Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow
nicht hören . . . Liederlichkeit hat noch nie zum Guten geführt!«
»Ohne Jefrem hätten wir es überhaupt nicht gemerkt,« sagte Psekow. »Er war der erste, der darauf verfiel, daß hier etwas nicht richtig sei. Kommt heute Morgen zu mir und sagt: ›Wie kommt es denn, daß unser gnädiger Herr so lange nicht aufwacht? Die ganze Woche schon ist er aus dem Schlafzimmer nicht hinausgekommen!‹ Wie er mir das sagte, traf's mich gleich wie ein Donnerkeil . . . Gleich ging mir ein Gedanke durch den Kopf . . . Er hat sich seit dem vorigen Sonnabend nicht gezeigt, und heute haben wir Sonntag! Sieben Tage, das ist kein Spaß!«
»Ja, der Arme . . .« seufzte nochmals der Amtshauptmann. »So ein kluger, gebildeter, gutmütiger Kerl. Unter Brüdern, kann man wohl sagen, der erste Mann. Aber liederlich, Gott habe ihn selig! – Stepan«, wandte sich der Amtshauptmann an einen der requirierten Leute, »fahr sofort zu mir hin und schicke Andrjuschka zum Kreishauptmann, daß er es ihm melde! Sage: Mark Iwanitsch ist ermordet! Und siehe auch nach dem Wachtmeister, wo er denn steckt. Er soll gleich herfahren! Und selbst fahre dann möglichst schnell zum Untersuchungsrichter Nikolai Jermolaitsch und sage ihm, daß er herkommen soll! Warte, ich will ihm einen Brief schreiben.«
Der Amtshauptmann stellte um das Haus Wächter auf, schrieb an den Untersuchungsrichter einen Brief und ging zu dem Gutsinspektor Thee trinken. Zehn Minuten später saß er auf einem Taburett, biß vorsichtig kleine Stückchen Zucker ab und schluckte den siedendheißen Thee . . .
»Ja . . .« sprach er zu Psekow. »Ja . . . Ein Edelmann, ein reicher Mensch . . . ein Liebling der Götter, kann man wohl mit Puschkin sagen, – und was ist aus ihm geworden? Nichts! Trank, führte ein lasterhaftes Leben und . . . und ist nun ermordet.«
Nach zwei Stunden kam der Untersuchungsrichter angefahren. Nikolai Jermolaitsch Tschubikow, der Untersuchungsrichter, war ein hoher, stämmiger alter Herr von etwa sechzig Jahren, der seine Thätigkeit schon seit einem Vierteljahrhundert ausübte und im ganzen Kreise als ein ehrlicher, kluger, energischer und seinem Dienst ergebener Beamter bekannt war. Mit ihm war auch sein ständiger Begleiter gekommen, sein Gehilfe und Schriftführer Djukowski, ein schlanker junger Mann von sechsundzwanzig Jahren.
»Ist es möglich, meine Herren?« begann Tschubikow, in Psekows Zimmer tretend und den Anwesenden flüchtig die Hände drückend. »Ist es möglich? Mark Iwanowitsch? Ermordet? Nein, das kann nicht sein! Un–mög–lich!«
»Ja, was wollen Sie . . .« seufzte der Amtshauptmann.
»Herrgott! Ich habe ihn doch am vorigen Freitag auf dem Jahrmarkt in Tarabanjkow gesehen! Ich trank mit ihm dort, mit Verlaub zu sagen, einen Schnaps!«
»Ja, was soll man machen . . .« seufzte nochmals der Amtshauptmann.
Mau seufzte und klagte, trank ein Glas Thee und begab sich nach dem Hause des Ermordeten.
»Aus dem Wege!« schrie der Polizeiwachtmeister das Volk an.
Im Hause angelangt, nahm der Untersuchungsrichter vor allem eine Besichtigung der Thür zu dem Schlafzimmer vor. Es ergab sich, daß die Thür aus Fichtenholz, gelb gestrichen und unbeschädigt war. Irgend welche besondere Merkmale, die irgend einen Hinweis geben könnten, wurden nicht gefunden. Man ging an das Erbrechen der Thür.
»Ich bitte, meine Herren, daß sich die Überflüssigen entfernen!« sagte der Untersuchungsrichter, als die Thür nach langem Klopfen und Krachen dem Beil und dem Stemmeisen wich. »Ich bitte dieses im Interesse der Untersuchung . . . Wachtmeister, niemand einlassen!«
Tschubikow, sein Gehilfe und der Amtshauptmann öffneten die Thür und betraten unschlüssig einer nach dem andern das Schlafzimmer. Ihren Augen zeigte sich folgendes Bild.
An dem einzigen Fenster stand ein großes hölzernes Bett mit einem riesigen Federpfühl. Auf dem zerdrückten Pfühl lag eine verknüllte Decke. Das ebenfalls stark zerknüllte Kopfkissen lag auf der Diele. Auf dem Betttischchen befanden sich eine silberne Uhr, ein silbernes Zwanzigkopekenstück und Schwefelhölzchen. Außer dem Bett, dem Tischchen und einem einzigen Stuhl waren im Zimmer weiter keine Möbel.
Als der Amtshauptmann einen Blick unter das Bett warf, sah er dort etwa zwei Dutzend leerer Flaschen, einen Strohhut und eine große Pulle Schnaps. Unter dem Tischchen fand man einen mit Staub bedeckten Stiefel.
Nachdem der Untersuchungsrichter nochmals einen forschenden Blick über des Zimmer geworfen hatte, wurde er dunkelrot und zog die Augenbrauen zusammen.
»Die Kanaillen!« murmelte er, die Fäuste ballend.
»Und wo ist denn Mark Iwanitsch?« fragte leise Djukowski.
»Ich verbitte mir, daß Sie sich einmischen!« sagte ihm Tschubikow scharf. »Untersuchen Sie gefälligst die Diele! – Das ist der zweite Fall in meiner Praxis, Jewgraf Kusjmitsch,« wandte er sich mit gesenkter Stimme an den Amtsrichter. »Im Jahre 1870 hatte ich einen ebensolchen Fall. Sie entsinnen sich übrigens wohl . . . Die Ermordung des Kaufmanns Portretow. Dort war es auch so. Die Kanaillen hatten ihn ermordet und die Leiche zum Fenster hinausgeschleppt . . .«
Tschubikow trat ans Fenster, zog den Vorhang vorweg und stieß vorsichtig gegen das Fenster. Das Fenster öffnete sich.
»Es öffnet sich, also war es nicht geschlossen . . . Hm . . . Auf dem Fensterbrett sind Spuren. Können Sie sehen? Hier sind die Spuren vom Knie . . . Hier ist also jemand eingestiegen . . . Man wird das Fenster ordentlich untersuchen müssen.«
»Auf der Diele ist nichts besonderes zu entdecken,« sagte Djukowski. »Weder Flecke noch Schrammen. Nur ein abgebranntes schwedisches Zündhölzchen habe ich gefunden. Hier ist es! Soviel ich weiß, hat Mark Iwanitsch nicht geraucht, sonst aber pflegte er immer Schwefelhölzer zu gebrauchen und niemals schwedische Zündhölzchen. Dieses Zündholz wird unter Umständen als Beweis dienen können . . .«
»Ach . . . schweigen Sie doch, bitte!« sagte der Untersuchungsrichter mit einer Handbewegung. »Kommt da mit seinem Zündholz! Ich leide keine Hitzköpfe! Anstatt Zündhölzchen zu suchen, untersuchen Sie lieber das Bett!«
Nach der Besichtigung des Bettes meldete Djukowski:
»Weder Blut, noch sonst irgend welche Flecke . . . Auch keine neuen Risse. An dem Kissen sieht man Spuren von Zähnen. Die Decke ist mit einer Flüssigkeit begossen, die den Geruch von Bier und den nämlichen Geschmack hat . . . Das Gesamtaussehen des Bettes läßt die Annahme zu, daß sich ein Kampf auf demselben abgespielt hat.«
»Ein Kampf, das weiß ich auch ohne Sie! Ich frage Sie nicht nach dem Kampfe. Anstatt nach dem Kampf zu suchen, sollten Sie lieber . . .«
»Der eine Stiefel ist hier, während der andere fehlt.«
»Nun, und was ist denn dabei?«
»Das, daß man ihn erwürgt hat, während er sich die Stiefel auszog. Er hatte nicht Zeit, den anderen Stiefel auszuziehen, als . . .«
»Na, jetzt legt er los . . . Und woher wissen Sie denn, daß er erwürgt worden ist?«
»Die Spuren der Zähne auf dem Kissen. Das Kissen selbst ist stark verknüllt und liegt 2½ Arschin weit vom Bett . . .«
»Geschwätz! Gehen wir lieber in den Garten. Anstatt hier zu stöbern, sollten Sie lieber im Garten nachsehen . . . Hier werde ich auch ohne Sie fertig.«
Im Garten wandte sich die Untersuchung vorerst dem Grase zu. Das Gras unter dem Fenster war zerdrückt. Auch ein Distelstrauch unterm Fenster, ganz nah an der Wand, war zerdrückt. Djukowski gelang es, an demselben einige gebrochene Zweige und ein Stückchen Watte zu entdecken. Auf den oberen Köpfen fand man einige dünne Härchen dunkelblauer Wolle.
»Von welcher Farbe war sein letzter Anzug?« fragte Djukowski Psekow.
»Von gelber Leinwand.«
»Sehr gut. Also hatten sie einen blauen Anzug.«
Einige Distelköpfe wurden abgeschnitten und sorgfältig in Papier gehüllt.
In diesem Augenblick kamen der Kreishauptmann Arzibaschew-Swistakowski und der Arzt Tjutjujew an. Der Kreishauptmann begrüßte