Gesammelte Werke. Aristoteles

Gesammelte Werke - Aristoteles


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will, und der Mäßige bedarf der Freiheit und Ungebundenheit. Wie könnte man sonst wissen, ob einer diese oder eine andere Tugend wirklich hat oder nicht? Man zweifelt freilich, welches von den beiden Erfordernissen der Tugend das wichtigere ist, der Wille oder das Werk. (1178b) Doch findet sie offenbar ihre Vollendung erst in beiden zugleich. Nun bedarf sie aber, um zu handeln, vieler Dinge und bedarf ihrer desto mehr, je großer und schöner ihre Handlungen sind. Der Mann des Denkens aber hat, wenigstens für diese seine Tätigkeit, keines dieser Dinge nötig, ja, sie hindern ihn eher daran. Sofern er aber Mensch ist und mit vielen zusammenlebt, wird er auch wünschen, die Werke der sittlichen Tugenden auszuüben, und so wird er denn solcher Dinge bedürfen, um als Mensch unter Menschen zu leben.

      Ein Zeichen dessen ist endlich, daß die übrigen Sinnenwesen an der Glückseligkeit keinen Anteil haben, weil sie der gedachten Tätigkeit vollständig ermangeln. Das Leben der Götter ist seiner Totalität nach selig, das der Menschen insofern, als ihnen eine Ähnlichkeit mit dieser Tätigkeit zukommt, von den anderen Sinnenwesen aber ist keines glückselig, da sie an dem Denken in keiner Weise teil haben. So weit sich demnach das Denken erstreckt, so weit erstreckt sich auch die Glückseligkeit, und den Wesen, denen das Denken und die Betrachtung in höherem Grade zukommt, kommt auch die Glückseligkeit in höherem Grade zu, nicht mitfolgend, sondern eben auf Grund des Denkens, das seinen Wert und seine Würde in sich selbst hat. So ist denn die Glückseligkeit ein Denken.

      Neuntes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Glückselige wird aber als Mensch auch in äußeren guten Verhältnissen leben müssen. Denn die Natur genügt sich selbst zum Denken nicht; dazu bedarf es auch der leiblichen Gesundheit, der Nahrung und alles andern, was zur Notdurft des Lebens gehört.

      (1179a) Indessen darf man, wenn man ohne die äußeren Güter nicht glückselig sein kann, darum nicht meinen, daß dazu viele und große Güter erforderlich wären. Denn daß einer ein volles Genüge und die Möglichkeit der Betätigung habe, liegt nicht an Reichtum und Überfluß: man kann, auch ohne über Land und Meer zu herrschen, sittlich handeln; denn auch mit mäßigen Mitteln läßt sich der Tugend gemäß handeln. Man kann das deutlich daran sehen, daß die Privatleute den Fürsten im rechten und tugendhaften Handeln nicht nachzustehen, sondern eher voraus zu sein scheinen. Es genügt also, wenn dazu die nötigen Mittel vorhanden sind. Denn das Leben muß glückselig sein, wenn es in tugendgemäßer Tätigkeit verbracht wird.

      Zehntes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Wir haben also nunmehr hierüber und über die Tugenden, sowie auch über die Freundschaft und die Lust das Nötige im Umrisse beigebracht. Sind wir demnach jetzt mit unserem (1179b) Vorhaben am Ziele, oder ist nicht der Satz richtig, daß beim Handeln das Ziel nicht darin liegt, das einzelne zu erforschen und zu erkennen, sondern vielmehr darin, es zu tun? So ist es denn auch bei der Tugend mit dem Wissen nicht genug, sondern man muß darnach streben, sie zu haben und zu üben oder sonst den Weg einzuschlagen, auf dem wir gute Menschen werden können.


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