Dr. Daniel Staffel 2 – Arztroman. Marie Francoise

Dr. Daniel Staffel 2 – Arztroman - Marie Francoise


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informiert sein.

      Gewissenhaft blätterte Dr. Scheibler die Akte nun zum zweiten Mal durch. Sie enthielt nicht sehr viel, aber immerhin einen Bericht von Dr. Daniel, der besagte, daß bei Patricia Gerhardt aller Wahrscheinlichkeit nach eine Eileiterschwangerschaft vorlag. Auch von beginnenden ziehenden Schmerzen, die sich bereits bis zur Schulter hinaufzogen, war die Rede. Doch mit keinem Wort war erwähnt, daß das befruchtete Ei den Eileiter gesprengt haben könnte. Und das bedeutete, daß Dr. Heller den Eileiter unnötigerweise entfernt hatte. Deshalb hielt er wahrscheinlich auch den Operationsbericht zurück.

      Es drängte Dr. Scheibler, den Chefarzt sofort aufzusuchen, doch dann überlegte er es sich anders. Er würde Dr. Heller noch bis morgen Zeit geben. Falls der OP-Bericht dann immer noch fehlte, würde er Professor Thiersch informieren. Alles weitere ging dann sicher seinen geregelten Weg.

      Und in spätestens einem Monat werde ich Oberarzt sein, dachte Dr. Scheibler zufrieden. Das war schließlich schon immer sein großes Ziel gewesen, und dafür hatte er auch so manche Grobheit von Professor Thiersch eingesteckt.

      *

      Zur selben Zeit saß Dr. Rolf Heller vor dem Operationsbericht, den er über den Eingriff bei Patricia Gerhardt verfaßt hatte. Die Verzweiflung der jungen Frau hatte ihn so sehr angerührt, daß er plötzlich an sich zu zweifeln begonnen hatte. War es denn wirklich unbedingt nötig gewesen, den Eileiter zu entfernen?

      In Gedanken ging er die Operation Schritt für Schritt noch einmal durch. Jeden Handgriff erlebte er wieder aufs Neue. Die extrem starken Blutungen… dann hatte er abgeklemmt, aber es hatte trotzdem weitergeblutet. Nein, es hatte keine andere Möglichkeit für ihn gegeben. Wenn er den Eileiter nicht entfernt hätte, wäre Patricia Gerhardt unweigerlich verblutet.

      Dr. Heller griff nach dem Telefonhörer und wählte eine Nummer.

      »Praxis Dr. Daniel!« meldete sich eine sympathische Frauenstimme.

      »Thiersch-Klinik, Dr. Heller«, erklärte er knapp. »Kann ich Dr. Daniel bitte sprechen?«

      »Einen Augenblick«, bat die Dame am Telefon, dann knackte es in der Leitung, und wenig später meldete sich Dr. Daniel mit seiner tiefen, warmen Stimme.

      »Hier Heller«, gab der Oberarzt sich zu erkennen. »Es geht um Frau Gerhardt.«

      »Ist etwas passiert?« fragte Dr. Daniel erschrocken.

      »Nein… das heißt, ja, eigentlich doch, aber… Herr Kollege, ich… ich bin plötzlich unsicher geworden«, gestand Dr. Heller. »Frau Gerhardt war bewußtlos, als sie die Klinik erreichte.«

      »Das weiß ich«, entgegnete Dr. Daniel. »Sie haben mich unmittelbar nach dem Eingriff benachrichtigt. Erinnern Sie sich nicht mehr daran?«

      »Doch, natürlich. Es ist… ich bin im Augenblick ein bißchen durcheinander. Ich fürchte… ich habe einen Fehler gemacht.«

      Einen Moment herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung, dann fragte Dr. Daniel: »Haben Sie mit Professor Thiersch schon darüber gesprochen?«

      Dr. Heller schüttelte den Kopf, als könnte sein Gesprächspartner das sehen. »Nein, das… wage ich einfach nicht. Sie kennen den Professor. Außerdem war er bei der Operation dabei, und er hat gesagt, ich hätte gute Arbeit geleistet.« Er atmete tief durch. »Herr Kollege, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Als Arzt weiß ich, daß der Eileiter von Frau Gerhardt nicht zu retten war, aber als Mensch… diese Frau hat solche Probleme, schwanger zu werden, und jetzt…« Er brachte den Satz nicht zu Ende.

      »Sie haben sich nichts vorzuwerfen, Herr Heller«, meinte Dr. Daniel beruhigend. »Das befruchtete Ei hatte den Eileiter doch bereits gesprengt. Sie mußten ihn entfernen, sonst wäre Frau Gerhardt gestorben. Und was die Schwierigkeiten betrifft, die Sie angesprochen haben… ich bin ziemlich sicher, daß es sich dabei nicht so sehr um ein körperliches Problem handelt. Ich habe Frau Gerhardt schon oft gesagt, daß sie sich zu sehr verkrampft um ein Baby bemüht, und solange sie diese Verbissenheit, mit der sie auf ihren großen Wunsch hinarbeitet, nicht ablegt, wird sie nur sehr schwer schwanger werden. Aber das ist nicht Ihr Problem, Herr Kolege. Sie haben getan, was nötig war.« Er schwieg kurz. »Wissen Sie, diese Eileiterschwangerschaft kam auch für mich sehr überraschend. Aber da ich jetzt weiß, daß bei Frau Gerhardt diese Gefahr besteht, werde ich künftig zusammen mit ihr ganz besonders darauf achten, daß wir eine mögliche Eileiterschwangerschaft frühzeitig bemerken. Dann kann der Eileiter nämlich gerettet werden.«

      Dr. Heller atmete hörbar auf. »Danke, Herr Kollege. Sie haben mir durch Ihre Worte sehr geholfen.« Er schwieg sekundenlang. »Ich weiß auch nicht so recht, was mit mir los war. Wahrscheinlich war es die Verzweiflung dieser Frau. Ich fühlte mich plötzlich schuldig.«

      »Dafür besteht nicht der geringste Grund«, betonte Dr. Daniel noch einmal. »Machen Sie sich um Frau Gerhardt keine weiteren Gedanken. Ich werde sie in den nächsten Tagen besuchen und mit ihr sprechen. Ich bin sicher, daß sie auch mit einem Eileiter schwanger werden kann.«

      *

      Nachdem Dr. Scheibler seinen Dienst angetreten hatte, führte ihn sein erster Weg ins Ärztezimmer und an seinen Schreibtisch. Hier lag noch immer die Akte von Patricia Gerhardt. Dr. Scheibler zögerte einen Moment, dann schlug er sie auf und sah auf den ersten Blick, daß der Operationsbericht noch immer fehlte. Das war für ihn der Beweis, daß Dr. Heller sich seines Fehlers bewußt war und diesen nun vermutlich irgendwie vertuschen wollte.

      Entschlossen griff Dr. Scheibler nach der Akte, ging raschen Schrittes ins Erdgeschoß hinunter und klopfte am Vorzimmer von Professor Thiersch.

      »Ja, bitte!« ertönte die Stimme der Sekretärin Herta Bogner.

      Dr. Scheibler trat ein. »Ist der Chefarzt schon hier?«

      Frau Bogner nickte. »Soll ich Sie anmelden?«

      Dr. Scheibler zögerte sekundenlang und warf dabei einen prüfenden Blick auf die Akte in seiner Hand. Was er zu tun gedachte, war Dr. Heller gegenüber nicht fair. Eigentlich hätte er zuerst mit ihm sprechen müssen. Etwas wie schlechtes Gewissen regte sich in Dr. Scheibler, doch sein Ehrgeiz, der Wunsch, endlich Oberarzt zu werden, war größer.

      »Ja, bitte«, antwortete er schließlich.

      Die Sekretärin drückte einen Knopf der Gegensprechanlage.

      »Was ist?« bellte Professor

      Thiersch am anderen Ende der Leitung hinein.

      »Dr. Scheibler wünscht Sie zu sprechen«, antwortete Herta Bogner.

      Der Professor knurrte etwas Unverständliches, bevor er entgegnete: »Na schön, herein mit ihm.«

      Dr. Scheibler atmete tief durch, dann klopfte er an die Zwischentür, die zum Nebenzimmer führte, und trat ein.

      »Entschuldigen Sie die Störung, Herr Professor«, begann er, »aber es ist wirklich dringend.«

      Professor Thiersch lehnte sich auf seinem Sessel zurück, bot Dr. Scheibler aber keinen Platz an. Dieser Umstand weckte in dem jungen Stationsarzt das unangenehme Gefühl, ein Schuljunge zu sein, der vom Rektor ausgeschimpft werden soll.

      »Also, Scheibler, was ist so dringend?« wollte der Professor wissen.

      Dr. Scheibler räusperte sich verlegen. Er hatte plötzlich ein sehr ungutes Gefühl – aber das hatte er in Professor Thierschs Gegenwart ja immer.

      »Es geht um den Fall Gerhardt«, erklärte er. »Patricia Gerhardt.« Er senkte den Kopf, als müßte er sich auf die Akte in seiner Hand konzentrieren, dabei wollte er nur dem durchdringenden Blick des Chefarztes ausweichen. »Es handelte sich bei ihr um eine Eileiterschwangerschaft, die operativ abgebrochen wurde. Aus den Unterlagen, die Dr. Daniel geschickt hat, geht eindeutig hervor, daß der Eileiter von Frau Gerhardt durch das befruchtete Ei noch nicht gesprengt war, trotzdem hat Dr. Heller den betroffenen Eileiter entfernt und der Frau damit zu fünfzig Porzent die Möglichkeit genommen, wieder schwanger zu werden. Darüber hinaus…«

      »Waren Sie bei der Operation anwesend?«


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