Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow
allmählich selbst lebhafter. O, ihr ist es jetzt schon so heiter zu Mut! Sie beteiligt sich am Gespräch, lacht, kokettiert und trinkt sogar, nach langem Bitten der Käufer, etwa zwei Unzen Rotwein.
»Die Herren Offiziere müßten doch häufiger aus dem Biwak in die Stadt kommen«, sagt sie, »sonst ist's hier so furchtbar langweilig. Ich sterbe fast . . .«
»Natürlich!« meint der Doktor empört. »So eine Ananas . . . ein Wunder der Natur, und in dieser Öde! Übrigens ist's für uns schon Zeit. Sehr angenehm gewesen, Ihre Bekanntschaft zu machen . . . sehr! Was haben wir zu zahlen?«
Die Apothekerin hebt die Augen zur Decke und bewegt lange die Lippen.
»Zwölf Rubel achtundvierzig Kopeken!« sagt sie.
Obtjossow holt seine dicke Brieftasche hervor, sucht lange in einem Päckchen Papiergeld und zahlt.
»Ihr Mann schläft süß und träumt . . .« murmelt er, der Apothekerin zum Abschied die Hand drückend.
»Ich liebe keine Dummheiten . . .«
»Wieso denn Dummheiten? Im Gegenteil . . . es sind gar keine Dummheiten . . . Sogar Shakespeare sagt: ›selig, wer jung in der Jugend!‹«
»Lassen Sie meine Hand los!«
Endlich, nach langen Gesprächen, küssen die Käufer der Apothekerin die Hand und verlassen unschlüssig, als überlegten sie, ob sie nicht irgend was vergessen hätten, die Apotheke.
Die junge Frau läuft schnell in das Schlafzimmer und setzt sich wieder ans Fenster. Sie sieht, wie der Doktor und der Leutnant etwa zwanzig Schritte vor der Apotheke stehen bleiben und über etwas zu flüstern anfangen. Worüber? Ihr Herz klopft, auch in den Schläfen klopft es. warum – weiß sie selbst nicht. Das Herz klopft so stark, als entschieden die Beiden, die dort flüstern, über ihr Schicksal.
Ungefähr nach fünf Minuten verläßt der Doktor Obtjossow und geht weiter, während Obtjossow zurückkommt. Er geht an der Apotheke vorbei, einmal. zweimal . . . Bald bleibt er an der Thür stehen, bald geht er wieder weiter . . . Endlich wird die Glocke behutsam gezogen.
»Was? Wer ist da?« hört die Apothekerin plötzlich die Stimme ihres Mannes. »Dort wird geklingelt, und Du hörst es nicht!« sagt streng der Apotheker. »Was ist das für eine Unordnung!«
Er steht auf, zieht sich den Schlafrock an und geht, mit den Pantoffeln schlurfend und im Halbschlaf schwankend in die Apotheke.
»Was . . . wünschen Sie?« fragt er Obtjossow.
»Geben Sie . . . geben Sie mir für fünfzehn Kopeken Pfefferminzplätzchen.«
Mit endlosem Schnaufen und Gähnen, unterwegs einschlafend und mit den Knieen an den Ladentisch stoßend, klettert der Apotheker zu dem Regal hinauf und holt die Büchse . . .
Zwei Minuten später sieht die Apothekerin, wie Obtjossow aus der Apotheke herauskommt und nachdem er einige Schritte gegangen, die Pfefferminzplätzchen auf die staubige Straße wirft. Hinter der Ecke hervor kommt ihm der Doktor entgegen . . . Sie treffen zusammen und verschwinden dann, mit den Händen gestikulierend, im Morgennebel.
»Wie unglücklich bin ich!« spricht die Apothekerin, ihren Mann, der sich schnell auskleidet, um wieder zu schlafen, voll Wut betrachtend. »O, wie unglücklich ich bin!« wiederholt sie, plötzlich in Thränen ausbrechend. »Und niemand, niemand weiß . . .«
»Ich habe auf dem Ladentisch fünfzehn Kopeken vergessen«, brummt der Apotheker, sich die Decke über den Kopf ziehend. »Thu sie, bitte, in die Kasse . . .«
Und sofort schläft er wieder ein.
Der Orden
Der Lehrer am Militär-Progymnasium, Kollegienregistrator Lew Pustakow, wohnte Thür an Thür neben seinem Freunde, dem Leutnant Ledenzow. Zu ihm lenkte er am Neujahrsmorgen seine Schritt.
»Höre mal, Grischa«, sagte er ihm nach der üblichen Gratulation, »ich würde Dich nicht inkommodieren, wenn es nicht dringend nötig wäre. Leih mir, bitte, für heute Deinen Stanislaus. Ich bin nämlich beim Kaufmann Spitschkin zum Mittag eingeladen, – und Du kennst den Kerl ja, furchtbar erpicht auf Orden . . . hält, glaub' ich, jeden für einen Schuft, der nicht was am Halse oder auf der Brust baumeln hat. Nun, und er hat doch zwei Töchter . . . Du weißt, Nastja und Sina . . . Aber ich wende mich an Dich, als Freund . . . Du verstehst mich doch, mein Lieber . . . thu mir, bitte, den Gefallen.«
Bei dieser Rede errötete Pustakow und blickte ängstlich auf die Thür. Der Lieutenant schimpfte zuerst, gab dann aber nach.
Um zwei Uhr Nachmittags fuhr Pustakow in einer Droschke zu Spitschkins. Er hatte seinen Pelz vorn offen gelassen und auf seiner Brust blitzte in Gold und Emaille der fremde Stanislaus.
»Ist mir doch zu Mute, als wäre ich ein ganz anderer Mensch!« dachte er und räusperte sich mit einem gewissen Selbstbewußtsein. »Ein kleines Ding, kostet vielleicht nicht mehr als fünf Rubel, – und welcher Effekt!«
Vor dem Hause des Herrn Spitschkin schlug er den Pelz zurück und begann langsam den Kutscher zu bezahlen. Als der Kutscher seine Achselstücke, Knöpfe und den Stanislaus erblickte, war er, so schien es wenigstens Pustakow, wie versteinert. Pustakow räusperte sich selbstbewußt und trat in das Haus ein. Den Pelz legte er im Vorzimmer ab und warf einen Blick in den Saal, wo gegen fünfzehn Personen an einem langen gedeckten Tisch saßen und schon zu essen begonnen hatten. Man hörte nur Stimmengewirr und Tellergeklapper.
»Wer hat da geklingelt?« fragte der Hausherr und erhob sich. »Ah, Lew Nikolajewitsch! Bitte schön! Etwas spät, aber das macht nichts . . . Wir haben uns eben erst gesetzt.«
Pustakow streckte seine Brust vor, warf stolz den Kopf zurück und trat, sich die Hände reibend, in den Saal. Aber da sah er etwas Fürchterliches. Am Tisch, neben Fräulein Sina, saß sein Kollege, der Lehrer der französischen Sprache, Tremblant. Wenn der Franzose den Orden sehen würde, würde er unangenehme Fragen stellen und ihn wahrscheinlich für ewig blamieren . . . Sollte er den Orden abreißen oder wieder weglaufen? . . . Aber der Unglücksorden saß fest am Rock und ein Rückzug war nicht mehr möglich. Er preßte schnell die rechte Hand auf den Orden und machte der Gesellschaft eine tiefe Verbeugung. Darauf setzte er sich schwerfällig, ohne jemand die Hand zu reichen, auf den einzigen Stuhl, der frei war, gerade dem französischen Kollegen gegenüber.
»Wahrscheinlich etwas angeduselt!« dachte Spitschkin, der sich Pustakows sonderbares Benehmen nicht anders erklären konnte.
Es wurde ihm ein Teller Suppe gereicht. Er nahm den Löffel mit der linken Hand auf. Da fiel ihm ein, daß man unter wohlerzogenen Leuten doch nicht mit der linken Hand essen könne. Gar nicht essen? Ja! . . . Schließlich sagte er, daß er bereits gegessen habe. »Ich machte einen Besuch bei meinem Onkel, dem Probst Elejew . . . er bat mich . . . aß da zu Mittag . . .«
Pustakows Seele war von Ingrimm erfüllt und er litt Tantalusqualen: die Suppe war gar zu appetitlich . . . Und was für ein verführerischer Duft ging von dem gedämpften Stör aus. Er dachte daran, seine rechte Hand frei zu machen und den Orden mit seiner Linken zu verdecken, aber er wagte es nicht.
»Man wird es bemerken . . . Und auch, wenn man es nicht merkt: wie lange soll ich denn den Arm über die ganze Brust gestreckt halten, als wenn ich singen wollte? Mein Gott, wird denn dieses Mittagessen ewig dauern? Ich werde nachher schnell in ein Restaurant gehen!«
Nach dem dritten Gange warf er mit dem einen Auge einen verstohlenen Blick auf den Franzosen. Es kam ihm vor, als ob Tremblant aus irgend einem Grunde sehr verlegen war, ihn ängstlich ansah und auch nichts aß. Als sie einander eine Weile angesehen hatten, wurden beide noch verlegener und sahen in ihre leeren Teller. »Er hat es bemerkt, der Kerl!« dachte Pustakow. »Ich sehe es ihm an der Fratze an, daß er es bemerkt hat! Dieser Schuft, diese Klatschbase! Morgen wird der Direktor alles wissen!«
Die Gäste