Die bekanntesten Werke von Tschechow. Anton Pawlowitsch Tschechow

Die bekanntesten Werke von Tschechow - Anton Pawlowitsch Tschechow


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begrüßte sich mit niemand und fragte nach nichts, sondern setzte sich auf einen Baumstumpf und sprach mit einem Seufzer:

      »Und die Serben sind wieder in Aufruhr! Was sie wollen, verstehe ich nicht! Österreich, Österreich, das werden wohl deine Stückchen sein!«

      Die Besichtigung des Fensters von außen ergab absolut nichts; die Besichtigung des Grases und der nächsten Gebüsche dagegen gab der Untersuchung viele wertvolle Winke. Djukowski gelang es zum Beispiel, im Grase einen langen dunklen Streifen zu entdecken, der aus Flecken bestand und sich vom Fenster einige Faden weit in den Garten zog. Der Streifen endete unter einem Fliederbusch mit einem großen dunkelbraunen Fleck. Unter dem nämlichen Busch wurde ein Stiefel gefunden, der mit dem im Schlafzimmer befindlichen ein Paar ergab.

      »Das ist altes Blut!« sagte Djukowski, die Flecken betrachtend.

      Bei dem Worte ›Blut‹ erhob sich der Doktor und warf faul und oberflächlich einen Blick auf die Flecken.

      »Ja, Blut,« murmelte er.

      »Also nicht erwürgt, wenn das hier Blut ist!« sagte Tschubikow mit einem ironischen Blick auf Djukowski.

      »Im Schlafzimmer wurde er erwürgt, und hier hat man ihm aus Furcht, daß er wieder auflebe, mit irgend etwas Scharfem einen Schlag versetzt. Der Fleck unter dem Strauch zeigt, daß er hier verhältnismäßig lange gelegen hat, während sie nach Mitteln suchten, ihn aus dem Garten hinauszuschleppen.«

      »Nun, und der Stiefel?«

      »Dieser Stiefel bestätigt nur meine Ansicht, daß sie ihn ermordet haben, während er sich vor dem Schlafengehen die Stiefel auszog. Den einen Stiefel hatte er ausgezogen, und den andern, diesen hier, hatte er noch zur Hälfte an. Der halbausgezogene Stiefel fiel während des Schüttelns und des Falls von selbst vom Fuß ab . . .«

      »Kolossal gescheit!« lächelte Tschubikow. »Nur immer drauf los! Wann werden Sie es sich eigentlich abgewöhnen, sich mit ihren Raisonnements aufzudrängen? Anstatt zu raisonnieren, nehmen Sie lieber etwas von dem befleckten Gras!«

      Nach der Besichtigung der Gegend und Aufnahme eines Planes derselben begab sich die Gesellschaft zu dem Gutsinspektor, um das Protokoll aufzusetzen und ein Frühstück einzunehmen. Während des Frühstücks wurde ein lebhaftes Gespräch geführt.

      »Die Uhr, das Geld u. s. w. . . . alles ist da,« begann Tschubikow. »Es ist so sicher, wie zweimal zwei vier ist, daß hier kein Raubmord vorliegt.«

      »Und daß der Mord von einer intelligenten Person vollführt worden ist,« schob Djukowski ein.

      »Woraus schließen Sie das?«

      »Ich habe zu meiner Unterstützung ein schwedisches Zündholz, wie solche unter den Bauern der hiesigen Gegend völlig unbekannt sind. Derartige Zündhölzchen verwenden hier nur die Gutsbesitzer, und auch die nicht mal alle. Ausgeführt wurde der Mord übrigens nicht von einer, sondern von mindestens drei Personen: zwei hielten ihn, und der dritte würgte. Kljausow war stark, und die Mörder mußten das wissen.«

      »Was konnte ihm seine Kraft nützen, wenn er, sagen wir, schlief?«

      »Die Mörder überfielen ihn beim Stiefelausziehen. Wenn er sich die Stiefel auszog, konnte er also nicht schlafen.«

      »Na, reden Sie keinen Unsinn! Essen Sie lieber!«

      »Und nach meinem Verstande, Ew. Wohlgeboren,« sagte der Gärtner Jefrem, den Samowar auf den Tisch setzend, »hat diese Schweinerei niemand anderes als Nikolaschka gemacht.«

      »Sehr möglich,« sagte Psekow.

      »Wer ist denn dieser Nikolaschka?«

      »Der Kammerdiener des gnädigen Herrn, Ew. Wohlgeboren,« antwortete Jefrem. »Wer anders, als er? Ein Räuber ist er, Ew. Wohlgeboren, ein Säufer und Liederjahn, daß Gott bewahre! Er brachte dem gnädigen Herrn immer den Schnaps hin, er legte ihn zu Bett . . . Wer soll es denn sein, wenn nicht er? Und einmal, wenn ich es wagen darf, Ew. Wohlgeboren zu melden, hat er im Kruge renommiert, daß er den gnädigen Herrn totschlagen wird. Wegen Akuljka war das, wegen eines Frauenzimmers . . . Er hatte so ein Soldatenweib . . . Dem gnädigen Herrn hatte sie gefallen, und er hatte sie zu seiner Person emporgehoben; nun und dieser . . . natürlich, war wütend . . . Eben liegt er betrunken in der Küche . . . Weint und lügt, daß der gnädige Herr ihm leid thäte . . .«

      »Das stimmt, wegen der Akuljka kann man schon wütend werden,« sagte Psekow. »Sie ist zwar ein Soldatenweib, eine Bäuerin, aber . . . Nicht umsonst hatte Mark Iwanitsch ihr den Namen Nana gegeben. Sie hat so etwas, was an die Nana erinnert . . . so etwas Anziehendes . . .«

      »Ich habe sie gesehen . . . Ich weiß . . .« sagte der Untersuchungsrichter, sich in sein rotes Taschentuch schnaubend.

      Djukowski wurde rot und senkte den Blick.

      Der Amtshauptmann begann mit dem Finger auf der Untertasse zu trommeln.

      Der Kreishauptmann hustete und suchte etwas in seinem Portefeuille.

      Nur auf den Doktor allein schien die Erwähnung Akuljkas und Nanas durchaus keinen Eindruck gemacht zu haben.

      Der Untersuchungsrichter befahl, Nikolaschka zu holen.

      Nikolaschka, ein junger, langer Bursche mit pockennarbiger Nase und eingefallener Brust, in einem abgelegten Rock seines Herrn, trat in das Zimmer und verbeugte sich vor dem Untersuchungsrichter bis zur Erde. Sein Gesicht war verschlafen und verweint. Er selbst war betrunken und stand kaum auf den Beinen.

      »Wo ist der gnädige Herr?« fragte ihn Tschubikow.

      »Ermordet, Ew. Wohlgeboren.«

      Nachdem er dieses gesagt, begann er mit den Augen zu zwinkern und fing an zu weinen.

      »Daß er ermordet, wissen wir. Wo ist er aber jetzt? Wo ist seine Leiche?«

      »Man sagt, daß er zum Fenster herausgeschleppt und im Garten vergraben worden sei.«

      »Hm . . . Die Resultate der Untersuchung sind schon auf der Küche bekannt . . . Schlimm. – Wo warst Du denn, mein Lieber, in der Nacht, als der gnädige Herr ermordet wurde? Am Sonnabend also?«

      Nikolaschka hob den Kopf, streckte den Hals aus und begann zu denken.

      »Das kann ich nicht sagen, Ew. Wohlgeboren,« antwortete er. »Ich war betrunken und erinnere mich dessen nicht mehr.«

      »Alibi!« flüsterte Djukowski lächelnd und sich die Hände reibend.

      »So . . . Nun, und woher kommt denn das Blut unter dem Fenster des gnädigen Herrn?«

      Nikolaschka hob wieder den Kopf und verfiel wieder in Gedanken.

      »Denke schneller!« sagte der Kreishauptmann.

      »Gleich. Das Blut ist von einem Strunt, Ew. Wohlgeboren! Ich schlachtete ein Huhn. Ich schlachtete es ganz einfach, wie gewöhnlich, das Huhn aber riß sich los und lief davon . . . Daher kommt auch das Blut . . .«

      Jefrem bezeugte, daß Nikolaschka in der That jeden Abend Hühner schlachtet und zwar an verschiedenen Stellen. Daß ein halbgeschlachtetes Huhn im Garten umhergelaufen sei, habe niemand gesehen, die Möglichkeit könne aber allerdings nicht bestritten werden.

      »Alibi!« lächelte Djukowski. »Und was für ein blödsinniges Alibi!«

      »Hast Du mit Akuljka was zu thun gehabt?«

      »Wer ist ohne Sünde . . .«

      »Und der gnädige Herr hat sie Dir abspenstig gemacht?«

      »Nein. Akuljka hat mir der Herr hier, Herr Psekow, Iwan Michajlitsch, abspenstig gemacht, und der gnädige Herr hat sie dann Iwan Michajlitsch abgenommen. So war die Sache . . .«

      Psekow wurde verlegen und begann sich das linke Auge zu reiben.

      Djukowski sog sich mit den Augen an ihm fest, bemerkte seine Verlegenheit und zuckte zusammen. Er sah, daß der Inspektor blaue Hosen anhatte, die er früher übersehen hatte. Die Hosen erinnerten ihn an die blauen


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