Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow
kriecht da herum?« fragte ein heiserer, schwerer Baß. »Was willst Du?!«
Djukowski hielt das Lichtende an das Gesicht des Unbekannten und schrie auf. An der dunkelroten Nase, an dem zerwühlten ungekämmten Haar, an dem pechschwarzen Schnurrbart, von dem die eine Seite schneidig aufgedreht war und frech zur Decke emporstarrte, erkannte er den Kornett Kljausow.
»Sie? Mark . . . Iwanowitsch?! Unmöglich!«
Der Untersuchungsrichter sah zur Pritsche auf und erstarrte . . .
»Ja, das bin ich . . . Und das sind Sie, Djukowski! Was für einen Satan suchen Sie denn hier? Und was ist denn da unten noch für eine Fratze? Nanu, der Untersuchungsrichter! Wo kommt Ihr denn her?«
Kljausow stieg schnell herab und umarmte Tschubikow.
Olga Petrowna glitt zur Thür hinaus.
»Wo kommt Ihr denn her? Trinken wir eins drauf, hol's der Teufel! Tra-ta-ti-to-tom . . . Trinken wir eins! Wer hat Euch übrigens hergebracht? Woher wußtet Ihr, daß ich hier sei? Übrigens – egal! Trinken wir!«
Kljausow zündete die Lampe an und goß drei Gläser Schnaps ein.
»Das heißt, ich verstehe Dich nicht«, sagte der Untersuchungsrichter mit einer ratlosen Gebärde. »Bist Du es, oder bist Du es nicht?«
»Ist gut, ist gut . . . Willst mir wohl eine Moralpredigt halten? Gieb Dir nicht die Mühe! Jüngling, Djukowski, trink Dein Glas! Gaudeamus igitur
. . . Was gafft Ihr? Trinkt!«
»Immerhin kann ich es nicht begreifen«, sagte der Untersuchungsrichter, sein Glas mechanisch austrinkend. »Warum bist Du hier?«
»Warum soll ich denn nicht hier sein, wenn es hier gut ist?«
Kljausow trank aus und nahm ein Stück Schinken als Sakuska.
»Ich lebe bei der Frau Amtshauptmann, wie Du siehst. In der Wildnis und Einöde, wie so ein Geist. Trink! Sie that mir leid, mein Bester! Kriegte Mitleid mit ihr und lebe jetzt hier in dem verlassenen Badehause wie so ein Einsiedler . . . Ernähre mich. In der nächsten Woche will ich mich nach Hause packen . . . Es wird schon langweilig . . .«
»Unbegreiflich!« sagte Djukowski.
»Was ist denn dabei Unbegreifliches?«
»Unbegreiflich! Um Gottes Willen, wie ist denn Ihr Stiefel in den Garten gekommen?«
»Was für ein Stiefel?«
»Wir fanden den einen Stiefel im Schlafzimmer und den andern im Garten.«
»Wozu braucht Ihr denn das zu wissen? Geht Euch nichts an . . . Aber trinkt doch, daß Euch der Teufel hole! Habt Ihr mich aufgeweckt, dann trinkt wenigstens! Eine nette Geschichte, mein Bester, war dies mit diesem Stiefel. Ich wollte nicht zu Olja gehen . . . War nicht aufgelegt, weißt Du, etwas angeduselt . . . Sie kommt zu mir unters Fenster und beginnt zu schimpfen . . . Weißt Du, wie die Weiber . . . überhaupt . . . Ich, knall wie ich war, nehme einen Stiefel und schmeiß ihn nach ihr . . . Haha . . . Schimpf nicht, mein Schätzchen! Sie kletterte zum Fenster herein, zündete die Lampe an und begann mich vollen Kerl zu kneten. Prügelte mich durch, schleppte mich hierher und schloß mich ein. Jetzt ernähre ich mich hier . . . Liebe, Schnaps und Sakuska! Aber wohin wollt Ihr? Tschubikow, wohin?«
Der Untersuchungsrichter spuckte aus und ging zum Badehaus hinaus. Ihm folgte mit gesenktem Haupte Djukowski. Beide bestiegen sie schweigend den Charabancs und fuhren ab. Noch niemals war ihnen der Weg so weit und langweilig erschienen, wie diesmal. Beide schwiegen. Tschubikow zitterte den ganzen Weg vor Wut, Djukowski verbarg sein Gesicht im Kragen, als fürchtete er, daß die Dunkelheit und der Sprühregen auf seinem Gesicht die Beschämung lesen könnten.
Zu Hause angelangt, fand der Untersuchungsrichter bei sich den Doktor Tjutjujew vor. Der Arzt saß am Tisch und blätterte seufzend in der ›Niwa‹.
»Was nicht wieder alles los ist!« sagte er, den Untersuchungsrichter mit einem trüben Lächeln begrüßend. »Wieder Österreich! . . . Und auch Gladstone gewissermaßen . . .«
Tschubikow warf seinen Hut unter den Tisch und erbebte.
»Teufelsskelett! Laß mich in Ruh! Tausendmal habe ich Dir gesagt, daß Du mir nicht mit Deiner Politik kommen sollst! Hab' was anderes im Kopf! – Und Dir«, wandte sich Tschubikow an Djukowski, die Fäuste ballend, »Dir . . . verzeihe ich das nie im Leben!«
»Aber . . . das schwedische Zündholz! Wie konnt ich denn wissen!«
»Daß Du an Deinem Zündholz erstickst! Gehe und ärgere mich nicht, sonst mache ich aus Dir weiß der Teufel was! Daß ich Deinen Fuß hier nicht sehe.«
Djukowski fuhr zusammen, nahm seinen Hut und ging.
»Ich geh und sauf mich voll!« beschloß er, als er zum Thor hinaus war und schlenderte betrübt dem Wirtshaus zu.
Als die Frau Amtshauptmann aus dem Badehause zurückkehrte, fand sie im Salon ihren Mann.
»Wozu war der Untersuchungsrichter hier?« fragte der Mann.
»Er war gekommen, um zu sagen, daß Kljausow gefunden sei. Er war garnicht ermordet. Im Gegenteil, er lebt und ist gesund . . . Stelle Dir vor, man hat ihn bei einer fremden Frau gefunden! . . .«
»Ach, Mark Iwanitsch, Mark Iwanitsch!« seufzte der Amtshauptmann, die Augen zur Decke erhebend. »Habe ich Dir nicht gesagt, daß Liederlichkeit zu nichts Gutem führt! Nein, wolltest auf mich nicht hören!«
Der Löwen- und Sonnenorden
In einer der diesseits des Urals gelegenen Städte hatte sich das Gerücht verbreitet, daß ein persischer Würdenträger namens Rachat-Chelam angekommen sei und im Hôtel »Japan« Wohnung genommen hätte. Dieses Gerücht machte auf die Einwohner keinen besonderen Eindruck, man begnügte sich damit, zu wissen, daß ein Perser da sei. Nur das Stadthaupt, Stepan Iwanowitsch Kuzin, wurde nachdenklich, als er vom Syndikus des Stadtamts von der Ankunft des Orientalen erfuhr, und fragte:
»Wohin reist er denn?«
»Ich glaube nach Paris oder London.«
»Hm! . . . Also ein hohes Tier?«
»Weiß der Kuckuck.«
Als das Stadthaupt aus dem Bureau nach Hause gekommen war und zu Mittag gegessen hatte, verfiel er wieder in Gedanken, und diesmal grübelte und dachte er bis zum Abend. Die Ankunft des persischen Würdenträgers beschäftigte ihn stark. Es schien ihm, daß das Schicksal selbst ihm diesen Rachat-Chelam geschickt hätte, und daß jetzt der richtige Augenblick gekommen sei, seinen sehnsüchtigen, leidenschaftlichen Wunsch zu verwirklichen. Kuzin besaß nämlich zwei Medaillen, den Stanislausorden 3. Klasse, das Abzeichen des Roten Kreuzes und das Abzeichen der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Außerdem hatte er sich noch eine Berlocke anfertigen lassen – eine goldne Flinte gekreuzt mit einer Guitarre –, die er an der Uhrkette zum Knopfloch der Uniform heraushängen ließ; von weitem sah die Berlocke etwas außergewöhnlich aus und konnte recht gut für ein Ehrenzeichen gehalten werden.
Nun ist es ja bekannt, je mehr einer Orden hat, umsomehr möchte er noch welche haben, und so wünschte sich denn das Stadthaupt schon lange, den persischen Löwen- und Sonnenorden zu erhalten. Sein Wunsch war brennend und unbezwingbar. Er wußte, daß man, um diesen Orden zu bekommen, weder zu kämpfen noch eine Wohlthätigkeitsanstalt zu dotieren, noch sich im Gemeindedienste hervorzuthun brauchte, sondern daß dazu nur eine günstige Gelegenheit nötig war. Und jetzt schien es ihm, daß diese Gelegenheit gekommen sei.
Am andern Tage gegen Mittag legte er sich alle seine Ehrenzeichen an, hing sich die Amtskette um den Hals und fuhr nach dem Hôtel »Japan«. Das Schicksal begünstigte ihn. Als er das Zimmer des persischen Würdenträgers betrat, war dieser allein und nicht beschäftigt. Rachat-Chelam, ein riesiger Asiate mit einer langen Bekassinennase und hervorstehenden