Rache@. Antje Szillat

Rache@ - Antje Szillat


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sie auf dem schmalen Radweg entlang der Landstraße, die in den Nachbarort führte.

      „Wir schreiben morgen Bio. Hat die Müller heute angekündigt.“

      „Ich glaube nicht, dass ich in die Schule komme. Meine Mutter hat es diesmal echt schwer erwischt“, sagte Marcel und starrte stur geradeaus.

      Ben sah ihn von der Seite an. Seine Wangenknochen arbeiteten. Daran erkannte er, wie angespannt Marcel war.

      „Wie lange soll das denn noch so weitergehen?“, wagte er einen vorsichtigen Versuch.

      Marcel reagierte, wie er immer bei diesem Thema reagierte. „Das geht dich nichts an. Klar?“ Seine Stimme klang hart – und doch irgendwie traurig.

      Er trat noch heftiger in die Pedale, sodass Ben ein Stückchen hinter ihn zurückfiel. Erst kurz vor der Apotheke gelang es ihm Marcel wieder einzuholen. Die letzten Meter fuhren sie schweigend, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, nebeneinander her.

      Vor der Apotheke beendete Marcel das Schweigen. „Weißt du eigentlich, wem der Laden hier gehört?“, fragte er und grinste Ben an.

      Ben schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung. Irgendeinem Pillendreher eben.“

      „Das solltest du aber wissen.“ Marcel tat geheimnisvoll.

      „Und warum?“

      Marcel antwortete nicht gleich. Stellte sein Rad in den Ständer und forderte Ben auf, es ihm nachzutun.

      „Warum sollte es mich denn interessieren, wem diese Apotheke hier gehört?“ Ben war nun wirklich neugierig.

      „Das wirst du gleich sehen. Komm mit rein.“

      Marcel drückte den Notdienstknopf und wartete. Ein paar Sekunden später kam eine blonde Frau aus einem der hinteren Räume in den Innenraum der Apotheke geeilt. Im Gehen zog sie sich ihren weißen Kittel über. Als sie Marcel durch die Glasscheibe erkannte, erschien ein feines Lächeln auf ihren Lippen und sie schloss die Tür auf.

      „Ach, hallo Marcel. Lange nicht gesehen. Kommt rein.“

      Sie hielt ihnen die Tür auf und verschloss sie wieder, nachdem die beiden Jungs eingetreten waren. Den Schlüssel ließ sie im Schloss stecken.

      „Und, was kann ich für dich tun?“, fragte sie Marcel und ging hinter den Tresen.

      „Meiner Mutter geht es nicht so gut. Sie hat schon ein paar Tage echt übel mit ihrer Migräne zu kämpfen.“

      „Verstehe“, sagte die Apothekerin, warf Marcel einen wissenden Blick zu und verschwand für einen kurzen Moment zwischen den Regalen hinter dem Verkaufstresen.

      Ben starrte Marcel an und verstand überhaupt nichts mehr. Migräne? Seit Tagen? Und dann dieser sonderbare Blick, den die Apothekerin Marcel zugeworfen hatte. Die Apotheke lag fast fünf Kilometer von der, die sich ganz in der Nähe von Marcels Wohnung befand, entfernt. Da war es doch mehr als verwunderlich, dass er jedes Mal hierher fuhr, wenn er etwas aus der Apotheke benötigte.

      Er kannte Marcel zwar schon eine ganze Weile. Dennoch hatte er immer wieder das Gefühl, im Grunde nichts über ihn zu wissen.

      Die Apothekerin riss Ben aus seinen Gedanken. Sie trat wieder hinter den Tresen und reichte Marcel eine Packung Tabletten.

      „Was macht das?“, fragte Marcel, nachdem er sich bei ihr bedankt hatte.

      „Ist schon okay. Sende deiner Mutter einen lieben Gruß von mir.“

      Erneut dieser komische Blick. Ben hätte echt gerne gewusst, was da gerade zwischen der Apothekerin und Marcel ablief.

      „Und – in der Schule alles gut?“ Sie strich sich mit einer langsamen Bewegung eine lange Haarsträhne aus der Stirn und klemmte sie hinter ihr Ohr.

      „Mit mir schon ...“, sagte er gedehnt und mit einem sonderbaren Unterton. Plötzlich wirkte die Apothekerin wie alarmiert. Ihre Stimme klang schrill und aufgeregt, als sie Marcel fragte: „Ist was mit Johannes?“

      „Hat er mal wieder nix erzählt?“ Marcel spielte den Überraschten. „Sicher schämt er sich. Ich habe ihm sogar angeboten, mit ihm zu Frau Schnuppe-Keller zu gehen. Aber er hat abgelehnt. Meinte, dass er mit dir sprechen und du die Sache dann klären würdest.“

      Du? Warum duzte Marcel die Frau?

      Marcel schüttelte langsam den Kopf. „Verdammt, jetzt mache ich mir echt Vorwürfe.“ Er fuhr sich mit beiden Händen durch seine hellblonden Haare.

      Ben begriff absolut nichts mehr. Johannes? War die Apothekerin etwa die Mutter von Johannes? Von dem Johannes? Die blonden Haare passten. Auch die blauen Augen. Obwohl ihre wesentlich freundlicher aussahen. Aber was redete Marcel denn da? Und wenn das wirklich Johannes’ Mutter war, woher kannte er sie so gut? So gut, dass er sie sogar duzte. In Bens Kopf schwirrten tausend Fragen auf einmal herum und jede wollte zuerst beantwortet werden.

      „Ist es wieder dieser Ismael?“ Die Stimme der Apothekerin drohte wegzubrechen. Ihre Augen schimmerten verdächtig.

      „Ismael und Ali! Ich dachte wirklich, er hat es dir erzählt. Marlene, das tut mir echt leid.“

      „Unsinn ...“ Sie rang sichtbar nach den richtigen Worten. „Du kannst ja nichts dafür. Du beklaust und erpresst meinen Sohn ja schließlich nicht.“

      „Und schlägst ...“, ergänzte Marcel.

      „WAS? Sie haben ihn diesmal sogar geschlagen?“ Mit ihrer Beherrschung war es nun endgültig vorbei. „Das darf ja wohl nicht wahr sein! Diese verdammten Mistkerle! Und Johannes sagt nichts. Nicht ein Sterbenswörtchen. Lässt sich von denen traktieren und schweigt. Vor lauter Angst. Oh Gott, ich darf darüber gar nicht weiter nachdenken, was mein armer Junge durchmachen muss.“

      Jetzt weinte sie – ganz offen und ohne sich dafür zu schämen. Marcel räusperte sich verlegen und erklärte ihr, dass er nun leider wieder zurück zu seiner Mutter müsse.

      „Es tut mir wirklich leid. Grüß Johannes von mir und mach dir nicht so viele Sorgen. Das wird schon wieder.“

      Dann standen sie wieder vor der Apotheke. Ben konnte nicht fassen, was sich soeben abgespielt hatte. Sie nahmen ihre Räder aus dem Ständer und schoben sie nebeneinander ein Stückchen den Fußweg entlang.

      Als sie außer Sichtweite der Apotheke waren, schlug sich Marcel klatschend auf seine Oberschenkel und fing lauthals an zu lachen.

      „Was war das?“ Ben hätte Marcel am liebsten geschüttelt, damit er endlich aufhörte zu lachen und ihm antwortete.

      „Das war die nächste Dresche für Superarsch Johannes. Davon wird er mehrere Wochen was haben“, gluckste Marcel. „Jetzt nur noch schnell die richtige Info bei Schüler-Talk ins Netz gestellt und die Sache ist geritzt.“

      Ben stand noch immer auf der Leitung.

      „Spinnst du? Das ist doch alles erstunken und erlogen. Und das wird der seiner Mutter auch sagen. Dann bekommst du garantiert mächtigen Ärger mit dem. Du hast ihm ja sogar noch Grüße von dir bestellt. Bist du lebensmüde? Die machen dich doch alle!“ Bens Stimme überschlug sich fast vor Aufregung.

      Marcel schaute Ben einen kurzen Moment nachdenklich an. Dann sagte er mit ernster Stimme: „Seine Mutter glaubt ihm kein Wort. Sie glaubt mir. Sie hat mir schon immer mehr geglaubt. Mach dir keine Sorgen. Ich kenne sie.“ Er holte tief Luft.

      Ben nutzte die kurze Pause, um zu fragen: „Aber die Typen haben ihm doch nichts getan, oder? Was bringt das Ganze also?“

      Marcel erklärte es ihm. „Johannes’ Mutter wird als erstes bei den Eltern von Ismael und Ali aufkreuzen. Das macht sie immer. Die bekommen dann tierischen Ärger mit ihren Alten, weil die angesehene Frau Apothekerin da war und gesagt hat, ihre Söhne hätten den armen Johannes vermöbelt. Johannes kriegt dafür bei nächster Gelegenheit von denen ordentlich was aufs Maul. Außerdem wird sie gleich morgen in die Schule rennen und Frau Schnuppe-Keller, das ist Johannes’ Klassenlehrerin, die Hölle heiß


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