DAS URTEIL. Daphne Niko

DAS URTEIL - Daphne Niko


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Ihr werdet mir Gefolgschaftstreue schulden.«

      »Bis ein solcher Tag anbricht, werdet Ihr Euch vor dem Haus David verneigen.«

      »Euch bleibt eine Nacht, um Euer eigenes Schicksal zu entscheiden. Ihr könnt nach Ägypten geschickt werden, um dem Pharao zu dienen, oder Ihr könnt in Eurem Heimatland hingerichtet werden. Ich erwarte Eure Entscheidung bei Tagesanbruch.« Er grinste, dann drehte er sich weg, um das Zelt zu verlassen. »Wenn Ihr nicht wählt«, sagte er über seine Schulter hinweg, »wird die Wahl für Euch getroffen werden.«

      Basemat war dankbar, wieder allein zu sein. Mit einem Ausatmen senkte sie ihren Kopf in die Handflächen. Jerobeams Anwesenheit hatte sie mehr aufgewühlt, als sie zugeben mochte. Sie suchte nach dem Ort des Friedens in ihrem Herzen, doch sie fand ihn nicht. So viele Gedanken kreisten in ihrem Verstand umher und weigerten sich, zur Ruhe zu kommen. Nach Osten gewandt kniete sie sich auf den alten Teppich und neigte ihren Oberkörper nach vorn. Mit dem Scheitel auf dem Gewebe ruhend atmete sie den Geruch ein, der mit den Fasern verflochten war: eine Mischung aus trockener Erde, Holzfeuerrauch und Vieh.

      Es war der Geruch ihres Landes – des Gebietes, das den Kindern Israels vom Herrn versprochen worden war und das sie nach vierzig Jahren von Prüfungen und Entbehrungen geplagter Wanderschaft erreicht hatten. Sie hatten den Boden mit ihrem Blut bewässert, die Erde mit den Knochen ihrer Toten gekalkt. Ganz gleich, welche Anstrengungen ihnen bevorstanden, es war es wert, den Duft ihres gelobten Landes einatmen zu können – den süßen Geruch von Errettung und Freiheit.

      Die zwölf Stämme Israels hatten sich ihren Platz hier verdient und doch hatten sie ihn niemals gesichert. Während ihrer gesamten Geschichte wurde ihr Recht angefochten, das Geschenk ihres Gottes von den heidnischen Nationen geneidet, die sie umgaben. Scheschonqs Feldzug war lediglich eine weitere Manifestation der Leiden, denen sich die Hebräer gegenübersahen, seit ihr Same in die Erde gepflanzt worden war.

      Doch von einem der ihren verraten zu werden, war unverzeihlich. Der Gedanke, dass sich ein hochrangiger Israelit beim Pharao niederließ, seinen Wein trank und die Körper seiner Frauen kostete, ließ Basemat schaudern. Sicherlich hatte Jerobeam den Ägyptern im Gegenzug für militärische Unterstützung Staatsgeheimnisse verkauft – wie sonst hätten sie von dem Wassertunnel wissen können? Er brauchte Scheschonq und seine zehntausend Krieger, um die befestigten Städte Jerusalem und Megiddo zu stürmen und Schrecken in den Herzen der Menschen zu entfachen den Menschen seines Volkes, die er lieber zum Gehorsam einschüchterte als sie zu Größe zu inspirieren.

      Ganz gleich, wie er sich gab, Jerobeam war kein Mann Gottes; dessen war sie sich sicher. Warum der Herr ihn auserwählen sollte, um die zehn Stämme Israels zu führen, war ein Rätsel, das sie nicht lösen konnte, doch sie stellte es nicht infrage. Sie hatte vor langer Zeit gelernt, dass der Wille des Allmächtigen geschah, und kein Mensch konnte ihn unrecht nennen.

      Lange blieb sie mit dem Kopf auf der Erde sitzen und bot ihren Körper und ihren Geist dar, ohne für etwas zu beten. Mit geschlossenen Augen ließ sie die Gedanken ungehindert kommen und gehen und hoffte auf eine Vision für die Zukunft. Ihr Verstand trieb dahin wie im Schlummer, doch sie war wach. In diesem erstrebenswerten Zustand von Bewusstsein ohne bewussten Gedanken sah sie Anas Gesicht, rein und strahlend. Sie stand auf einem Steinhaufen in einer feindseligen Wildnis, in einer Säule aus Licht. Obwohl alles um sie herum reglos war, wogten ihr weißer Halug aus Flachs und ihr offenes, rabenschwarzes Haar in einer unsteten Brise. Das Licht fing sich in ihren Augen und ließ sie mit der Intensität von poliertem Achat funkeln.

      Basemat glaubte, das Mädchen sagen zu hören: Ich bin gekommen, um dir zu helfen. Hab keine Angst, mein Herz, mein Herz.

      Erschrocken öffnete sie die Augen. Ein gewaltiger Schauder drang ihr bis in die Knochen und ließ sie zittern.

      Sie spürte eine Hand auf der Schulter und erstarrte.

      Sie war nicht allein.

      Kapitel 3

      »Fürchtet Euch nicht.«

      Basemat kannte diese Stimme. Sie seufzte und setzte sich auf, um ihren Ehemann anzusehen. Ahimaaz' Haut war von Schmutz und Ruß geschwärzt, sein grau werdender Bart zerzaust. Sein blauer Halug war an der Schulter zerrissen worden und der Stoff hing über der Bronzerüstung, die seinen Oberkörper bedeckte.

      Ahimaaz nahm seinen roten Wollumhang ab und legte ihn ihr über die Schultern.

      Sie nahm seine Hand in ihre. »Ihr seid in Sicherheit. Gepriesen sei der Herr.«

      Er blies die Öllampe aus und stürzte das Zelt in Dunkelheit. »Die Zeit ist knapp«, flüsterte er. »Wir müssen im Schutz der Nacht fortgehen. Der Mond ist voll. Er wird uns den Weg leuchten.«

      »Ich werde nicht ohne unsere Tochter gehen. Sie ist in einem der Zelte. Ich weiß nicht, in welchem.«

      »Ich weiß es.«

      In der Dunkelheit konnte sie sein Gesicht nicht sehen, aber sie hörte die Gewissheit in seiner Stimme.

      »Wie … wie könnt Ihr das wissen?«

      »Als wir die Nachricht erhielten, dass die Ägypter in den Tunnel eingedrungen waren, folgte ich ihnen mit drei meiner Männer in dieses Lager. Wir versteckten uns im Hain jenseits des Tals und beobachteten sie. Daher weiß ich, dass ihr hier seid. Ana ist am anderen Ende des Lagers, im Zelt eines Offiziers.«

      »Dann müsst Ihr auch wissen, dass Jerobeam hier ist.«

      »Ja.«

      »Er behauptet, dass er zum König gekrönt werden und über die zehn Stämme des Nordens herrschen wird.«

      »Es ist wahr. Gott schütze uns.« Er hielt inne. »Erwähnte er Jerusalem?«

      »Die Armee des Pharao marschiert noch heute Nacht dorthin. Jerobeam sagte, Scheschonq wolle seinen Besitz zurückholen. Wisst Ihr, was das bedeutet?«

      Ahimaaz blieb lange still. »Ich weiß es nicht.«

      Nach dreizehn Jahren Ehe wusste Basemat, wenn ihr Mann ihr etwas verheimlichte. Wenngleich sie in seinem Blick nicht nach Aufrichtigkeit suchen konnte, kannte sie diesen Tonfall: leicht zögerlich, schwach. »Ich muss die Wahrheit wissen, Ahimaaz.«

      Er atmete aus. Sie spürte den warmen Luftstoß auf ihren Wangen und roch seinen leicht sauren Atem.

      »Ich will Euch sagen, was ich weiß. Man munkelt, dass der Pharao Eure Mutter nach Tanis zurückbringen will. Zurück in ihre Heimat.«

      Basemat richtete sich auf. »Meine Mutter mag Ägypterin sein, aber sie ist niemandes Eigentum.«

      »Sie war die Tochter eines Pharao, ehe sie Euren Vater heiratete. Nun, da Salomon tot ist, könnte ihre Verwandtschaft wollen, dass sie ihren Lebensabend in ihrem Heimatland verbringt. Es ist Sitte, den Adel in Familiengräbern beizusetzen, genau wie bei uns.«

      Jerobeams Worte hallten in ihren Ohren nach. Es gibt so vieles, das Ihr nicht wisst, Prinzessin. Sie war sich sicher, dass Ahimaaz' Theorie, wenn auch vernünftig, unvollständig war. Antworten hatte sie jedoch keine.

      »Jemand muss meine Mutter warnen … und den König.« Sie packte ihn bei den Schultern. »Ihr müsst nach Jerusalem reiten, mein Gatte.«

      »Ich fürchte, es ist zu spät. Jerusalem muss sein eigenes Schicksal gestalten. Meine höchste Verantwortung gilt meiner Familie … Euch und Ana. Wir müssen diesem Lager lebend entfliehen, damit wir gegen den ägyptischen Feind kämpfen können. Das ist jetzt von größter Wichtigkeit.«

      »Wie könnt Ihr das sagen?« Obwohl sie die Worte flüsterte, war ihr Tonfall resolut. »Unsere erste und einzige Verantwortung gilt dem Herrn, unserem Gott. Wenn wir nicht versuchen, Jerusalem zu retten, wird alles zerfallen, wofür mein Großvater kämpfte und was mein Vater im Namen des Herrn erbaute, und gleichzeitig auch der Glaube einer Nation. Ich würde lieber sterben, als das zu erleben.«

      »Der Weg nach Jerusalem ist lang und tückisch. Selbst wenn wir


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