Marathon Woman. Kathrine Switzer
auf die Löcher in meinen Schuhen würde ich gut aussehen, und das war mir wichtig. Niemand sollte nach Hause gehen und erzählen, dass die Frauen im Sport alle wie Vogelscheuchen aussähen. Ich hatte dieses Stereotyp satt und wusste, dass ich während des Marathons wenigstens einen Teil zur Zerstörung dieses Mythos beitragen konnte. Arnie sagte, wir könnten in Boston unsere ältesten ausgeleierten Trainingssachen anziehen. Wir würden sie tragen, wenn wir uns einliefen, und wenn uns warm genug war, würden wir sie ausziehen und wegwerfen. »Die Organisatoren in Boston schaffen es nie, dir deine Trainingssachen am Ende des Rennens zurückzugeben, also kannst du sie auch gleich wegwerfen«, sagte er. Ich dachte, gut, dann bin ich das alte Zeug gleich los, und wenn ich es ausgezogen habe, voilà, dann werde ich ein Traum in Burgunder sein.
John Leonard erschien zum Training. Er hatte sich erst vor Kurzem entschlossen, mit nach Boston zu kommen und dort auch zu starten, eine beunruhigende Entscheidung in meinen Augen, denn er hatte zwar in der Woche mit uns trainiert, um die Form zu halten, aber fast keinen langen Lauf mitgemacht. Ich konnte mir nicht vorstellen, sechsundzwanzig Meilen in der Öffentlichkeit zu laufen, ohne die Distanz einmal geschafft zu haben. Aber Arnie versicherte mir, ein bisschen von oben herab, dass die meisten Läufer es so machten, und setzte seinen Namen auf die Reiseerlaubnis.
Als wir später allein waren, sagte ich Arnie, dass ich John gut leiden könnte, aber keine Lust hätte, die Drei Musketiere zu spielen. Wenn er schwächelte und zurückblieb, würden wir unser Tempo beibehalten. Ich fühlte mich immer mehr wie ein Soldat vor der Landung in der Normandie; wir waren Kameraden, aber wir mussten diesen Landekopf einnehmen, koste es, was es wolle! »Arnie, wenn einer von uns es nicht schafft, dann muss der andere weiterlaufen.« Arnie war einverstanden, aber erstaunlicherweise hatten wir für diesen Fall nie einen Plan gemacht. Jahre später, nachdem ich weiß, wie unwahrscheinlich es ist, dass zwei oder gar drei Läufer, die zusammen gestartet sind, auch gemeinsam ins Ziel kommen, ist es einfach unglaublich, dass wir uns keinen Alternativplan ausgedacht hatten. Ich war nicht auf den Gedanken gekommen, weil ich keine Ahnung hatte, und Arnie hatte entweder gar nicht die Absicht, gemeinsam im Ziel anzukommen, oder er war ebenso naiv und optimistisch wie ich.
Jedenfalls schickte Arnie unsere Anmeldungen ab und ließ uns als Mannschaft der Syracuse Harriers registrieren. Ich wusste nicht, dass ein Harrier ein Querfeldeinläufer war, ich glaubte, es sei ein Synonym für jemand, der es ständig eilig hatte, und an der Art, wie Arnie das Wort aussprach, erkannte ich, dass er es auch nicht wusste. »Haar-Yerrs.« Aber wir waren ein Team, die Würfel waren gefallen, der Countdown lief. Noch drei Wochen. In den ersten beiden trainierten wir, schoben auch zwei mittellange Läufe ein, in der letzten Woche würden wir dann fast gar nicht mehr laufen. Ich konnte gar nicht glauben, dass wir eine Woche frei haben würden, aber Arnie sagte, wir müssten uns in der letzten Woche ausruhen. »Wenn das geschafft ist, können wir nichts weiter tun. Wir können uns ruhig ein wenig ausschlafen.« Das war eine Offenbarung. Ich dachte, wir müssten bis einen Tag vor dem Start hart trainieren, und das war auch ein guter Rat in anderer Hinsicht, zum Beispiel beim Lernen für meine Examina. Ich kam mir dumm vor. Denn so stand es in allen Büchern über die richtige Lernmethode, und ich hatte es nie geglaubt. Jetzt freute ich mich auf die letzte Woche, die Ferien.
Wir beendeten die fünf Meilen an der Sporthalle, die jetzt, da es Frühling wurde, fast leer war. Die Holzbahn war abgebaut worden, und die Läufer trainierten draußen im Archibald Stadium auf der anderen Seite des Campus. Coach Grieve war mit ihnen draußen, aber der Boden war noch zu weich für die Spikes der Werfer, die ihre Würfe oder Stöße mehrmals ausführten, und so trainierte Tom mit den Werfern noch in der Halle. Während ich auf Arnie wartete, der duschte, machte ich Dehnübungen und beobachtete Tom, was mich immer wieder faszinierte. Heute arbeitete er mit den Speerwerfern daran, den Wurfarm effektiv nach hinten zu führen und dann durchzuziehen. Ich würde den Hammerwerfer Tom nie infrage stellen, aber der Speerwurf kam für mich vor allen anderen Wurfdisziplinen, weil er so griechisch war, so olympisch, so nah am Ursprungsgerät, dem Speer. Jedes Jahr las man von einem armen Tölpel, meistens einem eifrigen, aber im entscheidenden Moment unaufmerksamen Funktionär, der von einem Speer durchbohrt worden war. »Das beweist, wie schnell dieser Speer geflogen ist«, sagten wir glucksend.
Arnie verließ gerade die Umkleide, als Tom zu mir kam.
»Hiya. Trinkst du später noch ein Bier mit mir?«
»Natürlich«, sagte ich. Diese kurze Unterhaltung bedeutete, dass wir beide zu unseren Wohnheimen zurückgehen und dort essen würden, da wir uns ein Restaurant nicht leisten konnten. Aber manchmal leisteten wir uns ein Bier in der Orange, dem Studentenlokal. Das war zwar ziemlich schäbig, war aber immerhin eine Verabredung, und Toms Stolz war gerettet. Er hatte zu wenig Geld, um mich eleganter auszuführen, und außerdem war es so nicht so offensichtlich, dass er mich eigentlich nur abholte, um mit mir in seiner Wohnung zu übernachten. Ich würde mir auch Rock und Pullover anziehen, Kleidungsstücke, in denen ich mir weiblicher und sogar sexy vorkam – eine große Erleichterung, nachdem ich tagelang in neutralen Sweatshirts und Jeans im Unterricht gesessen hatte.
In der Kneipe verfiel Tom in eine seiner »schweigsamen« Launen. Vielleicht wegen seines Studiums, vielleicht wegen seiner Geldsorgen. Es bedrückte mich, dass zwei Menschen, die so viel gemeinsam hatten und seit vier Monaten miteinander schliefen, sich so wenig zu sagen hatten. Seine Launen blieben mir immer fremd. Manchmal dachte ich, dass Tom einfach kein guter Gesprächspartner war, dann fand ich diesen Gedanken unfreundlich, denn er war doch so talentiert in anderen Bereichen. Vielleicht langweilte er sich mit mir? Tom war immer cool, er vermittelte mir das Gefühl, es nicht zu sein. Sicher, wenn man neben jemandem sitzt, der schweigt und offenbar alles besser weiß, fühlt man sich wie ein Idiot, der vor sich hin plappert oder wie einer, der »Zwanzig Fragen« spielt, ein Spiel, bei dem man einsilbig antworten muss. Ich wusste, dass ich mich in der Gesellschaft des Mannes, mit dem ich schlief, wohler fühlen sollte, aber ich ließ diesen Gedanken nicht zu.
Schließlich unterbrach er sein Schweigen: »Und? Was macht das Joggen?«, fragte er mit einem sarkastischen Unterton, der sich diesmal auf das Joggen bezog, und das war es dann. Egal, wie untalentiert und langsam ich sein mochte, ich war eine Läuferin, verdammt noch mal, keine Joggerin!
»Das Laufen macht sich sehr gut«, sagte ich scharf. Er wusste, dass ich sonnabends oder sonntags diese langen Läufe machte. Er hatte mich sogar an Arnies Auto abgesetzt, wenn ich die Nacht bei ihm verbracht hatte, und wir lästerten manchmal, wie schockiert Arnie sein würde, wenn er das wüsste. Tom hatte keinen blassen Schimmer von unserem Plan, nach Boston zu fahren, und hin und wieder dachte ich, dass ich es ihm sagen müsste, schob es aber immer hinaus. Ich wollte nicht, dass man von allen Seiten Druck auf mich ausüben könnte, aber jetzt war Boston nur noch drei Wochen entfernt. Und jetzt wollte ich ihm eins auswischen.
Ich trank einen Schluck Bier und blieb möglichst lässig: »Es macht sich so gut, dass Arnie und ich in ein paar Wochen nach Boston zum Marathon fahren.« Es klang, als handelte es sich um einen Einkaufsbummel.
Erst wirkte Tom überrascht, dann erholte er sich schnell, und von einer müden Herablassung durchdrungen, sagte er seufzend: »Ein Marathon ist sechsundzwanzig Meilen und dreihundert–«
Ich schnitt ihm das Wort ab. »Ich weiß, wie lang ein Marathon ist, Tom. Ich bin die Strecke gelaufen. Arnie und ich sind sie letzten Sonnabend gelaufen.« Ich fühlte mich großartig. Statt nervös und angestrengt zu reagieren, war mir angenehm warm. Es war das erste Mal, dass ich ihm überlegen war, und das merkte er. Wir schwiegen. Ich lächelte.
»Okay. Ich fahre auch nach Boston«, sagte er schließlich.
»Wie meinst du das?«
»Ich werde auch laufen. Wenn irgendein Mädchen sechsundzwanzig Meilen schafft, dann schaffe ich das auch.« Ich war eher sprachlos als beleidigt, besonders wegen der Formulierung »irgendein Mädchen«.
»Tom. Du bist ein talentierter Leistungssportler. Ich zweifle nicht daran, dass du es könntest. Aber selbst du müsstest trainiert sein. Für sechsundzwanzig Meilen muss man sehr viel trainieren.
»Ich habe es dir schon einmal gesagt, was irgendein Mädchen schafft, schaffe ich auch.«
Ich versuchte es anders. »Tom, denk mal an