Dr. Daniel Staffel 2 – Arztroman. Marie Francoise
es handelte sich um eine Eileiterschwangerschaft, die hier in der Klinik operativ unterbrochen wurde. Dabei hat Dr. Heller mir einen Eileiter entfernt. Können Sie sich vorstellen, was das für mich bedeutet?«
Dr. Scheibler nickte nur. Natürlich wußte er, wie gering gerade in Patricias Fall die Chance sein würde, jetzt noch schwanger zu werden, und dabei fühlte er grenzenloses Mitleid für die junge Frau.
»Dr. Heller war sichtlich verlegen, als ich ihm erzählte, welche Schwierigkeiten ich hatte, schwanger zu werden«, fuhr Patricia fort. »Ich fühle, daß er einen Fehler gemacht hat – einen Fehler, den er niemals eingestehen wird und mit dem ich von nun an leben muß.«
*
Die Sprechstunde war zu Ende, und obwohl die Abende jetzt im Herbst schon recht kühl waren, entschloß sich Dr. Daniel zu einem kleinen Spaziergang. Wie immer in letzter Zeit führte ihn sein Weg zum Waldsee.
»Grüß dich, Robert«, wurde er ganz unvermittelt angesprochen und drehte sich um. Vor ihm stand Dr. Wolfgang Metzler.
»Na, Wolfgang, hat es dich auch hierher verschlagen?« fragte Dr. Daniel lächelnd.
»Natürlich«, bekräftigte Dr. Metzler. »Ich muß doch sehen, wie die Arbeiten an unserer Klinik vorangehen.«
Dr. Daniel lachte. »Unsere Klinik? Nein, nein, Wolfgang, das ist schon deine Klinik. Das wäre doch übrigens auch ein guter Name: Metzler-Klinik.«
Der junge Arzt schüttelte den Kopf. »Bloß nicht! Von Metzler bis Metzger ist der Weg nicht weit, und ich möchte nicht, daß die Klinik Anlaß zu Albereien gibt. Außerdem weiß ich schon einen besseren Namen: Waldsee-Klinik. Immerhin wird sie ja direkt am Waldsee stehen.«
Dr. Daniel nickte. »Da hast du recht.«
Jetzt hatten sie die Lichtung erreicht und konnten zum Baugelände hinübersehen. Der Rohbau stand bereits, und schon jetzt konnte man ahnen, wie eindrucksvoll die fertige Klinik sein würde.
Langsam gingen die beiden Männer auf den hufeisenförmigen Bau zu.
»Rainer hat ziemlichen Ärger mit seinem Vater, seit bekanntgeworden ist, daß er den Bau finanziert«, erzählte Dr. Metzler.
»Das war zu erwarten«, meinte Dr. Daniel. »Martin Bergmann würde für soziale Zwecke niemals Geld ausgeben und erst recht kein Grundstück opfern, das er gewinnbringender nutzen könnte.« Er schwieg kurz. »Rainers Haltung ringt mir eine Menge Respekt ab. Ich konnte den Jungen immer gut leiden, aber jetzt…« Mit einer weitausholenden Handbewegung wies er auf den Rohbau. »Was er hier auf die Beine gestellt hat, ist schon gewaltig. Vor allen Dingen, weil für ihn keine Veranlassung bestand, den Klinikbau zu finanzieren.«
»Rainer ist nicht wie sein Vater«, meinte Dr. Metzler. »Der alte Bergmann hat damals den Tod meines Vaters einfach so weggesteckt. Es war für ihn nichts weiter als ein Unglück, obwohl seine mangelnden Sicherheitsvorkehrungen diesen Unfall verursacht hatten. Rainer jedoch wird Gerold Brücks Tod nur schwer verwinden, obgleich ihn an dem schrecklichen Unglück keine Schuld trifft. Die CHEMCO ist sicher – soweit man das von einem Chemiewerk überhaupt sagen kann. Was in Brücks Labor passiert ist, war ein tragischer Unfall. Trotzdem finanziert Rainer den Bau der Waldsee-Klinik, weil er sich schuldig fühlt und diese Schuld irgendwie gutmachen möchte.«
Dr. Daniel sah den jungen Arzt neben sich an. »Das klingt, als würdest du oft mit ihm sprechen.«
Dr. Metzler nickte. »Rainer ist mein Freund, und ich versuche, ihm zu helfen, soweit es in meiner Macht steht. Ich will nicht, daß er an Gerold Brücks Tod zugrunde geht.«
»Das wird nicht ganz einfach sein«, befürchtete Dr. Daniel, »vor allem, weil Gerold nicht hätte sterben müssen, wenn der Krankenwagen von der Kreisklinik früher eingetroffen wäre.«
Dr. Metzler winkte ab. »Das haben wir doch alles schon hundertmal durchgekaut. Und das ist ja auch der Grund, weshalb nun endlich diese Klinik hier entsteht.«
Dr. Daniel lächelte. »Damit erfüllt sich endlich dein langgehegter Traum.«
»Deiner aber auch«, entgegnete Dr. Metzler schmunzelnd. »Immerhin wirst du jetzt endlich Belegbetten bekommen.« Daß er mit Dr. Daniel noch ganz andere Pläne vorhatte, verschwieg er vorsichtshalber.
Der Arzt lächelte. »Ja, Wolfgang, darauf freue ich mich schon. Jetzt kann ich meine Patientinnen endlich auch nach Operationen oder Geburten betreuen. Das habe ich mir schon immer gewünscht.« Sinnend betrachtete er den zweistöckigen Bau, vor dem sie jetzt standen. »Wer hätte gedacht, daß Steinhausen einmal eine Klinik bekommen würde?«
»Ich«, antwortete Dr. Metzler mit Überzeugung. Er blickte an der Ziegelfassade empor. »Seit Beginn meines Studiums habe ich darauf hingearbeitet, und nur aus diesem Grund bin ich nach Amerika, Japan und China gegangen. Ich wußte, daß ich irgendwann eine eigene Klinik haben würde, und ich wußte auch, daß diese Klinik in Steinhausen stehen würde.« Er lächelte. »Allerdings hätte ich nicht gedacht, daß sie von einem der Bergmanns finanziert werden würde.«
Dr. Daniel lachte. »Das glaube ich dir gern.« Er legte Dr. Metzler eine Hand auf die Schulter. »Kommst du noch mit auf eine Tasse Kaffee?«
Dr. Metzler warf einen letzten Blick auf die entstehende Klinik, dann nickte er. »Gern, Robert.«
Zusammen gingen sie den Weg zu Dr. Daniels Villa zurück. Sie hatten sie noch nicht ganz erreicht, als die Tür aufging und ein fünfzehnjähriges Mädchen herauslief. Es war Carmen Brück, die Tochter des Chemikers, der vor wenigen Monaten in der CHEMCO ums Leben gekommen war.
»Onkel Robert!« rief sie schon von weitem. »Beeil dich! Tante Irene ist bitterböse, weil du einfach weggegangen bist, ohne etwas zu sagen.«
Das schlechte Gewissen rührte sich in Dr. Daniel. Normalerweise verließ er das Haus nicht, ohne seiner Schwester kurz Bescheid zu sagen.
»Lauf zu ihr und sag ihr, daß ich einen Gast mitbringe, der ihr köstliches Abendessen bestimmt nicht verschmähen wird«, meinte Dr. Daniel. »Dann ist sie bestimmt gleich wieder versöhnt.«
Carmen nickte eifrig und kehrte ins Haus zurück.
»Die Kleine scheint sich bei euch recht wohl zu fühlen«, stellte Dr. Metzler erfreut fest.
»Ja, und ich bin froh, daß ich das Sorgerecht für sie bekommen habe, obwohl wir ja nicht mit ihr verwandt sind«, meinte Dr. Daniel, dann lächelte er. »Es rührt mich immer wieder, wenn sie so selbstverständlich Onkel Robert und Tante Irene sagt.« Er schwieg kurz. »In Irene ist sie sowieso ganz verliebt.«
Dr. Metzler lächelte. »Deine Schwester ist auch eine sehr liebenswerte Person.«
»Ich doch hoffentlich auch«, entgegnete Dr. Daniel mit gespielter Entrüstung.
Da mußte Dr. Metzler lachen. »Natürlich, Robert. Du bist überhaupt der liebenswerteste Mensch, den ich kenne.«
Auch Dr. Daniel lachte. »Übernimm dich nur nicht, Wolfgang. So, und jetzt beeilen wir uns wohl besser, bevor die liebenswerte Irene uns das Abendessen nachwirft.«
*
Patricia Gerhardts Worte gingen Dr. Scheibler nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte das Bedürfnis, ihr in irgendeiner Weise zu helfen, doch das war nicht das einzige, was ihn in diesen Tagen bewegte. Wenn Patricia recht haben sollte und Dr. Heller tatsächlich einen Fehler gemacht hätte – das würde ihm Professor
Thiersch niemals verzeihen. Und vermutlich wäre Dr. Heller dann die längste Zeit Oberarzt gewesen.
Das hieße für mich, daß die Stelle als Oberarzt frei wäre, führte Dr. Scheibler den Gedankengang weiter. Und als dienstältester Stationsarzt hier an der Klinik würde ich die Stelle höchstwahrscheinlich bekommen – auch wenn ich selbst erst sieben-unddreißig bin…
Dr. Scheibler stand auf und holte sich Patricias Krankenakte. Bereits beim ersten Durchblättern fiel ihm auf, daß der Operationsbericht noch nicht enthalten war. Bedeutete das vielleicht, daß Dr. Heller tatsächlich ein Fehler unterlaufen