DAS URTEIL. Daphne Niko

DAS URTEIL - Daphne Niko


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und Krieg gegen Ägypten führen, unterwarf der neue Pharao sie der Knechtschaft. Die Israeliten, seit jeher ein freies und stolzes Volk, waren nun unter dem Joch eines fremden Königs versklavt. Sie wurden gezwungen, Städte zu bauen und schwere Lasten zu tragen und die Arbeit von Ochsen zu verrichten, für nicht mehr als ein Stück Brotrinde.

      Aber Israels Volk war gewaltig und klug und der Not zum Trotz vermehrte es sich weiter. Und je zahlreicher sie wurden, desto mehr hasste der Pharao sie, bis er eines Tages befahl, ihre Söhne in den Nil zu werfen, damit sie den Samen Israels nicht mehr weitergaben.«

      Sie hielt inne und lächelte den kleinen Jungen an, der das Kleid seiner Mutter an seine Lippen gepresst hielt.

      »Aber Hass und Unterdrückung haben keinen Bestand, Elo'ah. Auch wenn viele Jahre vergehen: Die Rechtschaffenen siegen immer. Durch die Gnade Jahwes wurde Israels Stamm vom ägyptischen Joch befreit und von einem Mann namens Mose zurück ins Land Kanaan geführt, wo er wieder in Freiheit lebte und gedieh. Der Pharao vergab den Israeliten niemals, dass sie ihre Freiheit eingefordert hatten, und die Menschen Ägyptens und Israels, die einst Brüder gewesen waren, wurden zu lebenslangen Feinden.«

      Sie richtete ihren Blick auf die Gruppe und hob die Stimme ein wenig. »Gerade so wie Israels Stamm damals überdauerte, so werden es seine Nachfahren wieder tun. Selbst wenn das Blut auf der Erde bis zum Zaumzeug der Pferde hinaufreicht und das Meer mit Leichen übersät ist, werden die Söhne Israels auf den Bergen ihrer Vorfahren stehen und den Sieg über ihre Feinde erklären. Sie mögen schreckliche Armeen besitzen und Bronzestreitwagen und Katapulte, die riesige Steine schleudern, aber wir haben etwas, das ihnen fehlt: die Gunst unseres Herrn, unseres Gottes. Wendet euch nicht von eurem Glauben ab, auch nicht in solch harten Zeiten, und ihr werdet die Herrlichkeit Israels wiederhergestellt gesehen.«

      In dem stillen Raum konnte Basemat das An- und Abschwellen des Atems ihres Volkes hören. Die Flamme der Verwandtschaft wärmte sie. Eine der Älteren hinten im Kreis stimmte ein vertrautes Lied an. Ihre klaren Worte, tragische Erzählungen von Leids im Rhythmus eines Kriegsmarsches, hallten im Felsenschoß wider und schwollen an, als die anderen Frauen einfielen, eine nach der anderen. Bald sangen alle Münder einstimmig. Jede Note war honigsüß von Hoffnung und Errettung.

      Basemat glaubte, etwas zu hören, und entzog sich dem spontanen Chor. Ohne die anderen zu beunruhigen, lauschte sie.

      Ein schlurfendes Geräusch erklang von der Treppe.

      Sie spürte den eisigen Griff der Furcht um ihre Adern, als sich das Geräusch langsam näherte. Die Frauen sangen weiter, ohne die Tatsache zu bemerken, dass jemand in die Kammer eingedrungen war. Mit einem Herzschlag so wild wie ein Tier im Käfig richtete sie ihren Blick auf die dunkle Treppe.

      Ein Mann erschien aus den Schatten, dann noch einer. Und ein Weiterer. Alle trugen sie über ihren nackten Oberkörpern die goldenen Brustharnische ägyptischer Krieger. Sie keuchte. Der Gesang hörte auf und alle Köpfe drehten sich dem Tumult zu.

      Langsam stand Basemat auf und betrachtete die Eindringlinge mit hoch erhobenem Kopf. Ana lief zu ihr.

      Die Männer standen in zwei Reihen stramm. Ihr Speere waren neben ihnen in die Erde gebohrt. Ihr Anführer kam die Treppe herunter und stellte sich vor seine Soldaten. Um die Hüften trug er eine Bahn aus weißem Baumwollstoff, die in der Leiste zusammengerafft war und von einem goldenen Schild bedeckt wurde, der vor seinen Beinen herabhing. Eine dicke Bronzeplatte erstreckte sich von seiner Kehle über seine Schultern und bis zum unteren Ende seines Brustbeins. Ein bronzener Helm, von einer Schlange gekrönt, schützte seinen Kopf. Um seine Handgelenke lagen goldene Bänder. Er richtete seine kholumrandeten Augen zuerst auf Basemat und dann mit gierigem Blick auf Ana.

      »Lasst uns in Ruhe«, sagte Basemat und schützte den Körper ihrer Tochter mit ihrem eigenen. »Wir sind nur Frauen … Kinder. Wir sind keine Bedrohung für euer Volk.«

      Er warf den Kopf zurück und stieß kurze, böse Lacher aus. Er redete in einer Sprache, die sie verstand: Es war die Sprache ihrer Mutter. »Es ist nicht an euch, über euer Los zu wachen. Ihr seid nun das Eigentum des Pharao.« Er wandte sich an seine Männer. »Ergreift sie.«

      Die Männer richteten ihre Speere auf die fassungslosen Israelitinnen. Kinder klammerten sich an ihre Mütter. Ihr hysterisches Weinen erfüllte jeden dunklen Winkel der Kammer.

      Vier Soldaten machten sich daran, ihre Gefangenen mit Jute zu fesseln. Die Frauen schluchzten leise, als die Männer ihnen das Seil um die Taille schlangen, ihnen die Hände auf den Rücken banden und das Seil zur Nächsten führten, bis sie alle, durch ihre Fesseln bewegungsunfähig, an einer einzigen Kette lagen.

      Einem der Männer wurde aufgetragen, die Kinder an einer Stelle zusammenzutreiben. Manche fügten sich still, andere nicht. Eliezer, Sarais Sohn, trat einem der Soldaten gegen das Schienbein und schlüpfte dann aus seinem Griff wie ein lebender Fisch, als der Mann ihn zu packen versuchte. Der Junge, der gerade sein zehntes Lebensjahr erreicht hatte, war dem Ägypter ein lästiger Widersacher, der seinen Angriffen geschickt auswich und ihm spottete.

      »Eliezer, füge dich, mein Sohn«, rief seine Mutter.

      Der Junge hörte nicht auf sie; dieses Mal glitt er zwischen den Beinen des Soldaten hindurch und stürzte auf die Treppe zu. Zwei andere Soldaten packten ihn und warfen ihn ohne Rücksicht auf sein zartes Alter zu Boden. Während er auf dem Rücken lag, rammte Eliezer seinen Fuß zwischen die Beine des Soldaten, der ihm am nächsten stand, und ließ ihn mit einem Aufheulen zu Boden gehen.

      Ein weiterer Ägypter hob seinen Speer. »Dieser Junge ist vom Bösen Geist beseelt. Er muss sterben.« Er rammte seinen Speer in Eliezers Kehle und drückte ihn mit aller Kraft nach unten, während der Junge keuchte und Blut spuckte.

      Basemat fiel auf die Knie und presste beide Hände auf den Mund. Zitternde beobachtete sie das brutale Verbrechen an ihrem Volk. Gefangene zu machen war Kriegsrealität; ein Leben zu nehmen, besonders das eines Kindes, war unverzeihlich. Das Blut des kleinen Eliezer sickerte in den Kalkstein, während er im verzweifelten Versuch, am Leben festzuhalten, wild um sich schlug. Drei Frauen verhinderten, dass seine wehklagende Mutter zu ihm eilte.

      Als die Bewegungen des Jungen schwach wurden und sein Körper bleich, zog der Ägypter den Speer so grob aus seiner Kehle, dass er Eliezers Hals beinahe entzweiriss. »Stellt euch uns entgegen und ihr werdet dasselbe Schicksal erleiden.«

      Ein bitterer Geschmack füllte Basemats Mund. Was stille Fügung in das Los der Israeliten gewesen war, verwandelte sich in heiße Wut. Sie stand auf und redete den Mann in seiner eigenen Sprache an. »Feigling. Ist das dein Verständnis von Eroberung und Sieg im Namen deines Königs? Kinder zu töten und Frauen zu foltern?«

      Er fletschte die Zähne und richtete seinen blutigen Speer auf sie. Speichel tropfte ihm aus seinem herabgezogenen Mundwinkel.

      Der Anführer trat zwischen die beiden. »Senke deinen Speer. Wir brauchen sie lebend.« Einem anderen seiner Männer rief er über die Schulter hinweg zu: »Fessle sie.« Dann wandte er sich Ana zu und ließ seinen Blick über ihren Körper gleiten. »Die hier kommt mit mir.«

      Basemats Augen weiteten sich. »Nein … das könnt Ihr nicht tun. Meine Tochter gehört zu mir.«

      Er ignorierte ihr Flehen und packte Ana am Ellbogen.

      Das Mädchen biss die Zähne zusammen und wehrte sich gegen seinen Griff. Sie sah ihre Mutter mit dem Blick einer verängstigten Gazelle an.

      Heißes Blut brannte in Basemats Gesicht. Sie warf sich auf den Ägypter wie eine tollwütige Katze und grub ihre Fingernägel ins Fleisch seines Unterarms. »Lasst sie los!«

      Mit einer schnellen Armbewegung schüttelte er ihren Griff ab und warf sie zu Boden. Ihre Stärke konnte es nicht mit seiner aufnehmen, aber das hielt sie nicht ab. Sie kämpfte sich auf die Füße und packte Anas anderen Ellbogen mit ihrem festesten Griff. »Ihr könnt meine Tochter nicht mitnehmen.« Sie sagte es wieder und wieder, und mit jedem Mal wurde sie aufgelöster.

      Sie zog gegen den Griff des Ägypters an, selbst dann noch, als sich Anas Gesicht vor Schmerz verzerrte. Basemats Arm zitterte von der Anstrengung. Sie spürte,


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