JAGDGRÜNDE. Michael Mikolajczak

JAGDGRÜNDE - Michael Mikolajczak


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in Uniform beim Pissen zusehen wollte.

      Für Patrick war es ein Akt der Höflichkeit, die Hände zu schütteln. Er brachte es schnell hinter sich.

      »Du bist Patrick?«

      »Ja.«

      «Es war nicht meine Idee.«

      »Was?«

      »Unsere Zusammenarbeit.«

      Patrick hätte sich nicht besser ausdrücken können.

      – 9 –

      Die Leiche wies zahlreiche Messerstiche auf. Die durchschnittene Kehle war eine Trennlinie, markierte den Übergang eines zerstörten Körpers in ein unversehrtes Gesicht. Die Haut der jungen Frau war bleich, kein Tropfen Blut war in ihrem Körper verblieben. Ein Großteil davon war durch den Regen verdünnt und durch den Gully am Straßenrand in die Kanalisation gewaschen worden.

      »Viel Wut. Keine Abwehrverletzungen an Händen und Armen.«

      Patrick sah auf die Wunden.

      »Er hat nicht aufgehört. Nicht mal, als sie tot war.«

      Arkady schien nicht zuzuhören. Mit seinem Handy fotografierte er Gesicht, Augen und Haar der Toten. Auf seinen Bildern glich sie einem bleichen und unversehrten Engel.

      Arkady verließ seinen Engel. Ihr Name war Jessica. Sie wohnte in Haus Sechs, Wohnung Achtzehn. Er stattete ihr einen Besuch ab, betrat das Treppenhaus. Putz bröckelte von den feuchten Wänden. Ein Penner schlief auf den Stufen seinen Rausch aus. Arkady stieg über die stinkende Gestalt, entfloh ihr über die Treppe. Vor Jessicas Wohnung streifte er sich schwarze Lederhandschuhe über und öffnete mit dem Schlüssel des Opfers die Tür.

      Ein enges Bad, eine Zahnbürste darin. Die Borsten der Bürste waren zerkaut und standen weit voneinander ab. Arkady hob sie an die Lippen und dachte an die tote Frau vor dem Gebäude. Sie hatte allein gelebt.

      Ein Duft nach Parfum hing in der Wohnung, schwer, süß. Arkady mochte es nicht. Er betrat ein mit billigen Möbeln eingerichtetes Wohnzimmer. Eine Schuhschachtel voller Briefe fand er im Schlafzimmer. Als wäre es eine Schatztruhe voller Gold stöberte er darin, fand Liebesbriefe mit wechselnden Namen. Paul, Sergei, Sam.

      Unter den Briefen entdeckte er Fotos. Jessica an der Uni, im Bikini, auf einer Party mit Freunden, bei einer Familienfeier, nackt auf einer Matratze.

      Das Foto war im Schlafzimmer aufgenommen worden. Alt und fleckig die Matratze, doch die nackte Frau darauf verwandelte sie in etwas Wertvolles.

      Jessica war wunderschön.

      Arkadys Hand tastete über die Matratze.

      – 10 –

      Türen, an denen Patrick klingelte, öffneten sich, und Gesichter beantworteten leise seine Fragen.

      »Nein, ich kannte sie nicht.«

      »Ein hübsches blondes Mädchen, sagen Sie? Seltsam.«

      »Das arme Ding. Hat sie leiden müssen?«

      »Zieh Leine Bulle.«

      »Nein, sollte ich?«

      »Nie gesehen.«

      »Tut mir leid.«

      »Was für 'ne Verschwendung.«

      »Klar. Hab sie ab und zu im Treppenhaus gesehen. Wissen Sie, der Fahrstuhl geht nicht und der verfickte Vermieter kümmert sich einen Scheiß drum.«

      Patrick musterte den Mann, hoffte, etwas Hilfreiches von ihm zu erfahren.

      »Kannten Sie die Tote?«

      »Ja, sicher. Maggie hieß sie oder so. Ist 'ne scharfe Braut … ich meine, war 'ne scharfe Braut.«

      »Hatte sie einen Freund, hatte sie Feinde?«

      »Weiß nicht, Mann. Ich kümmere mich um meinen eigenen Scheiß.«

      »Haben Sie sie vor oder während des Regens gesehen?«

      »Heh, Moment mal. Ich hab ein Alibi, Mann. Hab Karten gespielt. Hier um die Ecke. Such dir 'nen anderen Penner, dem du was anhängen kannst.«

      Die Tür schlug zu.

      Weitere Türen blieben Patrick verschlossen. Menschen verkrochen sich dahinter, saßen aus Faulheit, Gleichgültigkeit, mangelnder Neugier oder aus Hass auf die Polizei in ihren Fernsehsesseln und unterzogen sich nicht einmal der Mühe, den Ton abzustellen und den Anschein zu erwecken, nicht zu Hause zu sein.

      – 11 –

      Alles explodierte in Bewegung. Touristen, Geschäftsleute, Shopper, Kinder mit ihren Müttern, Schüler, Autos, Fahrräder, Skateboards. Die Straßen waren voller Menschen. Keiner hatte ein Auge für den anderen. Sie empfanden sich als Hindernisse. Ausweichen, den Weg verkürzen, weitereilen.

      Raumgewinn, Geschwindigkeit und Hektik waren das oberste Gebot. Sie teilten es und doch waren sie alle für sich, hatten sich trotz der Gemeinsamkeit voneinander abgeschottet.

      Hip Hop dröhnte aus einem Gettoblaster. Eine Gruppe jugendlicher Möchtegernrapper zog feixend an ihm vorbei. Eine alte Frau in Hausschuhen sah sich verwirrt um, hatte sich verlaufen. In einem lichten Moment bemerkte sie ihr Dilemma. Ein Mann lobte seinen Hund, er hatte einen Haufen gegen ein Plakat gesetzt. Blühende und verblühende Schönheiten, welche Designertüten voller Luxus in manikürten Händen nach Hause trugen, stolzierten an hungrig blickenden Menschen in abgerissenen Kleidern vorbei. Ihnen allen gemein war der Schweiß an ihren Körpern. Die Hitze war unerträglich.

      Er ruhte in sich, widerstand der Hektik. Still stand er auf dem rissigen Asphalt des Gehwegs. Über und über war der Boden mit dunklen Kaugummiflecken übersät, einem Kitt gleich, der den Asphalt davor bewahrte, auseinanderzubrechen.

      »Sie tragen ihre Gesichter ohne Ausdruck. Blind sind sie, doch wenn sie sterben, öffnen sich ihre Augen. Sie verstehen. Sie bereuen. Still liegen sie, werden rein und unschuldig.«

      »Mama! Warum guckt der Mann so?«

      Kinder waren perfekte Beobachter. Mühelos gelang es ihm, ihre Aufmerksamkeit zu wecken. Über die Kinder fand er Blickkontakt zu den Müttern.

      Blond war sie und hübsch.

      Schon lange hatte er sie bemerkt. Einen Herzschlag lang verschränkten sich ihre Blicke.

      Es tat so gut.

      Angesehen hatte sie ihn, und er hatte nicht einmal dafür töten müssen. Er fühlte die Aufregung, die Erregung, und schloss die Augen. In Gedanken lag sie vor ihm, lächelte ihn willig an.

      Regungslos erreichte er den Höhepunkt.

      Es war ein guter Tag.

      Sie zog den Jungen fort. Den sonderbar starrenden Mann, hatte sie bereits vergessen.

      Zusammen betraten Mutter und Sohn die U-Bahn-Station, hasteten vorbei an der Schlagzeile des Tages: Frau abgeschlachtet!

      Die Tat beherrschte den Kiosk. Jedes Blatt berichtete darüber. Der Mord hatte den Streik der Müllabfuhr von der Titelseite gefegt, und allen Zeitungen gemein war der Name, auf den sie den Killer getauft hatten.

      Brutus.

      – 12 –

      Zeitungspapier, Kaugummi, Taschentücher, Hundekot, Einkaufstüten, Speichel. Der Schmutz vor dem Gebäude war so vielfältig wie die Verbrechen, die darin ermittelt wurden.

      Arkady eilte die Stufen zur Gerichtsmedizin hinauf. Er war müde, die Hitzewelle ließ ihn nachts kaum Ruhe finden. Achtlos ließ er das Papier eines Schokoriegels fallen und schob sich die Süßigkeit


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