Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow
die . . . ›Sie gefielen ihr . . . das Zischen‹. Mein Herzchen! Nikolai Jermolaitsch! Was zuweilen ein Mensch, der aus dem Seminar gejagt worden ist und sich mit Kriminallitteratur vollgesogen hat, machen kann, ist kaum zu fassen! Von heute an beginne ich mich zu achten! . . . Ufff . . . Nun, fahren wir!«
»Wohin denn das?«
»Zu ihr, zu der vierten . . . Wir müssen eilen, sonst . . . sonst vergehe ich vor Ungeduld! Wissen Sie, wer es ist? Die junge Frau unseres Amtshauptmanns, des alten Jewgraf Kusjmitsch, Olga Petrowna ist es! Sie hat die Schachtel gekauft!«
»Sie . . . Du . . . Sie . . . verrückt?«
»Sehr einfach! Erstens raucht sie. Zweitens ist sie bis über die Ohren in Kljausow verliebt. Er hat ihre Liebe wegen irgend einer Akuljka zurückgewiesen. Rache! Jetzt erinnere ich mich, wie ich sie einmal beide in der Küche hinter der Scheidewand angetroffen habe. Sie überschüttete ihn mit Schwüren, während er rauchte und ihr den Rauch ins Gesicht paffte. Aber . . . fahren wir schnell, sonst wird es dunkel . . . Fahren wir!«
»Ich bin noch nicht so verrückt, um irgend einem grünen Jungen zu Liebe in der Nacht eine anständige Dame aus der Gesellschaft zu beunruhigen!«
»Anständig, Dame . . . Ein Lappen sind Sie also und kein Untersuchungsrichter! Noch nie habe ich mich unterstanden, Sie zu beleidigen, aber jetzt zwingen Sie mich dazu! Lappen, Schlafmütze! Nun, mein Herzchen! Nikolai Jermolaitsch! Ich bitte Sie!«
Der Untersuchungsrichter machte mit der Hand eine Geste und spuckte aus.
»Ich bitte Sie! Ich bitte Sie nicht um meinetwegen, sondern im Interesse der Rechtsprechung! Ich flehe Sie an! Erweisen Sie mir doch einmal im Leben einen Gefallen!«
Djukowski sank auf die Knie.
»Nikolai Jermolaitsch! Nun, seien Sie so gut! Nennen Sie mich einen Schuft, einen gemeinen Kerl, wenn ich mich in Bezug auf diese Frau irre! Denken Sie doch, was das für eine Sache ist! Was für eine Sache! Der reine Roman! Durch ganz Rußland wird Ihr Ruhm gehen! Man wird Sie zum Untersuchungsrichter für besonders wichtige Angelegenheiten ernennen! Verstehen Sie es doch, Sie unvernünftiger Alter!«
Der Untersuchungsrichter machte ein finsteres Gesicht und streckte unschlüssig die Hand nach dem Hut aus.
»Na, daß Dich der Teufel!« sagte er. »Fahren wir.«
Es war schon spät, als der Charabancs des Untersuchungsrichters vor der Thür des Amtshauptmanns hielt.
»Was sind wir doch für Schweine!« sagte Tschubikow, die Glocke ziehend. »Beunruhigen nur die Leute!«
»Schad't nichts! schad't nichts . . . Haben Sie nur keine Angst . . . Wir können ja sagen, daß uns eine Sprungfeder am Wagen gebrochen ist.«
Tschubikow und Djukowski wurden auf der Schwelle von einer großen, stattlichen Frau von etwa dreiundzwanzig Jahren, mit pechschwarzen Augenbrauen und fetten roten Lippen empfangen. Es war Olga Petrowna selbst.
»Ah . . . sehr angenehm!« sagte sie über das ganze Gesicht lächelnd. »Sie kommen gerade zum Abendessen. Mein Jewgraf Kusjmitsch ist nicht zu Hause . . . Ist wohl bei dem Popen sitzen geblieben . . . Wir kommen aber auch ohne ihn aus . . . Setzen Sie sich! Sie kommen wohl von einer Dienstreise? . . .«
»Ja . . . Bei uns, wissen Sie, ist eine Feder gesprungen«, begann Tschubikow, in den Salon tretend und sich in einen Lehnstuhl setzend.
»Sie müssen . . . gleich überrumpeln!« flüsterte ihm Djukowski zu. »Überrumpeln Sie sie!«
»Wagenfeder . . . Mm . . . Ja . . . Da fuhren wir denn hier an.«
»Überrumpeln Sie sie, sage ich Ihnen. Wenn Sie viel Sprünge machen, schöpft sie Verdacht.«
»Na, also machen Sie, was Sie wollen, befreien Sie nur mich davon,« flüsterte Tschubikow aufstehend und an das Fenster tretend. »Ich kann es nicht! Sie haben die Suppe eingebrockt, löffeln Sie sie auch aus!«
»Ja, eine Wagenfeder . . .« begann Djukowski, an die Frau Amtshauptmann herantretend und seine lange Nase runzelnd. »Wir sind eigentlich nicht dazu gekommen, um . . . aeh – aeh . . . zu Abend zu essen und auch nicht zu Jewgraf Kusjmitsch. Wir sind gekommen, um Sie, gnädige Frau, zu fragen: wo befindet sich Mark Iwanowitsch, den Sie ermordet haben?«
»Was? Was für ein Mark Iwanowitsch?« stammelte die Frau Amtshauptmann, und ihr Gesicht überzog sich plötzlich mit dunklem Rot. »Ich . . . ich verstehe nicht.«
»Ich frage Sie im Namen des Gesetzes! Wo ist Kljausow? Wir wissen alles!«
»Durch wen?« fragt leise die Frau Amtshauptmann, die Djukowskis Blick nicht länger ertragen konnte.
»Belieben Sie, uns zu sagen, wo er ist!«
»Aber woher wissen Sie es? Wer hat es Ihnen erzählt?«
»Wir wissen alles! Ich verlange es im Namen des Gesetzes!«
Der Untersuchungsrichter, durch die Verlegenheit der Frau Amtshauptmann ermuntert, trat an sie heran und sagte:
»Zeigen Sie ihn uns, und wir werden gehen. Sonst aber . . .«
»Wozu brauchen Sie ihn denn?«
»Wozu diese Fragen, meine Gnädige? Wir bitten Sie, ihn uns zu zeigen! Sie zittern, sind verwirrt . . . Ja, er ist ermordet und, wenn Sie es wollen, von Ihnen ermordet! Ihre Genossen haben Sie verraten!«
Die Frau Amtshauptmann erbleichte.
»Gehen wir«, sagte sie leise, die Hände ringend. »Er ist bei mir im Dampfbad versteckt. Aber, um Gottes Willen, sagen Sie es nicht meinem Mann! Ich flehe Sie an! Er würde es nicht überstehen!«
Die Frau Amtshauptmann nahm von der Wand einen großen Schlüssel und führte ihre Gäste durch die Küche und den Flur auf den Hof. Auf dem Hof war es dunkel. Ein feiner Regen sprühte. Die Frau Amtshauptmann ging voraus. Tschubikow und Djukowski schritten hinter ihr durch das hohe Gras einher und atmeten den Geruch wilden Hanfs und des Spülwassers ein, das unter ihren Füßen aufspritzte . . . Der Hof war sehr groß. Bald hörte das Spülwasser auf und die Füße fühlten aufgeackerte Erde. In der Dunkelheit zeigten sich die Silhouetten von Bäumen und zwischen den Bäumen hindurch ein kleines Häuschen mit schiefem Schornstein.
»Das ist das Badehaus«, sagte die Frau Amtshauptmann. »Aber ich flehe Sie an, sagen Sie niemand was davon!«
Als Tschubikow und Djukowski an das Badehaus herangetreten waren, sahen sie an der Thür ein riesiges Vorhängeschloß.
»Nehmen Sie das Lichtende und Zündhölzchen heraus!« flüsterte der Untersuchungsrichter seinem Gehilfen zu.
Die Frau Amtshauptmann öffnete das Badehaus und ließ ihre Gäste ein.
Djukowski zog ein Zündholz auf und erleuchtete den Vorraum. Mitten in dem Raum stand ein Tisch. Auf dem Tisch, neben einem kleinen, dickbäuchigen Ssamowar stand eine Suppenterrine mit kalt gewordener Kohlsuppe und eine Schüssel mit den Resten einer Sauce.
»Weiter!«
Man trat in das nächste Zimmer, in das Dampfbad ein. Dort stand ebenfalls ein Tisch. Auf dem Tisch befanden sich eine große Schüssel mit einem Schinken, eine Flasche Schnaps, Teller, Messer, Gabeln.
»Aber wo ist denn . . . er? Wo ist der Ermordete?« fragte der Untersuchungsrichter.
»Er ist auf der oberen Schwitzpritsche!« flüsterte die Frau Amtshauptmann, immer noch bleich und zitternd.
Djukowski nahm das Lichtende und kletterte zu der oberen Pritsche hinauf. Dort erblickte er einen langen menschlichen Körper, der regungslos auf einem großen Daunenpfühl lag. Der Körper schnarchte leise . . .
»Man hält uns zum besten, hol's der Teufel!« schrie Djukowski. »Das ist ja garnicht er! Hier liegt irgend ein lebendiger Laban. – He, wer sind Sie, daß Sie der Teufel hole?«
Der Körper zog pfeifend die Luft in sich herein und begann sich zu regen.
Djukowski