Versuch über die physische Erziehung der Kinder. Ferdinand Wurzer

Versuch über die physische Erziehung der Kinder - Ferdinand Wurzer


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lesen, der kann sie in den Schriften Schenk’s, Hellwig’s, Horst’s, und andrer Kompilatoren dieser Gattung, in reichlicher Menge finden. Indessen sind allerdings nicht alle Geschichten von derselben Art. Die wahrscheinlichsten entstanden daher, daß sie verkehrt vorgetragen wurden, und dadurch natürlich großes Gewicht erhielten. Der Vortrag ist nämlich so eingerichtet, als wenn man die Beobachtung schon während der Schwangerschaft angefangen hätte; und nun bey der Niederkunft sey die Sache eingetroffen, da doch in der That solche Mahlzeichen unvermuthet gekommen sind, ob man sie gleich nachher von diesem, oder jenem Umstande nach der gewöhnlichen Methode hergeleitet hat, und nicht selten mit beträchtlichen Vergrößerungen. Eins der am meisten verführerischen Beispiele ist, meines Erachtens, die bekannte Geschichte vom König Jacob, dem 1ten in England. Seine Mutter Maria Stuart war mit ihm schwanger, als ihr Liebling Rizzio vor ihren Augen mit vielen Wunden erstochen wurde. Sie erschrak über diesen Zufall heftig, und wurde nachher von Jacob entbunden, der nun eine solche Furchtsamkeit besaß, daß er nie einen bloßen Degen, ohne Zittern und Entsetzen sehen konnte; aber man verschweigt meistens geflissentlich, daß Jacob sich eben so heftig vor dem Knall einer losgeschossenen Flinte entsetzte, und doch war Rizzio durch kein Schießgewehr umgebracht worden!

      Diese Geschichte beweißt (deucht mir) im Grunde das Gegentheil; denn Jacob brachte nicht ein einziges Muttermal zur Welt, trotz den vielen Wunden, die seine Mutter an Rizzio mit Schrecken gesehen hatte. — Wer die Geschichte der zartesten Kindheit Jacobs, und die großen Unruhen in seiner Minderjährigkeit kennt, der kann es, ohne an das Versehen zu glauben, leicht begreifen, wodurch dieser König so furchtsam wurde.

      Kein Blutgefäß (weder Schlagader, noch Blutader) gehen unmittelbar von der Mutter in’s Kind, und nicht ein einziger Nerve! Und Einbildungen sind doch, wie alles, was von unsern Sinnen abhängt, ein Spiel der Nerven! Das Kind steht mit seiner Mutter in keiner unmittelbaren Verbindung; es lebt für sich, ein eigenes Leben, lebt durch die Nachgeburt. Wie kann also das Versehen statt haben?

      Die Einbildungskraft kann uns gähnen, erbrechen, traurig, fröhlich machen; ober ich weiß nicht, wie sie dem Kinde im Mutterleibe den 11ten Finger, oder einen 2ten Kopf machen kann, oder im Gegentheil wie sie die Nase aus dem Gesichte zu wischen vermag, u. d. gl.

      Hat denn die Einbildungskraft der Mutter dem Kinde die 10 natürlichen Finger, oder den natürlichen Kopf gebildet? Ist es denn ein Werk der Phantasie der Mutter, schwanger zu seyn? Im Stande der Unschuld, sagt der heil. Thomas von Aquino, war schon durch die bloße Einbildung der Mutter ein Kind fertig: die Theile, die man jetzt dazu braucht, kamen erst nach der Erbsünde. Wir sind aber bekanntlich nicht mehr in jenen Zeiten. —

      Die Muttermäler sind nichts anders, als Hautkrankheiten, oder Knochenauswüchse, die die geschäftige Phantasie der Gevatterinnen im ersten Falle zu Kirschen, Erdbeeren, Mäuse, u. s. w. erhebt; und im letzten entsteht denn oft das, was man mit dem Namen Kalbs-, Schweinsgesichter, Froschköpfe etc. etc. belegt. — Daß die Maulbeeren, Erdbeeren, u. d. gl. im Sommer mit den Früchten dieses Namens wachsen, ist sehr natürlich; das ist ja auch der Fall mit den Sommersprossen, die mit ihnen eine und dieselbe Hautkrankheit sind. Auch bey den Thieren und Pflanzen finden sich Monstrositäten; versehen sich diese etwa auch? Weickardt sagt in dem ihm eigenen Tone: „Ich sah im vorigen Jahre einen Kirschbaum, woran viele Kirschen mit krummen Stielen hiengen. Das muß wohl auch ein Muttermaal an den Kirschenstielen gewesen seyn; vielleicht hat sich der Baum an einem krummbeinichten Kerl versehen, da er eben in der Blüthe stand? Ich sah an einem Apfelbaum einen Apfel, an welchem noch ein kleiner Auswuchs war, der vollkommen einer Stachelbeere glich: ich fand nun bald die Ursache dieses Maalzeichens, indem ich eine Stachelbeerenstaude in der Nähe sah, woran also vermuthlich sich der Apfelbaum muß versehen haben.“

      Wenn eine sehr heftige Begierde der Mutter eine Veränderung in der Gestalt des Kindes bewirken kann, wie kömmt es denn, daß es noch so viele Häßliche unter uns giebt? Welche Mutter sehnt sich nicht während ihrer Schwangerschaft nach einem schönen Kinde? Warum endlich gleichen so manche Kinder nicht ihrem vorgeblichen Vater, sondern dem Cicisbeo der Mutter?

      Es ist aber doch nichts gewisser, als daß gerade bey den Kindern, über deren Vater die meiste Controverse statt hat, die Mütter den sehnlichsten Wunsch hegen, daß das Kind dem Manne, und nicht dem Hausfreunde gleichen möge.

       Inhaltsverzeichnis

      Der aus dem Schooße seiner Mutter hervorgetretene Mensch kömmt kaum — in diese beßte Welt, so vereinigen sich (noch ehe er athmet) schon Konvenienz und Vorurtheile aller Art, ihn gleich in Empfang zu nehmen, denn zum Unglück hält er seine joyeuse entrée meist immer unter lauter Weibern.

      Halb ohnmächtig, müde, abgemattet von seiner beschwerlichen Reise, kömmt er in ein neues Element. Er muß athmen, er muß sich einer plötzlichen Veränderung der Temperatur unterwerfen; das ist viel, sehr viel. Doch das hat er mit vielen Thieren gemein, aber daß er nun auch gleich einem halben Dutzend Gevatterinnen und Frau Baasen in die Hände fällt, das ist — weit mehr. Nicht selten hat er schon Glieder zerbrochen, verrenkt, ehe er geboren ist u. d. gl.! Bei andern Thieren lehrt der Instinct den Neugebohrnen, was er thun soll, aber den haben unsere Kinder durch die Kultur der Aeltern schon eingebüßt; und hätten sie ihn auch noch, was würde er ihnen helfen? Dem würden die Weiber, und das Profanum Vulgus der Aerzte, die sich immer klüger wähnen, als die Natur, schon secundum Leges Artis begegnen.

      Die Mutter ist gleich nach der Geburt, in Beziehung auf andre Thiere, in Beziehung auf natürliche Menschen in einer schrecklichen Lage, liegt oft Stundenlang — ermattet, kraftlos da. Andre Mütter zerkauen meist in diesem Augenblicke die Nabelschnur; allein diese oder sonst eine sichere Trennung von der Nachgeburt, würden unsere Mütter aus Schwäche nicht vermögen; ein Dritter ist daher meist immer schon nöthig, um durch ein Verband das Leben des eben Gebornen zu retten.

      Die Natur hat, um das Leben der Neugebornen zu schützen, bei allen uns verwandten Thieren, wo nicht in beiden Zeugenden, doch immer in der Mutter eine kräftige Schutzwehre für den Kraftlosen gesetzt. Denn gerade wie das Kind noch schwächer ist, ihres Schutzes mehr bedarf, gerade in dem Verhältnisse ist ihre Zuneigung größer. Die Natur gab in diesem Zustande dem Kinde Wächter, die das Wohl des Kindes mit ihrem Leben erkaufen, und bey denen in dieser Epoche die laute Stimme eigener Selbsterhaltung taub ist. Das ist der Fall bey sehr vielen Thieren, und der Mensch selbst ist wenigstens hierinn noch nicht ganz ausgeartet. Die Liebe zum Kinde (möchte ich sagen) verhält sich umgekehrt, wie die Kultur der Aeltern. Konvenienz und Degeneration machen den kultivirten Menschen die Kinder gewöhnlich zur Last. Das letzte wirkt sogar auf die Thiere, die der Mensch unterjochte, die er zu seinen Hausthieren machte; auch die lieben ihre Jungen um so weniger, je mehr sie gezähmt sind; betrachten wir z. B. die Pferde, die Kühe, die Schafe etc.; auch bei denen ist dieser edle Instinct fast ganz verloschen.

      Wir wollen ein Mal, um zu sehen, was wir mit unsren Neugebornen thun müssen, betrachten, was die Thiere, die uns am nächsten sind, mit den ihrigen machen.

      So wie die Jungen zur Welt gekommen sind, lecken die Mütter sie ab, legen sie so, daß sie warm bleiben, und bedecken sie gewöhnlich, um diesen Endzweck vollkommner zu erreichen, von Anfang meistens ununterbrochen mit ihrem Körper, und geben ihnen dann die mütterlichen Brüste. Das Lecken dient ihnen statt des Bades; die Wärme, um den Uebergang von der Temperatur der mütterlichen Gebährmutter zu der der Atmosphäre nicht zu plötzlich fühlen zu lassen; vielleicht auch, um die Wirkungen der Luft auf die noch ungewohnte Haut vor der Hand öfter zu unterbrechen. Die Milch dient den Jungen in diesem Augenblicke statt Arzney, um das Mutterpech abzuführen, und zugleich als Nahrung. Auf die Art, wie die Jungen liegen, nehmen die Alten keine sonderliche Rücksicht: diese liegen, wie sie selbst wollen, das heißt: wie sie am bequemsten warm gehalten werden können. Was thun nun aber wir?

      Wir Meisterstücke der Schöpfung kommen mit einem weißen, käsigten Firnis zur Welt,


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