Leni Behrendt Staffel 4 – Liebesroman. Leni Behrendt

Leni Behrendt Staffel 4 – Liebesroman - Leni Behrendt


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beschäftigte sich in Gedanken schon mit dem Gatten, doch keine Frage kam über ihre Lippen, obwohl sie wußte, daß er wieder im Krankenhaus arbeitete.

      Vernünftig von ihm, sich bei ihr nicht sehen zu lassen. Unweigerlich hätte sie ihm die Tür gewiesen, so verbittert war sie.

      Schade, daß die Heilung der Wunde so gut voranging. Hätte sie es nur gekonnt, so hätte sie das gewiß aufgehalten, um noch recht lange hierzubleiben, wo es ihr so gutging. Wo alle so lieb zu ihr waren, hauptsächlich Frau Hollgart. Wenn Lenore morgens erwachte, freute sie sich schon auf den Tag, den sie mit dieser prächtigen Frau verbringen durfte, die sie so sehr an ihre Mutter erinnerte.

      Sie schwatzten ganz geruhsam über dies und jenes und kamen so eines Tages auch auf Lenores Eltern zu sprechen. So erfuhr Gertraude, daß die Mutter der jungen Frau einem Patriziergeschlecht entstammte, da oben von der Waterkant.

      »Daher stamme ich auch«, sagte Traude vergnügt. »Nur daß mein Vater kein Patrizier war, sondern ein gottgelehrter Mann, nämlich Pfarrer. Übrigens war ich das schwarze Schaf der Familie, weil ich so gar keine sittsame Pfarrerstochter abgab. War eher wie ein ungebärdiges Füllen, das über die Stränge schlug vor lauter Übermut. Übrigens hatte ich ein zweites Ich, das mir auch sogar äußerlich ähnlich sah. Allerdings waren wir auch so um sieben Ecken miteinander verwandt. Wir hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Jedenfalls war der Herr Senator über seine Tochter genauso entsetzt wie der Herr Pfarrer über sein mißratenes Kind. Schade, daß wir später so nach und nach auseinanderkamen. Das lag wohl daran, daß sie erstens einige Jahre früher heiratete als ich und dann mit ihrem Gatten lange auf Reisen ging. Zuerst kamen Kartengrüße aus aller Herren Länder, dann blieben auch die allmählich aus, und zuletzt hörten wir überhaupt nichts mehr voneinander. Ich denke noch so oft an meine liebe Melanie …«

      »Wie heißt sie?« fragte Lenore hastig dazwischen.

      »Melanie«, entgegnete die andere verwundert. »Melanie Höverking.«

      »Das war meine Mutter.«

      Zuerst sah Gertraude die junge Frau nicht gerade geistreich an, doch dann ging das Fragen los, hin und her, kreuz und quer. Kein Irrtum war möglich, die Tochter Melanie Höverkings lag dort im Bett.

      »Na, so was.« Gertraude schüttelte immer wieder den Kopf. »Gibt es nun eine Schicksalsbestimmung oder nicht? Ausgerechnet mit der Tochter meiner Lanie liege ich hier Bett an Bett. Daher kamen Sie mir gleich so lieb und vertraut vor. Obwohl Sie Ihrer Mutter nicht direkt ähnlich sehen, haben Sie doch so manches von ihr, was mir jetzt so richtig auffällt, nun ich im Bilde bin. Das Kind meiner Lanie – ich kann es immer noch nicht fassen. Na, da werden wir mal gleich die fremde Anrede lassen. Du bist für mich die Lenore, und ich bin für dich die Tante Traude, einverstanden?«

      »Und wie! Lieber Gott, ich danke dir, daß du mir einen Menschen in den Weg führst, der meine Mutter gekannt und geliebt hat.«

      Es klang so erschüttert, daß der Gertraude die Tränen in die Augen schossen. »Lenore, willst du mir nicht von deinen Eltern erzählen?« fragte sie leise.

      »Gern. Ich bin ja so froh, daß ich mich einmal aussprechen kann.«

      Und dann erzählte sie von ihrer Mutter, dieser lieben, gütigen Frau, von ihrem Vater, der erheblich älter war und wohl gerade deshalb seine Frau auf Händen trug und sein einziges Kind förmlich vergötterte. Sprach von ihrer Kindheit, die so unbekümmert und glückselig verlief, bis sich das Glück jäh von ihr abwandte.

      Zuerst der Tod des Vaters. Dann kam der Schlaganfall, der die Mutter lähmte, dann die ständige Angst um das geliebte Leben, dann die überstürzte Heirat, gewissermaßen am Sterbebett der Mutter. Und dann brach sie brüsk ab. Die Lippen preßten sich zusammen, die Augen verfinsterten sich.

      Gertraude sah es mit Schrecken, hütete sich jedoch, eine Frage zu stellen. Leise sagte sie: »Dann hast du armes Kind in deinen jungen Jahren ja schon viel Schweres mitgemacht. Ich weiß auch gar nicht, was ich dir zum Trost sagen soll, es würde alles so banal klingen. Jedenfalls freue ich mich riesig, die Tochter meiner Lanie gefunden zu haben«, schlug sie absichtlich einen munteren Ton an. »Da werden wir beide ja jetzt Gesprächsstoff haben, noch und noch.«

      *

      Am nächsten Tag eröffnete der Professor seiner Schwägerin, daß sie für eine Stunde aufstehen könnte, was dieser einen Freudenjuchzer entlockte.

      »Endlich! Nach vier Wochen wieder einmal spüren dürfen, daß man auch Beine hat.«

      »Die dir ganz nett zittern werden«, schmunzelte der Schwager. »Wetten, daß du schon früher, als du es sollst, wieder ins Bettchen zurücksinkst?«

      »Na, du, unterschätze mich nicht. Nach der guten Pflege hier fühle ich Kräfte, daß ich Bäume aus der Erde reißen könnte.«

      »Abwarten!«

      »Aber nicht lange, ich will nach Hause. Wann?«

      »Wenn dir das Aufstehen bekommt, in den nächsten Tagen.«

      »Wunderbar! Und wie ist es mit meinem reizenden ›Kumpelchen‹?«

      »Kann auch mal versuchen, sich auf die Beinchen zu stellen. Also, dann viel Vergnügen!«

      Er ging, und Gertraude wollte gerade zur Klingel greifen und eine Schwester herbeibeordern, als ein schluchzender Laut ihre Hand sinken ließ. Erschrocken sah sie zu Lenore hinüber, die von Weinen nur so geschüttelt wurde.

      »Nore, um Himmels willen, was hast du denn?«

      Als keine Antwort erfolgte, sondern das stoßweise Schluchzen sich noch verstärkte, hielt es Traude nicht länger im Bett. Sie sprang auf – zwei lange Schritte und sie umfaßte erbarmend die bebende Gestalt.

      »Kind, du darfst doch nicht so weinen!« sagte sie beschwörend. Doch schon umklammerten zwei Arme sie so fest, daß sie Mühe hatte zu atmen. Ein ganz heißes Gesicht drückte sich gegen ihren Hals, der naß wurde vor Tränen. Und unter Herzstößen brach es heraus: »Tante Traude, wenn du gehst, dann bin – ich – allein, so furchtbar allein.«

      »Aber Lenore, du hast doch deinen Mann.«

      »Nein«, schrie sie so gequält auf, daß die andere zusammenzuckte. »Ich will ihn nicht mehr sehen – nein, ich will ihn nicht mehr sehen!«

      »Hör mal zu, mein Kind«, begann sie behutsam. »Dein Mann ist doch nicht schlecht, er war nur in bezug auf seine Angehörigen verblendet. Nun, da ihm die Augen geöffnet worden sind, wird er sich hüten, dich, noch einmal zu ihnen zu bringen. Was meinst du wohl, wie erschüttert er war, als er von Berlin zurückkehrte und hören mußte, was sich während seiner Abwesenheit zu Hause zugetragen hatte. Er ist darüber unglücklich genug.«

      »Mir egal, ich gehe nicht mehr zu ihm zurück. Und wenn er mich zwingen will, bringe ich mich um.«

      Es klang so entschlossen, daß Gertraude erschrak.

      »Ja, was willst du denn sonst beginnen?« fragte sie zögernd. »Du bist doch so unerfahren, so weltfremd, daß du allein gar nicht bleiben kannst.«

      »Ob ich kann oder nicht, ich muß ja wohl.«

      So unendlich traurig klang es, daß Traude die Tränen in die Augen traten. Ein kurzes Überlegen, und dann die Frage, die das gute Herz ihr eingab: »Hör mal, Lenore, möchtest du erst einmal mit mir nach Hause kommen?«

      Da ging ein Ruck durch ihren Körper. Die Arme sanken, und zwei verweinte Augen sahen die gütige Frau ungläubig an.

      »Tante Traude, scherzt du etwa?«

      »Mein liebes Kind, danach ist mir jetzt wahrlich nicht zumute. Im Gegenteil, ich habe Angst um dich, weil du in deiner jetzigen Verfassung tatsächlich imstande wärest, eine nie wiedergutzumachende Dummheit zu begehen. Zu deinem Mann willst du nicht zurück, für dich allein bleiben darfst du auf keinen Fall. Also wärst du in meinem Hause am besten aufgehoben – das heißt, wenn du willst.«

      »Da fragst du noch? Oh, Tante Traude!«

      Nasse Augen


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