Marathon Woman. Kathrine Switzer

Marathon Woman - Kathrine Switzer


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zwischen dem dumpfen Aufklatschen der Gummisohlen der Laufschuhe. Wenn ein Läufer ein derartiges Geräusch hört, bedeutet es für gewöhnlich Gefahr – so als hörte man die Krallen von Hundepfoten auf dem Pflaster. Instinktiv wandte ich schnell den Kopf und sah direkt in das bösartigste Gesicht, das ich je gesehen hatte. Ein dicker Mann, ein Hüne mit gebleckten Zähnen wollte sich auf mich stürzen, und ehe ich reagieren konnte, packte er meine Schulter, riss mich zurück und schrie: »Raus aus meinem Rennen! Zur Hölle mit dir! Und her mit den Startnummern!« Dann griff er vorn an mein Sweatshirt und wollte mir die Startnummer abreißen, aber im selben Moment sprang ich schon rückwärts von ihm weg. Er erwischte die Nummern nicht, aber ich war so überrascht und erschrocken, dass ich mir ein bisschen in die Hose machte, mich dann umdrehte und weglief. Aber jetzt hatte der Mann mich am Rücken gepackt und versuchte, mir dort die Startnummer abzureißen.

      Ich schrie leise, ich dachte überhaupt nichts, ich versuchte nur wegzurennen, als ich sah, dass der winzige tapfere Arnie auf den Mann einschlug, versuchte, ihn wegzudrängen und dabei schrie: »Lass sie in Ruhe, Jock. Ich habe sie trainiert, sie ist okay, lass sie in Ruhe!« Der Mann brüllte: »Halt dich da raus, Arnie!« und schlug nach ihm wie nach einer Mücke.

      

      Der Funke, der die Frauenlaufrevolution auslöste. Harry Trasks dreiteilige Foto­sequenz ging um die Welt, zusammen mit der Nachricht, dass ich offiziell beim Boston Marathon 1967 registriert und ins Ziel gelaufen war. Oben die Original-Bildunterschrift der Fotos.

      Arnie kennt diesen Irren, dachte ich panisch. Das einzige Geräusch, das ich wahrnahm, war das surrende Klicken der Kameras, dazu kam das Durcheinander des Handgemenges und der leise Schrei eines japanischen Kameramannes: »Eeechai yawoow«, oder so ähnlich. Mir rutschte das Herz in die Hose; noch nie war mir etwas so peinlich gewesen, noch nie hatte ich eine solche Angst gehabt, noch nie war ich derart grob angefasst worden, nicht mal als Kind, und die physische Kraft und die Schnelligkeit der Attacke verblüfften mich. Ich war nicht imstande, die Flucht zu ergreifen, ich stand wie angewurzelt da, was stimmte, denn der Mann, dieser Jock, hielt mich am Pullover fest. Dann zuckte ein orange-gelber Blitz vorbei und riss Jock zur Seite. Es war Big Tom in seinem orange-gelben Sweatshirt. Ich hörte einen dumpfen Stoß – Rumms! – und Jock flog durch die Luft. Er landete am Straßenrand wie ein Haufen zerknitterter Klamotten. Jetzt geriet ich erst recht in Panik. Wir haben diesen Jock umgebracht, es war meine Schuld, auch wenn Tom, dieser Hitzkopf, zugeschlagen hatte. Mein Gott, wir würden ins Gefängnis kommen. Und dann sah ich Arnies Gesicht – es war auch angsterfüllt. Seine Augen waren weit aufgerissen, und er schrie: »Lauft so schnell ihr könnt!« Und das taten wir auch. Ein Adrenalinschub setzte ein und wir rannten die Straße entlang, vorbei an dem Pressewagen, wir rannten wie Kinder, die aus einem Geisterhaus flohen.

      Ich war benommen und verwirrt. Noch nie war ich bedroht worden. Die Gewalt ängstigte mich, und ich war schockiert, wie hilflos ich mich ihr ausgeliefert fühlte. Toms präzise Handhabung des Problems, die Art, wie er Jock ausgeschaltet hatte, und zwar nur Jock, war sportlich gekonnt gewesen, aber ich war ihm für die Rettung nicht dankbar. Mein Herz war schwer, er hatte etwas Schlimmes getan. Er war zu weit gegangen. Ich wünschte, Tom wäre nicht mitgekommen, ich wünschte, ich wäre nicht mitgefahren.

      Alles schrie durcheinander. Ich hörte die Journalisten auf der Ladefläche des Lasters hinter uns, sie riefen: »Fahrt ihr hinterher. Fahrt ihr hinterher!« Der Fahrer beschleunigte, ließ die Kupplung kommen, ich hörte, wie der Truck einen Satz nach vorn machte und die Kameras, die Stative und die Kurbeln unter den Flüchen der Fotografen durcheinandergewirbelt wurden.

      Jock Semple versuchte, mir die Start­nummer vom Rücken zu reißen. Er schaffte es beinahe, da er die rechte obere Ecke zu fassen bekam und sie von der Sicherheitsnadel löste. Die Zahl 261 ist jetzt ein Symbol für Furchtlosigkeit angesichts widriger Umstände – für mich selbst wie für viele andere Frauen.

      Alle fluchten, am lautesten Arnie, dieser sanftmütige Freund, der verkündete, er würde diesen Jock Semple umbringen. Der es besser wissen sollte, weil er selbst ein Läufer war! (Arnie lief sogar mit diesem Irren?) Tom sah aus, als käme ihm Qualm aus den Nüstern. Er war immer noch in Kampflaune, und jeder seiner Flüche wurde von einem Hieb in die Luft oder einem drohenden Blick über die Schulter begleitet. John wirkte bestürzt. Mir war übel, ich hatte Angst, dass wir diesen Jock Semple ernsthaft verletzt hätten, vielleicht sollten wir uns nach ihm erkundigen. Denn es war sonnenklar, dass Jock ein Funktionär war und dass er die Kontrolle verloren hatte, und jetzt war er verletzt, und wir hatten ein Problem. Man würde uns verhaften. Diese Angst hatte ich, und ich fühlte mich zutiefst gedemütigt. Einen winzigen Augenblick lang überlegte ich, ob ich aussteigen sollte. Ich wollte nicht, dass dieses Desaster den Ruf des Rennens beschädigte. Aber der Gedanke flackerte nur kurz in mir auf. Wenn ich jetzt aufhörte, würde nie jemand glauben, dass eine Frau fähig war, einen Marathon zu laufen. Wenn ich ausstieg, würde jeder sagen, es sei eine Nummer, nur für die Presse gestellt. Wenn ich jetzt aufhörte, würde ich den Frauenlaufsport zurückwerfen und zwar um Jahre, statt ihn zu fördern. Wenn ich jetzt ausstieg, würde ich nie wieder in Boston laufen. Wenn ich jetzt ausstieg, hätten Jock Semple und seinesgleichen gesiegt. Meine Angst und meine Demütigung verwandelten sich in Wut.

      

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      Nach dem Zwischenfall stieg Jock Semple wieder in den neben uns fahrenden Bus und schrie uns an. Arnie Briggs (Startnummer 490) schrie zurück. Mannschafts­kamerad John Leonord (mit Brille) ist bestürzt, mein Freund Tom Miller (390) kocht vor Wut, und ich starre einfach zu Boden. Hinter uns läuft Everett Rice (225), kein Mitglied unserer Mannschaft, aber ebenfalls ein Freund aus Syracuse.

      Der Pressewagen holte uns wieder ein und fuhr mit dröhnendem Motor dicht neben uns. Von der Ladefläche aus feuerten die Journalisten nun aggressive Fragen ab, die Fotografen lehnten sich weit vor, schossen Nahaufnahmen. Es kam mir absurd vor, ihre Fragen zu beantworten, während die Kameras mir direkt in die Nasenlöcher fotografierten. Und wie sich ihr Ton plötzlich geändert hatte! Jetzt hieß es »Was willst du damit beweisen?« und »Wann steigst du aus?« Folglich änderte sich auch mein Ton. Ich war zwar höflich, aber nicht mehr freundlich. Ich stellte klar, dass ich nichts »beweisen«, sondern einfach nur laufen wollte, dass ich mich auf die Distanz vorbereitet hätte, dass ich nicht aussteigen würde. Sie notierten, was sie notieren wollten. Sie glaubten mir offensichtlich nicht und fuhren weiter neben uns her, auch als ich ihre Fragen nicht mehr beantwortete und versuchte, sie zu ignorieren. Sie dachten, es handele sich um einen Studentenstreich und wollten den Punkt, an dem ich aufgab, nicht verpassen. Das bestärkte mich nur noch mehr. Und es machte mich noch wütender.

      Dann kam der Bus. Auf dem Trittbrett stand Jock Semple, der sich am Außengriff der Tür festhielt! Gott sei Dank, er lebt, dachte ich ­erleichtert. Doch der Bus wurde langsamer, fuhr dann neben uns her, und Jock fletschte wieder die Zähne, schüttelte die Faust und schrie uns in seinem harten schottischen Akzent entgegen: »Ihr werdet großen Ärger bekommen!« Die Männer um uns herum zeigten ihm den Stinkefinger und bedachten ihn mit Obszönitäten. Und Arnie rief: »Hau ab, Jock! Lass uns in Ruhe!« Ich senkte den Kopf – ich würde kein Wort sagen. Meine Mutter hatte mir beigebracht, mit uneinsichtigen oder aggressiven Leuten nicht zu reden, und das hatte sich bis jetzt immer als richtig erwiesen. Der Bus beschleunigte wieder, blies eine stinkende Abgaswolke in unsere Gesichter und fuhr schnell nach vorn, hupte, damit die Läufer Platz machten.

      Nach fünfzehn Minuten gab auch der Pressewagen auf, weil die Journalisten kapiert hatten, dass ich nichts mehr sagen und ihnen auch nicht die Befriedigung verschaffen würde, auszusteigen, nur damit sie ein gutes Foto schießen könnten. Die Stimmen versiegten, und ohne die Geräusche des Motors und der Kameras wurde es sehr still. Wir hingen alle unseren Gedanken nach. Ich dachte über alles Mögliche nach, auch darüber, warum wir Frauen uns von Auseinandersetzungen gleich einschüchtern lassen und erst später wütend werden, Männer aber


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