Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow

Die bekanntesten Werke von Tschechow - Anton Pawlowitsch Tschechow


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Präsident räusperte sich und durchstrich einen Bogen.

      »Ich verderbe den sechsten Bogen«, sagte er ärgerlich. »Das ist doch . . .«

      »Schreiben Sie, schreiben Sie nur, Verehrtester«. flüsterte der Sekretär. »Ich werde nicht mehr . . . Ich mach's leise. – Ich muß Ihnen aufrichtig sagen, Stepan Franzitsch«, fuhr er in kaum hörbarem Flüsterton fort, »ein selbst abgezogenes Likörchen ist besser als jeder Champagner. Gleich nach dem ersten Gläschen geht Ihre Seele in Verzückung auf . . . so 'ne Fata Morgana . . . und es kommt Ihnen vor, als säßen Sie nicht bei sich zu Hause im Lehnstuhl, sondern irgendwo in Australien auf einem weichen, sich sanft wiegenden Straußenrücken . . .«

      »Ach, fahren wir doch, Pjotr Nikolaitsch!« sagte der Prokureursadjunkt, ungeduldig mit dem Bein zuckend.

      »Jawohl«, fuhr der Sekretär fort. »Während des Likörs ist es gut, eine Zigarre zu rauchen und Ringe in die Luft zu blasen. Da kommen einem so phantastische Gedanken in den Kopf . . . als wären Sie Generalfeldmarschall, oder als hätten Sie die erste Schönheit der Welt zur Frau . . . Und diese schöne Frau schwimmt den ganzen Tag über vor Ihren Fenstern in so einem Bassin mit Goldfischen herum. Sie schwimmt so umher, und Sie sagen zu ihr nur: ›Komm, Schätzchen, küß mich! ‹«

      »Pjotr Nikolaitsch!« stöhnte der Prokureursadjunkt auf.

      »Ja . . .« fuhr der Sekretär fort. »Wenn Sie ausgeraucht haben, nehmen Sie die Schöße Ihres Schlafrockes auf und – ›nur auf ein Viertelstündchen‹! Sie legen sich so auf den Rücken, mit dem Bauch nach oben und nehmen eine Zeitung in die Hand. Wenn die Augen einem zukleben und der ganze Körper sich schläfrig dehnt, ist es ganz angenehm, über Politik zu lesen: hier hat Österreich irgend etwas schlecht gemacht, dort ärgert sich jemand über Frankreich, oder der Pabst kommt jemandem in die Quere – man liest das alles und es wird einem ordentlich wohl dabei . . .«

      Der Präsident sprang auf, warf die Feder beiseite und griff mit beiden Händen nach dem Hut.

      Der Prokureursgehilfe, der seinen Katarrh vergessen hatte und vor Ungeduld verging, sprang ebenfalls auf.

      »Fahren wir!« rief er.

      »Pjotr Nikolaitsch! Und Ihre ›besondere Meinung‹ rief der Sekretär erschrocken. »Wann werden Sie die denn aufsetzen? Sie müssen doch um sechs Uhr zur Stadt!«

      Der Präsident machte eine abwehrende Geste, und stürzte nach der Thür.

      Der Prokureursadjunkt machte ebenfalls eine abwehrende Geste, nahm sein Portefeuille und verschwand mit dem Präsidenten.

      Der Sekretär seufzte auf, blickte ihnen vorwurfsvoll nach und begann die Akten zusammenzulegen.

      Der Dicke und der Dünne

       Inhaltsverzeichnis

      Auf dem Bahnhof der Nikolaibahn trafen sich zwei Freunde, ein dicker und ein dünner.

      Der Dicke hatte soeben auf dem Bahnhofe zu Mittag gespeist und seine fettigen Lippen glänzten wie reife Kirschen. Er roch nach Cherry und Fleur d'orange.

      Der Dünne dagegen war eben erst aus dem Waggon gestiegen und mit Koffern, Bündeln und Schachteln beladen. Er roch nach Schinken und Kaffee. Hinter seinem Rücken sah man eine hagere Frau mit langem Kinn – seine Gattin, und einen langen Gymnasiasten mit einem zugekniffenen Auge – seinen Sohn.

      »Porfiri!« rief der Dicke, als er den Dünnen erblickte. »Bist Du es, mein Bester? Wie viele Jahre ist's her!«

      »Mischa!« staunte der Dünne. »Freund meiner Jugend! Wo kommst Du her?«

      Die Freunde küßten sich dreimal nach russischer Sitte und blickten sich mit thränenerfüllten Augen an. Beide waren angenehm überrascht.

      »Mein Lieber!« begann der Dünne nach der Begrüßung. »Das hätte ich nicht geglaubt! Ist das eine Überraschung! Na, sieh mich mal ordentlich an! Ebensolch ein schwer Kerl, wie er war! Ebensolch ein Herzensbrecher und Stutzer! Ach, mein Gott! Nun, wie geht es Dir denn? Reich? Verheiratet? Ich bin schon verheiratet, wie Du siehst . . . Das hier ist meine Frau Luise, geborene Wanzenbach . . . Protestantin . . . Und das ist mein Sohn Nafanail, Tertianer. – Das ist der Freund meiner Jugend, Nafanja! Waren zusammen im Gymnasium!«

      Nafanail dachte ein wenig nach und zog die Mütze.

      »Waren zusammen im Gymnasium!« fuhr der Dünne fort. »Erinnerst Du Dich noch, wie Dein Spitzname war? Du hießt Herostrat, weil Du in ein Zensurbuch mit der Zigarette ein Loch gebrannt hattest, und ich hieß Ephialtes, weil ich zu klatschen liebte. Ho–ho . . . Wir waren Kinder! Fürchte Dich nicht, Nafanja! Komm zu ihm näher heran . . . Das ist meine Frau, geborene Wanzenbach . . . protestantisch.«

      Nafanail dachte ein wenig nach und versteckte sich hinter dem Rücken des Vaters.

      »Nun, was machst denn Du, Freund?« fragte der Dicke, den Freund voll Entzücken anblickend. »Bist Du im Staatsdienst? Hast's weit gebracht?«

      »Jawohl, ich diene, mein Lieber! Bin schon das zweite Jahr Kollegienassessor und habe den Stanislaus. Das Gehalt ist zwar schlecht . . . aber was ist da zu machen! Meine Frau giebt Musikunterricht und ich fertige privatim Cigarrenetuis aus Holz an. Vorzügliche Etuis! Zum Rubel das Stück verkaufe ich sie. Wenn jemand zehn Stück und mehr nimmt, bekommt er natürlich Rabatt. Man schlägt sich also irgendwie durch. Zuerst war ich im Departement selbst angestellt und jetzt bin ich hierher in dasselbe Ressort als Tischvorsteher versetzt . . . Werde jetzt also hier bleiben. Nun, und Du? Bist wohl schon Staatsrat? He?«

      »Nein, mein Lieber, kannst noch was zugeben«, sagte der Dicke. »Ich bin schon beim Geheimrat angelangt . . . Habe zwei Orden erster Klasse.«

      Der Dünne wurde plötzlich ganz blaß und wie versteinert. Aber bald verzog sich sein ganzes Gesicht zu einem breiten Lächeln; es schien, als sprühten sein Gesicht und seine Augen Funken. Er selbst zog sich ein, knickte zusammen, machte sich klein . . . Seine Koffer, Bündel und Schachteln wurden klein und schrumpften zusammen . . . Das lange Kinn seiner Frau wurde noch länger . . . Nafanail stand stramm und knöpfte alle Knöpfe seiner Uniform zu . . .

      »Ich, Ew. Excellenz . . . Sehr angenehm! Ich darf wohl sagen, ein Freund meiner Jugend gewesen und jetzt solch ein Würdenträger geworden! Hi–hi.«

      »Na, laß doch!« sagte der Dicke mit einer Grimasse. »Wozu dieser Ton? Wir sind Jugendfreunde – wozu also dieses Untergebenen-Markieren!«

      »Ich bitte Sie . . . Gestatten Sie . . .« lächelte der Dünne, noch kleiner werdend. »Die hohe Gunst Ew. Excellenz . . . ist wie der Tau, der . . . Das hier, Ew. Excellenz, ist mein Sohn Nafanail . . . meine Frau Luise, Protestantin gewissermaßen . . .«

      Der Dicke wollte irgend etwas entgegnen, aber auf dem Gesicht des Dünnen malte sich soviel Ehrfurcht, Süßigkeit und ehrerbietiges Entzücken, daß es dem Geheimrat übel wurde. Er kehrte sich von dem Dünnen ab und reichte ihm zum Abschied die Hand.

      Der Dünne drückte ihm drei Finger, verbeugte sich mit dem ganzen Körper und lachte wie ein Chinese: »Hi–hi–hi.«

      Seine Frau lächelte.

      Nafanail machte einen Kratzfuß und ließ dabei die Mütze fallen.

      Alle drei waren angenehm überrascht.

      Der böse Knabe

       Inhaltsverzeichnis

      Iwan Iwanitsch Lapkin, ein junger Mann von angenehmem Äußeren und Anna Ssemjonowna Samblizkaja, ein junges Mädchen mit einem Stumpfnäschen, gingen das steile Ufer hinab und ließen sich auf einer Bank nieder. Die Bank stand hart am Wasser zwischen dichtem Weidengebüsch. Ein prächtiges Plätzchen! Man sitzt hier verborgen vor aller Welt, und nur die Fische und die Wasserspinnen, die wie Blitze hin


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