihretwegen verderbe ich jetzt den dritten Bogen!«
»Hol's der Teufel, er denkt nur ans Essen!« brummte der Philosoph Milkin mit einer verächtlichen Grimasse. »Giebt es im Leben denn wirklich keine anderen Interessen als Pilze und Pasteten?«
»Nun, also vor der Pastete muß man eins trinken«, fuhr der Sekretär mit halber Stimme fort. Er war schon so in den Zug gekommen, daß er, wie eine schlagende Nachtigall, nichts mehr außer seiner eigenen Stimme hörte. »Die Pastete muß appetitlich und schamlos in ihrer rosigen Nacktheit sein, damit sie verführerisch wirkt. Man blinzelt ihr zu, schneidet sich ein Stück ab und macht nur so mit den Fingern vor Überfluß an Gefühl. Wenn man sie ißt, träufelt die Butter wie Thränen herunter . . . Die fette, saftige Füllung mit Ei, Gekröse, Zwiebeln . . .«
Dem Sekretär gingen die Augen über und er verzog den Mund bis an das eine Ohr.
Der Ehrenfriedensrichter räusperte sich und machte eine Geste, aus der man ersehen konnte, wie lebhaft er sich die Pastete vorstellte.
»Das ist ja weiß der Teufel was . . .« brummte der Bezirksfriedensrichter, zu dem anderen Fenster hinübergehend.
»Zwei Stück ißt man und das dritte hebt man sich zu der Kohlsuppe auf«, fuhr der Sekretär begeistert fort. »Sobald Sie mit der Pastete fertig sind, lassen Sie gleich, ohne den Appetit einschlafen zu lassen, die Kohlsuppe auftragen . . . Kohlsuppe muß brennend heiß sein . . . Am besten aber, mein Verehrtester, ist ein Borstschok aus Beeten auf kleinrussische Art mit etwas Schinken und Wiener Würsteln. Dazu wird saure Sahne und frische Petersilie mit etwas Dill genommen. Vorzüglich ist auch eine Rassoljnik-Suppe mit Gekröse und jungen Nieren; lieben Sie dagegen Bouillonsuppen, so ist die beste die Julien-Suppe aus Gemüse und Kräutern: Karotten, Blumenkohl und ähnliche Jurisprudenz.«
»Ja, die schmeckt vorzüglich . . .« seufzte der Präsident, den Blick vom Papier losreißend. Aber er kam sogleich wieder zur Besinnung und stöhnte: »Daß Sie sich nicht schämen! Auf diese Weise werde ich mit meiner ›besonderen Meinung‹ vor dem Abend nicht fertig! Den vierten Bogen muß ich wegwerfen!«
»Gut, gut, ich werde nicht mehr . . . Verzeihen Sie!« entschuldigte sich der Sekretär und fuhr fort zu flüstern:
»Sobald Sie den Borstschok oder die Suppe gegessen haben, mein Verehrtester, lassen Sie sofort den Fisch auftragen. Von den Fischen ist der beste – in Sahne gebratene Karausche; nur muß man sie, damit sie fein wird und nicht nach dem Sumpf schmeckt, vorher vierundzwanzig Stunden lebend in Milch halten.«
»Auch ein kleiner Sterlett ist nicht übel«, sagte der Ehrenfriedensrichter, die Augen schließend.
Aber sofort und ganz unerwartet sprang er auf, machte ein wütendes Gesicht und brüllte, nach dem Präsidenten gewandt:
»Pjotr Nikolaitsch, sind Sie bald soweit? Ich kann nicht länger warten! Ich kann nicht!«
»Lassen Sie mich nur zu Ende schreiben!«
»Na, dann fahr ich allein! Hol' Sie der . . .«
Der Dicke machte eine ungeduldige Geste, griff nach dem Hut und lief, ohne sich zu verabschieden, zum Zimmer hinaus.
Der Sekretär seufzte auf, und fuhr, zum Ohr des Prokureursadjunkts gebeugt, mit halber Stimme fort:
»Auch Sandart oder Karpfen mit einer Tunke von Tomaten und Pilzchen ist gut. Aber Fisch macht einen nicht satt, Stepan Franzitsch; das ist kein reelles Essen, und die Hauptsache beim Mittag sind nicht der Fisch, nicht die Saucen, sondern der Braten. Welches Geflügel schätzen Sie am meisten?«
Der Prokureursadjunkt machte ein saures Gesicht und sagte mit einem Seufzer:
»Ich kann Ihre Gefühle leider nicht teilen: ich leide an einem Magenkatarrh.«
»Ach was! Magenkatarrhe haben die Ärzte erfunden! Diese Krankheit kommt mehr vom Freisinn und vom Stolz. Beachten Sie sie garnicht. Sie möchten, wollen wir sagen, nicht essen, oder es ist Ihnen widerwärtig; achten Sie aber nicht darauf und essen Sie ruhig. Wenn zum Beispiel als Braten ein Pärchen Doppelschnepfen aufgetragen wird und dazu ein Rebhühnchen oder ein Pärchen fetter Wachteln, – da vergessen Sie jeden Katarrh, Ehrenwort! Und ein gebratener Truthahn? Weiß, fett, saftig, wissen Sie, wie so 'ne Nymphe . . .«
»Ja, das muß wohl gut schmecken«, sagte mit einem trüben Lächeln der Prokureursadjunkt. »Truthahn würde ich vielleicht auch essen.«
»Mein Gott, und Ente? Wenn Sie eine junge Ente nehmen, so um die ersten Herbstfröste, wenn die Ente vielleicht zum ersten Mal übers Eis gelaufen ist, und sie auf der Pfanne mit Kartoffeln braten und zwar so, daß die Kartoffeln fein zerschnitten sind und schön braun werden und vom Entenfett ordentlich durchzogen sind und . . .«
Der Philosoph Milkin machte ein bestialisches Gesicht und wollte offenbar etwas sagen. Aber plötzlich schmatzte er mit den Lippen, sich wahrscheinlich die gebratene Ente vorstellend, nahm, ohne ein Wort zu sagen, seinen Hut und lief davon, von einer unbekannten Kraft getrieben.
»Ja, vielleicht würde ich auch Ente essen . . .« seufzte der Prokureursadjunkt.
Der Präsident stand auf, ging einmal durch das Zimmer und setzte sich wieder.
»Nach dem Braten beginnt der Mensch ein Gefühl von Sattigkeit zu empfinden und verfällt in einen süßen Dusel«, fuhr der Sekretär fort. »Der Körper fühlt sich