Versuch über die physische Erziehung der Kinder. Ferdinand Wurzer

Versuch über die physische Erziehung der Kinder - Ferdinand Wurzer


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gut dazu verbunden, als der andere) hübsch darauf gedacht hätten, worauf sie umgiengen, als sie mich zeugten: hätten sie gehörig in Erwägung gezogen, was für ein wichtiges Geschäft sie verrichteten — ich bin innig überzeugt: ich würde eine ganz andre Figur in der Welt gemacht haben.“ Und wirklich es ist keine phantastische Vermuthung, daß in dem Augenblicke unsrer anfangenden Existenz schon mancherlei Umstände auf uns — auf immer auffallend grossen Einfluß haben. Müller hat wahrlich ganz Recht, daß er sagt, so oft ich ein mürrisches, träges Temperament sehe, so fühle ich mit Frank die Versuchung zu denken, daß die Mutter desselben zur Unzeit genießt, und der Vater noch halb im Schlafe ihr gedankt habe. Kinder, die mehr aus Pflicht, als natürlicher Aufwallung gezeugt werden, haben immer das Ansehen, als wäre es ihnen nicht recht Ernst, in der Welt ihre angewiesene Rolle mitzuspielen, und höchstens dienen sie — die Scenen des menschlichen Lebens auszufüllen. — Das leidet wohl keinen Widerspruch; eben so wenig, als daß die Aufführung der Mutter während der Schwangerschaft auf unser künftiges Wohl und Wehe wirkt; aber eben so wahr ist es, daß das Physische der Erziehung alle unsere mitgebrachte Anlagen auf eine unglaubliche Art modifizirt; daß sie durch ihren Einfluß auf den Körper eben so auf Moralität wirkt; wie umgekehrt Regierungsform, Religion etc. auf unsere physische Beschaffenheit wirken. Man kann versichert seyn (sagt Hufeland)[9] daß man durch eine gute physische Erziehung nicht bloß den Körper, sondern auch die Seele bildet, und daß man schon im ersten Jahre dadurch selbst den Seelenorganen eine ungemein glückliche Richtung geben kann, die die nachherige moralische Bildung sehr erleichtert, so nach meiner Meinung ein wesentliches Stück derselben ist. — Denn wie viel Schiefheiten der Denkart, und des moralischen Gefühls sind im Grunde nichts weiter, als Kränklichkeit und Verstimmung der Seelenorganen; und ich bin völlig überzeugt, daß ein gesunder Zustand der Organisation, und naturgemäße Vertheilung, und Harmonie der Kräfte der wesentliche Grund von der Gabe ist, die man gesunden Menschenverstand, bon sens, nennt, und die eigentlich nichts anders ist, als ein gehöriges Gleichgewicht, und harmonische Brauchbarkeit der Seelenkräfte. Man wird’s dem Arzte verzeihen, wenn ich zu bemerken glaube, daß aus eben dieser Ursache Witz, Genieflug, erhitzte Einbildungskraft, Schwärmerey u. s. w. in unserer Generation weit häufiger sind als reiner natürlicher Sinn, und richtige Urtheilskraft; wenn ich jene glänzenden Eigenschaften der jetzigen Zeit nicht als Ausbrüche von Kraft, sondern als bedenkliche Symptomen einer kränklichen, und ungleichen Seelenreizbarkeit ansehe, und wenn ich zu hoffen wage, daß durch fortgesetzte bessere, und naturgemäßere Behandlung des physischen Menschen auch eine gesündere Geistesstimmung zu erwarten seyn dürfte. Dieser Meinung ist auch der ehrliche J. J. Rousseau[10].

      Die Natur bildet selbst den physischen Menschen zu dem, was er mit der Zeit seyn soll, und wenn man sie ungehindert arbeiten läßt, so bringt sie beinahe lauter Meisterstücke hervor, und überläßt uns die grosse Kunst — aus Bäumen, und Menschenkindern Zwerge zu erziehen. Man lasse also nur die Natur allein ihren eigenen Weg einschlagen; man dünke sich nur nicht weiser, als diese kluge Schöpferinn; man lasse ihr ganz freies Spiel (wenigstens denn doch in so weit, als unser gesellschaftlicher Zustand es erlaubt) und man hat dann gerade alles gethan, was man in diesem wichtigen Zeitpunkte thun muß, weil man — nichts gethan hat. Daher sind die mehrsten Menschen, die man Wilde nennt, von der vortrefflichsten körperlichen Bildung, ihre Mädchen schlank, und zur Geburtsarbeit so aufgelegt, daß unter tausend Gebärenden nicht eine stirbt.

       Inhaltsverzeichnis

      Das Betragen der Mutter während der Schwangerschaft hat auf ihr Kind einen so wichtigen Einfluß, daß diese Periode auch wohl bloß in Hinsicht auf das Kind, eine eigene Betrachtung verdient. — Die Erfahrung lehrt, daß fast immer das Kind gesund, und stark zur Welt kömmt, wenn die Mutter während der Schwangerschaft sich wohl befand. Die Mutter ist es daher nicht nur sich selbst, sondern auch ihrem Kinde schuldig, Alles anzuwenden, um in dieser Zeit gesund zu seyn. Krankheiten, sieches Leben, und der Tod erwarten sie, wenn sie während diesem Zeitpunkte ihre Gesundheit vernachlässigt: eine leichtere Entbindung, ein gesundes Kind, und häusliche Freude sind der Lohn, den ihr die Natur für diese kleine Aufopferungen werden läßt.

      Um gesund zu seyn, muß eine Schwangere im Allgemeinen so leben, wie Frauenzimmer überhaupt leben müssen, wenn sie gesund bleiben wollen. Mäßige Leibesbewegung zu Fuße ist den Schwangern durchaus wesentlich. Zu heftige Bewegung durch Tanzen, durch Spazierfahrten in rüttelnden Kutschen ist äußerst nachtheilig. Sie müssen sich bestreben in die Haltung ihres Körpers so viele Mannigfaltigkeit zu bringen, als nur möglich ist. Zu langes Stehen, lange anhaltendes Sitzen, Liegen, Gehen, sind gleich nachtheilig. Ihre Kleidung muß bequem, und besonders der Ausdehnung des Bauchs, und dem Anschwellen der Brüste, angemessen seyn, und hinlänglich warm halten, vorzüglich in Jahrszeiten, wo die Witterung oft plötzlich wechselt. Am meisten fehlen hiebey Frauenzimmer in der ersten Schwangerschaft, und am Anfange, wo eine, sehr übel angebrachte Schaam, ihre Bestimmung erreicht zu haben, und Mutter geworden zu seyn, sie nicht selten verleitet, sich in enge Kleider einzuschnüren, und dadurch dem Wachsthume des Kindes hinderlich zu seyn. — Reinlichkeit ist auch in diesem Stande sehr zu empfehlen, da die Geburtstheile in den letztern Monaten fast immer eine schleimigte Feuchtigkeit ausfließen lassen.

      Ihre Nahrung muß in gesunden, gutnährenden, leicht verdaulichen Speisen bestehen; z. B. Fleischspeisen, Fleischsuppe, weichgekochten Eyern u.d.gl. Blähende Gemüse, und Früchte, alles Fett, Mehlspeisen sind ihnen nachtheilig. Sie müssen wenig auf einmal, aber oft essen, weil ihre Eingeweide gedrückt werden. Zum Getränke müssen sie das wählen, woran sie gewohnt waren. Schwächlichen ist es besonders zuträglich, täglich etwas Wein zu trinken. Mutter, und Kind werden sich dabey sehr wohl befinden. Die Alten verboten den Weibern in diesem Zustande zu allgemein den Wein, und so strenge, daß grundgelehrte Männer demonstrirt haben, dadurch sey das Küssen aufgebracht worden, um nämlich zu erfahren, ob die Weiber — Wein getrunken hätten. Reine Luft ist den Schwangern sehr anzurathen; daher sind Spaziergänge bei schönem Wetter für sie so heilsam; daher aber sollen sie auch keinen zahlreichen Versammlungen beiwohnen; z. B. in Kirchen, Schauspielhäusern etc., wo ihnen ohnedies noch das Gedränge schädlich werden kann; deswegen bekömmt ihnen auch der Aufenthalt in Obstkammern, Kellern, in Zimmern, die frisch angeweißt sind u. s. w. gar nicht gut. Schlafen müssen Schwangere wohl etwas länger, als andre, da sie sich leichter ermüden, also mehr Erholung bedürfen, und auch gewöhnlich etwas unruhig schlafen.

      Vor allem aber ist Mäßigkeit im Genusse der Liebe, und Vermeidung jeder heftigen Gemüthsbewegung den Schwangern streng zu empfehlen. Blutstürze, Mißfall, Tod sind nicht selten die Wirkungen von beiden.

      Aber was hat es in der Schwangerschaft mit dem so genannten Versehen für ein Bewandniß? Die Weiber versehen sich nie. Die Furcht vor dem Versehen ist ganz ungegründet, und dies Vorurtheil ist um so nachtheiliger, da es die vielen Unbequemlichkeiten in diesem Stande bei einer Menge von Weibern beträchtlich vergrößert; aber wie (werden eine Menge Matronen mit sichtbarem Aerger in ihrem sonst ganz weisheitsvollen Angesicht sagen) wie läßt sich das behaupten, da tausend, und abermal tausend Geschichten die Wirklichkeit des Versehens bewähren: ja freilich Geschichten; aber welche? Den meisten steht unverkennbar der Stempel ihres Ursprungs vor der Stirne; bei weitem der größte Theil kömmt schnurgerade aus der Ammenstube, und sie datiren sich fast alle aus den Zeiten des Aberglaubens, und der Unwissenheit! Wer ist heute noch gutmüthig genug zu glauben, daß eine italiänische Dame sich an dem Bären in dem Wappen des Herzogs von Ursini versehen, und darauf einen Knaben — in einer Wildschure geboren habe? daß eine Schwangere, wie Pater Mallebranche erzählt, einen Verbrecher radbrechen sah, und in einigen Tagen nachher ein Kind gebar, dessen Glieder, wie die des Geräderten, gebrochen gewesen seyen? Der Ehrwürdige Pater hat bey Erzählung dieser Geschichte noch die Menschenliebe, ein leichtes, und ganz wohlfeiles Hausmittel bekannt zu machen, das sich nur nicht in jeder (wohlgezogenen) Gesellschaft anwenden läßt, nämlich: die Schwangere soll sich gleich an dem ründesten, und hintersten Theil des Körpers kratzen, wenn ihr


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